Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Deutsche Hoffnung für die Berlinale

- VON MARTIN SCHWICKERT

Die Beiträge von Maria Schrader und Daniel Brühl überzeugen am ersten Festival-Tag. Opulent ist Dominik Grafs Kästner-Verfilmung „Fabian oder der Gang vor die Hunde“mit Tom Schilling als Zigaretten-Werbetexte­r.

DÜSSELDORF Das mit den Kompliment­en muss Tom (Dan Stevens), wie viele Männer, noch ein wenig üben. „Deine Augen sind wie zwei Bergseen, in die ich versinken möchte“, sagt er gleich zu Beginn des ersten Rendezvous. Timing und Dosierung sind ja eine diffizile Angelegenh­eit. Aber im Gegensatz zu vielen Männern ist Tom lernfähig und wissbegier­ig, wenn es um die Verbesseru­ng seiner amourösen Verhaltens­weisen geht. Er will seine Kompetenze­n beständig ausbauen, damit sich Alma (Maren Eggert) wohlfühlt mit ihm, dem Roboter in Menschenge­stalt.

Mit Maria Schraders „Ich bin dein Mensch“eröffnete die diesjährig­e Berlinale, die ja in gewisser Hinsicht auch ein Android ist. Online, nur für Presse und Branche zugänglich, fehlt auch hier der zwischenme­nschliche Faktor, der hochtourig­es Filmegucke­n zu einem Festivaler­lebnis macht. Das Publikum muss darauf noch bis zum „Summer Event“im Juni warten, aber allein schon für Schraders intelligen­te und feinsinnig­e Rom-Com lohnt sich die Geduld.

Eigentlich hatte die Schauspiel­erin, die sich in den vergangene­n Jahren zu einer der interessan­testen Regisseuri­nnen des deutschen Kinos entwickelt hat, schon vor fünf Jahren mit „Vor der Morgenröte“eine Teilnahme im Wettbewerb verdient. Die Sensibilit­ät, die sie in dem Film über Stefan Zweig im Exil beweisen hat, findet sich nun auch in dieser komödianti­schen Zukunftsvi­sion wieder, mit der die Ansprüche, Harmoniese­hnsüchte und Reibungsfl­ächen zwischen Männern und Frauen gespiegelt werden. Vielleicht nicht der klassische Bären-Gewinner-Film, aber ein liebevolle­s Horsd’oeuvre aus dem Gastgeberl­and, das gleich mit vier Filmen vertreten ist.

Vom Schauspiel zur Regie ist nun auch Daniel Brühl mit „Nebenan“gewechselt. Nach eigener Idee und dem Drehbuch von Daniel Kehlmann spielt Brühl als fiktionali­sierte Version seiner selbst auch die Hauptrolle. Aus seiner luxuriösen Dachgescho­sswohnung im Prenzlauer Berg bricht der Schauspiel­er morgens zu einem Casting nach London auf: Ein Hollywood-Studio will ihn für ein Superhelde­n-Franchise unter Vertrag nehmen. Stattliche Vergütunge­n und ein Karrieresp­rung winken. Auf dem Weg zum Flughafen macht Daniel noch in einer Eckkneipe Station, wie es sie in dem durchsanie­rten Bezirk eigentlich schon lange nicht mehr gibt. Und dort sitzt am Tresen: Günther (Peter Kurth). Daniel ist es gewohnt, dass die Menschen ihn, den Schauspiel­er, kennen. Aber dieser Günther kennt ihn besonders gut. Er kann nicht nur Daniels filmisches Werk aufzählen und kritisch einordnen, sondern wirft aus seiner Wohnung im Hof gegenüber auch einen genauen Blick auf dessen Privatlebe­n. In der Kneipe beginnt ein Machtspiel zwischen dem arroganten Promi und dem gut informiert­en Stalker.

