Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Endlich wieder die Haare schön
Seit Montag haben die Friseursalons wieder geöffnet. Allerdings gilt: Ohne Termin, kein Service. Wir waren dabei, als Sibylle Steuer in ihrem Laden „Haarmonie“in Issum die ersten glücklichen Kunden in Empfang genommen hat.
ISSUM Das Telefon spinnt mal wieder. Und das ausgerechnet heute. Denn dieser Montag ist kein gewöhnlicher Montag. Es ist der erste Tag, an dem die Friseure nach dem zweiten Lockdown wieder öffnen dürfen. „Hallo? Hallo? Sind Sie noch dran?“Schon wieder ist die Telefonverbindung abgerissen. Draußen stehen die ersten Kunden.
Es ist kurz vor acht, und Sibylle Steuer ist nervös. Sie raucht schnell noch eine Zigarette und steckt sich den Button an die Brust, den sie von der Handwerkskammer zugeschickt bekommen hat. „Sicher.gepflegt.schön“ist darauf zu lesen. Normalerweise ist der Issumer Salon „Haarmonie“montags geschlossen. Aber was ist schon normal in diesen Zeiten? „Reinkommen und wohlfühlen… ohne Termin“– so begrüßt Steuer sonst ihre Kundschaft. Wer sich bei ihr die Haare machen lässt, braucht keinen Termin. Doch damit ist jetzt Schluss.
Heidi Sonneveld ist eine der ersten, die sich an diesem Montagmorgen die Haare schneiden lassen darf. Zuvor muss sie sich die Hände desinfizieren und in die Kontaktliste eintragen, erst danach führt Kimberly Steuer sie zu ihrem Platz. Über elf Wochen sei der letzte Besuch her. „Endlich“, sagt Sonneveld. Sie deutet auf den dunklen Haaransatz. „Ich bin richtig grau geworden“, sagt sie. „Sonst gehe ich alle fünf Wochen zum Friseur.“Den Termin habe sie schon vor zwei Wochen ausgemacht, gleich nachdem bekannt wurde, dass die Friseure wieder öffnen dürfen. „Das war wie ein Sechser im Lotto.“
Hart seien die Wochen gewesen, berichtet Sibylle Steuer, denn die Kosten liefen weiter. Ihre „Mädchen“, sagt sie, musste sie in Kurzarbeit schicken. „Ich habe teilweise schlechter gelebt als ein Hartz-IV-Empfänger“, meint Steuer. Hinzu kommt der psychologische Druck. „Man fühlt sich nutzlos“, sagt Mitarbeiterin Jasmin Giermann. „Das war ja kein Urlaub. Man wusste nicht, ob es weitergeht und wie es weitergeht. Und jetzt sind wir auf einmal die Bösen, weil wir arbeiten dürfen?“Sie sieht es pragmatisch. Irgendjemand musste den Anfang machen. „Ich glaube, wenn es bei uns gut läuft, also wenn die Infektionszahlen nicht nach oben schießen, dann dürfen auch die anderen Dienstleister wieder öffnen.“
Auch Torsten Mannke ist froh, dass der Salon wieder geöffnet hat. „Selbst schneiden wollte ich nicht, das überlasse ich lieber den Fachleuten“, sagt er, während er im Separee Platz nimmt. Dort, wo normalerweise Material gelagert wird, haben Steuer und ihr Team Platz geschaffen, um die Abstandsregeln einhalten zu können. 20 Quadratmeter für zwei Personen. So steht es in der Corona-Schutzverordnung.
Für Sibylle Steuer bedeutet die Wiedereröffnung vor allem umplanen. Statt zu zehnt steht nur noch die Hälfte an Personal im Salon. „Für mich ist das eine große Herausforderung“, gibt Steuer zu, „weil ich es nicht gewohnt bin, Termine zu machen.“Aber ohne Termin darf keinem auch nur ein Haar gekrümmt werden. Dass sei der größte Unterschied zum letzten Lockdown. Auch die Öffnungszeiten habe sie angepasst: „Morgens fangen wir eine halbe Stunde früher an und abends machen wir eine Stunde länger.“
Am meisten hätten ihr die älteren Herrschaften leidgetan, die sich nicht mehr alleine die Haare waschen können, sagt Steuer. Die mussten über elf Wochen ausharren. Sie könne gut verstehen, wenn Ministerpräsident Markus Söder sagt, dass ein Haarschnitt „nicht nur mit Hygiene, sondern auch mit Würde“zu tun habe. Allerdings hätte sie sich gewünscht, dass nicht nur die Friseure, sondern dass alle wieder öffnen dürfen. „Ich habe ein schlechtes Gewissen, ganz besonders der Gastronomie gegenüber“, sagt Steuer. „Die haben ja schon viel länger geschlossen als wir. Aber was sollen wir machen? Wir können keinen Haarschnitt in den Karton packen und to go verkaufen. Und vom Verkauf der Pflegeprodukte können wir auf Dauer nicht existieren.“
Seit dem 16. Dezember habe es null Einnahmen und null Hilfen gegeben, beklagt die Friseur-Obermeisterin des Kreises Kleve, Karin Ingenillem. Bis heute sei nicht geklärt, ob die Friseure die Hilfen, die sie während des ersten Lockdowns erhalten haben, zurückzahlen müssen. Die Überbrückungshilfe 3, die sie jetzt in Anspruch nehmen könnte, bezeichnet sie als „Betrug“. „Wie bitteschön soll ich wissen, wie hoch meine Umsätze in den kommenden Monaten sein werden?“Heilfroh ist sie über die Reaktion der Kunden. Alle hätten Geduld und Verständnis für die Friseure gezeigt.
„Unser Handwerk erfährt eine große Wertschätzung“, sagt sie. „Ich habe heute schon vier Blumensträuße geschenkt bekommen. Eine Kundin wollte für mich singen, ein paar andere haben mir ein frohes neues Jahr gewünscht. Das ist doch genial.“