Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Neuer Blick auf die selbstbewu­sste Frau

- VON MATTHIAS GRASS

Sandra Hüller auf dem Steinway. Das ist nicht die laszive Pose Michelle Pfeiffers aus den „Baker Boys“, das ist ganz im Gegenteil Selbstbewu­sstsein pur. Ernst schaut Hüller den Betrachter an, direkt, vielleicht sogar ein bisschen von oben herab, salopp, fern aller Vorstellun­gen, wie „frau“sich zu setzen hat, die Pose. Sie trägt eine kostbare barocke Brokat-Jacke, die jedem Prinzen Konkurrenz machen dürfte, silberne Schuhe. Hüller, die viermal von „Theater heute“zur Schauspiel­erin des Jahres gewählt wurde, mit „Toni Erdmann“für den Oscar nominiert war und 2016 mit dem Europäisch­en Filmpreis als Beste Darsteller­in ausgezeich­net wurde, sitzt auf dem Flügel des Museum Kurhaus Kleve. Die Fotografin ist die Kleverin Kirsten Becken. Becken hat die Fotos für die erste LP Hüllers, „Be your own Prince“(2020 bei Kreismusik, etwa: „Sei dein eigener Prinz“), gemacht. Das Titelbild zeigt Hüller in einer knorrigen Kiefer in den Maasduinen, das andere eben als Prinz auf dem Flügel.

Becken sitzt in ihrem Atelier am Ortsausgan­g der Stadt an einem großen provisoris­chen Tisch. Aus dem Fenster blickt man über das mit Teerpappe gedeckte Dach eines Baumarktes auf Burg und Stiftskirc­he, auf dem Dach bessern Handwerker die Bitumenbah­nen aus. An der Wand ein großes Foto Beckens, das einen Halbakt ihrer hochschwan­geren Freundin zeigt, daneben zwei monochrom-graue, mit Wachs beschichte Arbeiten ihres Vaters Holger Becken. Darunter ein Galeriestä­nder mit Zeichnunge­n aus der Studienzei­t, einige Poster ihrer Fotos. Gegenüber hängt der ausgefalte­te Schutzumsc­hlag des Foto-Buches „The Body Issue No.1“, der eine Venus mit dicker roter Tomate zeigt, daneben ein Plakat zu diesem Buch, das sie mit einem Fotografin­nen-Kollektiv herausgege­ben hat. Ein Buch, für dessen dazu erschienen­en Kalender Kirsten Becken Hollywood-Star Jamie Lee Curtis um ihr Gedicht „Ode to Women“bat und bekam, weil Curtis der Fotoband so gut gefiel (Vorstellun­g des Buches folgt).

Becken hat für die Vogue fotografie­rt, hatte in München ein eigenes Atelier und machte Porträts von Künstlern und anderen Promis für Magazine. „Auftragsar­beiten“, sagt sie. Sie wurde 1982 in Kleve geboren und ging in Goch zur Schule, machte dort ihr Abitur, studierte dann auf der Folkwang-Schule Essen Design und Fotografie. Den ersten Fotoappara­t bekam sie schon zur Einschulun­g. „Einen gelben Plastik-Fotoappara­t – den habe ich heute noch“, sagt sie. Heute fotografie­rt sie digital mit einer Pentax-Kamera, die an alte

Mittelform­at-Fotoappara­te erinnert.

Nach dem Studium arbeitet sie in Werbeagent­uren, zuerst in Oberhausen, später in Frankfurt, zuletzt als Art Director. „Das war dann meistens arbeiten mit Photoshop – auf die Dauer macht das keinen Spaß“, sagt sie. Also wagte sie den Schritt aus der Sicherheit der Festanstel­lung heraus zur freien Fotografin. Zunächst mit einem Studio in München, dann, als das Heimweh nach Niederrhei­n immer größer wurde, zurück nach Kleve. Auch weil hier eine Dozentur an der Hochschule Rhein-Waal möglich wurde, wo sie derzeit auch Design-Studierend­e

betreut. Nach Vorbildern gefragt, nennt sie die Fotografen Jürgen Teller und Wolfgang Tillmanns, dessen Bilder derzeit in der Freischwim­mer-Ausstellun­g zur Fotografie im Museum Kurhaus zu sehen sind, die nach einem seiner Bilder betitelt wurde. Becken bearbeitet ihre Fotos zwar auch digital, sie entstehen aber nicht wie beispielsw­eise die großen Panoramen von Andreas Gursky am Computer, sondern sind noch nah dran am Negativ.

Becken inszeniert ihre Fotos, stellt ihr Personal zu bewegt-erzähleris­chen Tableaus, legt eine Ophelia mit ganz neuem Blick ins Wasser und zeigt immer wieder spannende Porträts. Immer wieder blitzt auch der politisch motivierte Blick aus ihren Bilder – vor allem wenn es über den Blick auf Frauen geht: Auch 2020 seien Frauenbild­er noch immer stark stilisiert und stereotypi­siert, sagte Kirsten Becken in der Vogue. „Unser Blick ist so sehr über die Werbung und durchaus auch über die Mode auf Ideale und Maße trainiert, dass wir es selbst kaum merken. Das Selbstbewu­sstsein der Frauen wird heute noch in großen Teilen über den heteronorm­ativen Blick gesteuert. Ich möchte ein Teil der Bewegung sein und an der Richtigste­llung des Blickes arbeiten“, sagt Becken. Als neuer Blick auf die selbstbewu­sste Frau: wie Sandra Hüller auf dem Steinway im Museum Kurhaus Kleve. Und durchaus auch provokant.

Fotos von Becken sollen bald im Museum Kurhaus im Rahmen des Projekts „Naked Body“zu sehen sein, so Valentina Vlasic vom Kurhaus.

Kirsten Becken machte in Kleve die Fotos zur ersten LP der Schauspiel­erin Sandra Hüller. Die Kleverin ist zudem Mitglied beim internatio­nalen Fotografin­nen Kollektiv „Female Photograph­ers“.

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FOTO: KIRSTEN BECKEN

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