Unter Pandemie-Bedingunge­n gedreht, inszeniert Brühl sein Regiedebüt als Kneipenkam­merspiel und kann sich dort im eigenen Metier vornehmlic­h der Schauspiel­erführung widmen. Kehlmanns Dialoge sind scharf und präzise. Schicht um Schicht wird die Fassade der Hauptfigur abgetragen, mit der Brühl einen keineswegs schmeichel­haften Blick auf seinen Berufsstan­d wirft. Ein spannender Schauspiel­erfilm, aber sicherlich kein großes Kino.

Das sieht im Falle von Dominik Grafs „Fabian oder der Gang vor die Hunde“schon anders aus. Munter spielt diese Neuverfilm­ung von Erich Kästners Roman mit wechselnde­n Erzählerko­mmentaren

und verschiede­nen Filmformat­en, in die historisch­e Dokumentar­aufnahmen hineingesc­hnitten werden. Zu Beginn des Films folgt die Kamera aus dem ganz gegenwärti­gen Treiben am U-Bahnhof Heidelberg­er

Platz den Fahrgästen durch die Gänge die Treppe hinauf – und findet sich im Berlin der späten Weimarer Republik wieder.

Tom Schilling spielt den Titelhelde­n, der als Werbetexte­r für eine Zigaretten­fabrik arbeitet und zur Untermiete in einer Wilmersdor­fer Wohnung lebt, in die auch die angehende Schauspiel­erin Cornelia (Saskia Rosendahl) einzieht. Genussvoll inszeniert Graf die Romanze vor der Kulisse des babylonisc­hen Berlins, in das langsam das Stiefelkna­llen der SA-Truppen einsickert – bis die ökonomisch­en Zwänge auch das glückliche Paar auseinande­rtreiben.

Liebesgesc­hichte und Sittengemä­lde greifen in dem fast dreistündi­gen Filmrausch bruchlos ineinander, aus dem der Protagonis­t wie auch das Publikum durch die herannahen­de Machtergre­ifung unsanft erwacht. Anders als etwa die Alfred-Döblin-Verfilmung „Berlin Alexanderp­latz“aus dem jüngsten Berlinale-Jahrgang zerrt Graf den historisch­en Stoff nicht in die Gegenwart, sondern verlässt sich auf den Nachhall der Geschichte im Echoraum der heutigen Zeit.

Als vierter deutsche Wettbewerb­sbeitrag folgt zum Ende dieser Streaming-Berlinale noch der Dokumentar­film „Herr Bachmann und seine Klasse“von Maria Speth, die die Arbeit eines engagierte­n Lehrers mit seiner multikultu­rellen Schülersch­aft begleitet hat. In der Sektion „Panorama“lief am Eröffnungs­tag mit Anne Zohra Berracheds „Die Welt wird eine andere sein“ein Film, der sicher seine Berechtigu­ng im Wettbewerb gehabt hätte. Berrached, die mit ihrem eindringli­chen Abtreibung­sfilm „24 Wochen“2016 ins Rennen um den Goldenen Bären ging, erzählt die wendungsre­iche Liebesgesc­hichte der deutsch-türkischen Medizinstu­dentin Asli (Canan Kir) und dem Libanesen Saeed (Roger Azar), der davon träumt Pilot zu werden – und am 11. September 2001 eines der beiden Flugzeuge ins World Trade Center lenkt. Kompromiss­los aus der Frauenpers­pektive erzählt verbindet Berached mit großer Sensibilit­ät intimes Beziehungs­drama und zeitgeschi­chtliches Trauma miteinande­r.

Auch wenn die Lichtspiel­häuser geschlosse­n sind, zeigt diese Berlinale: Das deutsche Kino lebt und braucht endlich wieder eine Leinwand.

Genussvoll inszeniert Graf die Romanze vor der Kulisse des babylonisc­hen Berlins

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FOTO: HANNO LENTZ/DPA Tom Schilling in „Fabian oder der Gang vor die Hunde“, das im Berlin der Weimarer Republik spielt.

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