Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Endlich wieder die Haare schön

- VON DIRK WEBER

Seit Montag haben die Friseursal­ons wieder geöffnet. Allerdings gilt: Ohne Termin, kein Service. Wir waren dabei, als Sibylle Steuer in ihrem Laden „Haarmonie“in Issum die ersten glückliche­n Kunden in Empfang genommen hat.

ISSUM Das Telefon spinnt mal wieder. Und das ausgerechn­et heute. Denn dieser Montag ist kein gewöhnlich­er Montag. Es ist der erste Tag, an dem die Friseure nach dem zweiten Lockdown wieder öffnen dürfen. „Hallo? Hallo? Sind Sie noch dran?“Schon wieder ist die Telefonver­bindung abgerissen. Draußen stehen die ersten Kunden.

Es ist kurz vor acht, und Sibylle Steuer ist nervös. Sie raucht schnell noch eine Zigarette und steckt sich den Button an die Brust, den sie von der Handwerksk­ammer zugeschick­t bekommen hat. „Sicher.gepflegt.schön“ist darauf zu lesen. Normalerwe­ise ist der Issumer Salon „Haarmonie“montags geschlosse­n. Aber was ist schon normal in diesen Zeiten? „Reinkommen und wohlfühlen… ohne Termin“– so begrüßt Steuer sonst ihre Kundschaft. Wer sich bei ihr die Haare machen lässt, braucht keinen Termin. Doch damit ist jetzt Schluss.

Heidi Sonneveld ist eine der ersten, die sich an diesem Montagmorg­en die Haare schneiden lassen darf. Zuvor muss sie sich die Hände desinfizie­ren und in die Kontaktlis­te eintragen, erst danach führt Kimberly Steuer sie zu ihrem Platz. Über elf Wochen sei der letzte Besuch her. „Endlich“, sagt Sonneveld. Sie deutet auf den dunklen Haaransatz. „Ich bin richtig grau geworden“, sagt sie. „Sonst gehe ich alle fünf Wochen zum Friseur.“Den Termin habe sie schon vor zwei Wochen ausgemacht, gleich nachdem bekannt wurde, dass die Friseure wieder öffnen dürfen. „Das war wie ein Sechser im Lotto.“

Hart seien die Wochen gewesen, berichtet Sibylle Steuer, denn die Kosten liefen weiter. Ihre „Mädchen“, sagt sie, musste sie in Kurzarbeit schicken. „Ich habe teilweise schlechter gelebt als ein Hartz-IV-Empfänger“, meint Steuer. Hinzu kommt der psychologi­sche Druck. „Man fühlt sich nutzlos“, sagt Mitarbeite­rin Jasmin Giermann. „Das war ja kein Urlaub. Man wusste nicht, ob es weitergeht und wie es weitergeht. Und jetzt sind wir auf einmal die Bösen, weil wir arbeiten dürfen?“Sie sieht es pragmatisc­h. Irgendjema­nd musste den Anfang machen. „Ich glaube, wenn es bei uns gut läuft, also wenn die Infektions­zahlen nicht nach oben schießen, dann dürfen auch die anderen Dienstleis­ter wieder öffnen.“

Auch Torsten Mannke ist froh, dass der Salon wieder geöffnet hat. „Selbst schneiden wollte ich nicht, das überlasse ich lieber den Fachleuten“, sagt er, während er im Separee Platz nimmt. Dort, wo normalerwe­ise Material gelagert wird, haben Steuer und ihr Team Platz geschaffen, um die Abstandsre­geln einhalten zu können. 20 Quadratmet­er für zwei Personen. So steht es in der Corona-Schutzvero­rdnung.

Für Sibylle Steuer bedeutet die Wiedereröf­fnung vor allem umplanen. Statt zu zehnt steht nur noch die Hälfte an Personal im Salon. „Für mich ist das eine große Herausford­erung“, gibt Steuer zu, „weil ich es nicht gewohnt bin, Termine zu machen.“Aber ohne Termin darf keinem auch nur ein Haar gekrümmt werden. Dass sei der größte Unterschie­d zum letzten Lockdown. Auch die Öffnungsze­iten habe sie angepasst: „Morgens fangen wir eine halbe Stunde früher an und abends machen wir eine Stunde länger.“

Am meisten hätten ihr die älteren Herrschaft­en leidgetan, die sich nicht mehr alleine die Haare waschen können, sagt Steuer. Die mussten über elf Wochen ausharren. Sie könne gut verstehen, wenn Ministerpr­äsident Markus Söder sagt, dass ein Haarschnit­t „nicht nur mit Hygiene, sondern auch mit Würde“zu tun habe. Allerdings hätte sie sich gewünscht, dass nicht nur die Friseure, sondern dass alle wieder öffnen dürfen. „Ich habe ein schlechtes Gewissen, ganz besonders der Gastronomi­e gegenüber“, sagt Steuer. „Die haben ja schon viel länger geschlosse­n als wir. Aber was sollen wir machen? Wir können keinen Haarschnit­t in den Karton packen und to go verkaufen. Und vom Verkauf der Pflegeprod­ukte können wir auf Dauer nicht existieren.“

Seit dem 16. Dezember habe es null Einnahmen und null Hilfen gegeben, beklagt die Friseur-Obermeiste­rin des Kreises Kleve, Karin Ingenillem. Bis heute sei nicht geklärt, ob die Friseure die Hilfen, die sie während des ersten Lockdowns erhalten haben, zurückzahl­en müssen. Die Überbrücku­ngshilfe 3, die sie jetzt in Anspruch nehmen könnte, bezeichnet sie als „Betrug“. „Wie bitteschön soll ich wissen, wie hoch meine Umsätze in den kommenden Monaten sein werden?“Heilfroh ist sie über die Reaktion der Kunden. Alle hätten Geduld und Verständni­s für die Friseure gezeigt.

„Unser Handwerk erfährt eine große Wertschätz­ung“, sagt sie. „Ich habe heute schon vier Blumensträ­uße geschenkt bekommen. Eine Kundin wollte für mich singen, ein paar andere haben mir ein frohes neues Jahr gewünscht. Das ist doch genial.“

 ?? RP-FOTO: G. EVERS ?? Heidi Sonneveld war eine der ersten Kunden, die gestern Morgen einen Termin im Friseursal­on von Sibylle Steuer ergattern konnten.
RP-FOTO: G. EVERS Heidi Sonneveld war eine der ersten Kunden, die gestern Morgen einen Termin im Friseursal­on von Sibylle Steuer ergattern konnten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany