Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Der Zeugnisret­ter aus Haan

Mit seinem zweiten Buch will Tim Nießner schlechten Schülern aus der Misere helfen. Der Abiturient kombiniert dafür Ratschläge aus seinem Erstling mit neuen Recherchen. Er selbst peilt gerade ein Einser-Abi an – auch dank seiner Tipps.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Ein Einser-Abitur ist für Tim Nießner auch eine Frage der Ehre. Hat der Haaner Schüler doch im vergangene­n Jahr in seinem ersten Buch „Die geheimen Tricks der 1,0er-Schüler“vorgestell­t und mit seinem zweiten Werk „Der Zeugnisret­ter“(mvg Verlag, 144 Seiten, 9,99 Euro) gerade einen Leitfaden nachgelegt, um ohne übermäßige Anstrengun­g den Notenschni­tt zu verbessern. Wobei er selbst zwar viele seiner Tipps beherzigt, wie er erzählt, aber im bevorstehe­nden Abi „nur“einen Schnitt von 1,3 oder 1,2 anpeilt. Eine glatte 1,0 brauche er nicht. „Wenn ich unter 1,5 lande, bin ich glücklich“, sagt der 18-Jährige, der eine Gesamtschu­le in Solingen besucht. Was er in seinem Buch nicht verrät: Wie man es schafft, das Recherchie­ren, Schreiben und Lernen in Pandemie-Zeiten so erfolgreic­h unter einen Hut zu bringen.

Wenn Nießner davon berichtet, klingt das nicht, als habe er Besonderes vollbracht. Sondern nur getan, was sich aufdrängte: Auf das erste Buch ein zweites folgen zu lassen. War doch ein Großteil der Recherche schon gemacht. Für seinen Erstling hatte er rund 100 Spitzen-Abiturient­en interviewt und sie nach ihren Erfolgsrez­epten befragt. „Von diesen Tipps hatte ich noch viele übrig“, erzählt der 18-Jährige. Zudem sprach er diesmal mit Mitschüler­n, die im Unterricht positiv auffielen, und schrieb Lehrer an, um deren Ratschläge zu erfahren, baute also noch eine andere Perspektiv­e ein. Aus dem gesammelte­n Material entstand zwischen dem Ende der Sommerferi­en und dem Beginn des Lockdowns das neue Werk.

Nicht nur sind viele Tipps dazugekomm­en, auch der Ansatz ist ein anderer. Während Nießner in seinem Debüt eher auf die guten Schüler abzielte, die ihre Note ohne großen Aufwand verbessern wollten, richtet er sich nun speziell an die schlechter­e, möglicherw­eise versetzung­sgefährdet­e Klientel. „Meine Idee war es, diese Gruppe an die Hand zu nehmen und ins Mittelfeld zurückzuho­len“, sagt er. Und das so einfach und effektiv wie möglich. Vor allem aber kurz und knapp formuliert. Denn viele Eltern hätten ihm als Resonanz auf das erste Buch vermittelt, dass es mit seinen 300 Seiten zu lang sei für ihre Kinder, erzählt Nießner. „Die packen das Buch nicht an, habe ich immer wieder gehört.“

So gibt es in „Der Zeugnisret­ter“jetzt auf rund 140 Seiten viele kurze Kapitel, die immer mit einer „Zusammenfa­ssung für Faule“enden, in denen das Wichtigste in wenigen Sätzen referiert wird. Worauf aber kommt es aus der Sicht des Autors vor allem an, wenn das Zeugnis auf der Kippe steht? Nießner nennt als erstes die Motivation. Man müsse sich darüber klar werden, warum man sich anstrengen, welches Leben man führen wolle. „Dann macht es vielleicht irgendwann Klick“, sagt er. Bei ihm sei das in der siebten Klasse so gewesen. Entscheide­nd sei dabei die mündliche Mitarbeit, die einen Großteil der Note ausmache. Mit jugendgere­chten Youtube-Videos etwa von Simpleclub könne man den Schulstoff sehr gut vorbereite­n und sich am Unterricht beteiligen. Zudem helfe intensiver­e mündliche

Mitarbeit auch für Klausuren, weil man den Stoff eher beherrsche.

Ein Tipp, den Nießner aus seinen Lehrer-Gesprächen bekam, rangiert bei ihm auch ganz oben auf der Liste: Es sei sehr erfolgvers­prechend, auf den Lehrer zuzugehen, wenn man eine schlechte Note befürchte, und mit diesem eine To-do-Liste zu erstellen. „Es geht darum, gemeinsam Wege zu finden, wie man die Note verbessern kann“, sagt Nießner. Daraus entstehe fast so etwas wie ein Vertrag, der Lehrer sehe die Initiative des Schülers, dieser wiederum erhalte das Gefühl, selbstvera­ntwortlich etwas an der Situation ändern zu können. Nießner greift aber bei seinen Tipps auch immer wieder auf psychologi­sche Tricks zurück – etwa, wenn er empfiehlt, sich oft zu melden, auch wenn man nichts zu sagen habe, nur um einen guten Eindruck beim Lehrer zu hinterlass­en. Oder wenn er dazu rät, sich bei den Hausaufgab­en mit Mitschüler­n wöchentlic­h abzuwechse­ln, um sich zu entlasten. Das sei besser, als die Aufgaben gar nicht zu machen, begründet er den Tipp. „Ich sehe das als eine Art Brückenbau hin zu einem verantwort­licheren Verhalten, denn solche Kooperatio­nen enden meist schnell.“

Das Thema Corona hat Nießner in seinem Buch ausgeklamm­ert, weil es auch jenseits der Pandemie gültig sein soll. Für ihn selbst sei das Online-Lernen schon herausford­ernd gewesen, bis sich eine Routine eingestell­t habe. Für einen mündlich starken Schüler wie ihn sei es nicht leicht, dies per Video aufrechtzu­erhalten. „Viele meiner Mitschüler haben aber gesagt, dass sie durch die Konzentrat­ion auf das Schriftlic­he gelernt hätten, sich besser zu organisier­en“, sagt Nießner. „Sie fühlen sich jetzt selbststän­diger und besser vorbereite­t aufs Studium.“Das soll nach dem Abi bald auch für ihn anstehen. Den Haaner zieht es nach Rotterdam, als Fach hat er sich Internatio­nal Business Administra­tion ausgesucht. Wenn das mal kein Stoff für ein neues Buch ist.

„Es geht darum, mit dem Lehrer Wege zu finden, wie man die Note verbessern kann“

Tim Nießner

Schüler und Autor

 ?? FOTO: FABIAN STRAUCH/DPA ?? Schüler und Autor Tim Nießner mit seinem neuen Buch „Der Zeugnisret­ter“. Der 18-Jährige hat die Strategien der besten Schüler Deutschlan­ds erforscht.
FOTO: FABIAN STRAUCH/DPA Schüler und Autor Tim Nießner mit seinem neuen Buch „Der Zeugnisret­ter“. Der 18-Jährige hat die Strategien der besten Schüler Deutschlan­ds erforscht.

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