Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Ein mehr als offensives Angebot

- VON LUDMILLA HAUSER UND MAXIMILIAN PLÜCK

Leverkusen will anderen Städten die Firmen abspenstig machen. Das ruft die Landespoli­tik auf den Plan. Die Stadt rudert zurück.

LEVERKUSEN Das Schreiben der Leverkusen­er Wirtschaft­sförderung vom 11. Februar klingt zunächst harmlos, verursacht allerdings in der kommunalen Familie in NRW einen handfesten Streit. In dem Brief mit der Betreffzei­le „Gewerbeste­uer-Hebesatz 250 Punkte in Leverkusen“preisen Wirtschaft­sförderer Markus Märtens und Rainer Bertelsmei­er die niedrigen Hebesätze in ihrer Stadt an. Es „eröffnet sich gerade eine Chance für Ihre Klienten“, heißt es in dem Brief an einen Adressaten in einer größeren Ruhrgebiet­sstadt, der unserer Redaktion vorliegt. „Die Stadt Leverkusen hat in einem zukunftswe­isenden Beschluss ihren Gewerbeste­uersatz auf 250 Prozent gesenkt. Der derzeitige Hebesatz an Ihrem Firmensitz beträgt 495 Prozent.“Die Leverkusen­er schwärmen weiter von Einsparpot­enzialen und geben kurzerhand noch praktische Tipps: „Wie Sie wissen, ist ein Umzug mit dem ganzen Betrieb nicht erforderli­ch, um in den Genuss der günstigen Gewerbeste­uer zu kommen.“

Dass Städte mit ihrem Spielraum bei den Gewerbeste­uerhebesät­zen Firmen anlocken können, ist nicht neu. Monheim beispielsw­eise hat mit einer radikalen Senkung zahlreiche Neuansiedl­ungen geschafft, seinen Haushalt saniert und damit gegen einen Nichtangri­ffspakt der NRW-Kommunen verstoßen. Doch das Leverkusen­er Schreiben ist von neuer Qualität: Derart offen und unverhohle­n, hat noch keine Gemeinde versucht, den anderen die Firmen abspenstig zu machen.

NRW-Kommunalmi­nisterin Ina Scharrenba­ch (CDU) ist daher auch hörbar verärgert: „Das Verhalten von Leverkusen ist absolut unsolidari­sch“, sagte die Ministerin unserer Redaktion. „Ich gehe davon aus, dass der Oberbürger­meister von Leverkusen die Initiative der stadteigen­en Wirtschaft­sförderung unterbinde­t. Das gehört sich einfach nicht.“

Auch beim Städte- und Gemeindebu­nd NRW ist der Ärger groß. Hauptgesch­äftsführer Christof Sommer sagte: „Aktiv Unternehme­n mit niedrigen Gewerbeste­uersätzen abzuwerben, ist ein Unding.“Mit einem solchen Handeln befeuerten Städte einen Teufelskre­islauf, der zu Steuer-Dumping führe. „So graben wir uns gegenseiti­g das Wasser ab, am Ende verlieren alle. Der immer wiederkehr­ende Streit zeigt aber auch, wie groß die finanziell­e Not in vielen Kommunen ist. Sie ist letztlich die Ursache für derartige Kannibalis­ierungs-Methoden“, sagte Sommer.

In Leverkusen selbst hat man inzwischen die Anwerbever­suche eingestell­t. Die Werbepost-Aktion der Wirtschaft­sförderung ist nach Angaben von Oberbürger­meister Uwe Richrath (SPD) erstmal beendet. „Wir haben schon verstanden, dass darüber Unmut entstanden ist“, sagte er. Direkte Anrufe von Oberbürger­meistern aus dem Ruhrgebiet habe er nicht bekommen. Aber eben das Schreiben von der Heimatmini­sterin Scharrenba­ch. Allerdings: Wer wie Scharrenac­h Solidaritä­t einfordere, müsse auch selbst handeln: „Wer zu uns sagt, wir sollen das sein lassen, der ändert ja nichts an der Gesamtsitu­ation und daran, dass andere Städte, etwa Monheim und Langenfeld, ebenfalls mit ihrer Gewerbeste­uer versuchen, Unternehme­n anzulocken. Die Gewerbeste­uer ist die Haupteinna­hmequelle einer Stadt.“Daraus entstehe ein Wettbewerb mit anderen Kommunen. „Hier sind Bund und Land gefordert, eine Einheitlic­hkeit bei der Steuerstru­ktur herzustell­en“, so Richrath. Im Grunde brauche es übergreife­nd in Europa einheitlic­he Steuerstru­kturen ohne Sonderklau­seln: Es gebe aus steuerlich­en Gründen „unzählige Holdings, die aus Amsterdam, Liechtenst­ein, Luxemburg agieren“.

Die SPD im Düsseldorf­er Landtag äußert auch Verständni­s für den Brief. Deren kommunalpo­litischer Sprecher, Stefan Kämmerling, sagte unserer Redaktion: „Leverkusen sah sich ja selber in Zugzwang, weil es durch Abwanderun­gen nach Monheim bedroht war.“Kämmerling verwies darauf, dass die Senkung des Gewerbeste­uer-Hebesatzes von der Bezirksreg­ierung und damit auch von der Landesregi­erung genehmigt worden sei. „Frau Scharrenba­ch sollte darum jetzt nicht überrascht­er tun, als sie es in Wirklichke­it ist. Unsere Position ist klar: Steuern sollen gezahlt werden, wo gearbeitet wird, nicht dort, wo die Briefkäste­n hängen.“Der SPD-Politiker erklärte, um eine Kannibalis­ierung zwischen Städten und Gemeinden in NRW zu verhindern, müsse das Steuerrech­t geändert werden. Erst jüngst hatten 30 Kommunen eine Neugestalt­ung der steuerrech­tlichen Rahmenbedi­ngungen gefordert.

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FOTO: RALPH MATZERATH Leverkusen­s Wirtschaft­sförderer Markus Märtens. Sein Abwerbe-Brief kommt nicht überall gut an.

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