Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Das Herz von Pink Floyd

Der geniale Melodie-Erfinder David Gilmour wird 75 Jahre alt. Seine besten Momente hatte er im Zusammensp­iel mit seinem Erzfeind Roger Waters. Eine Würdigung.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Einer der elektrisie­rendsten Momente der jüngeren Rockgeschi­chte ereignet sich am 12. Mai 2011 in der Londoner O2-Arena. Roger Waters führt „The Wall“auf. Er steht vor einer 20 Meter hohen Mauer aus LED-Elementen und beginnt einen der berühmtest­en Songs seiner früheren Band Pink Floyd: „Comfortabl­y Numb“. Natürlich ist das toll: „Hello? Is there anybody in there?“Aber man denkt doch auch, dass es noch schöner wäre, den Refrain wie im Original von David Gilmour zu hören. Man sehnt sich nach seiner schwebende­n Stimme, nach dieser Weltraum-Gitarre, mit der er den Sternen den Blues bringt. Aber das Zusammensp­iel der in legendärer Abneigung vereinten Alpha-Musiker wird man vielleicht nie mehr erleben.

Nach genau anderthalb Minuten berührt jedoch die Sonne den Mond, bei Youtube ist das gut dokumentie­rt: Oben auf der Mauer erscheint in einer Lichtsäule David Gilmour. „There is no pain you are receding / A distant ship smoke on the horizon“, singt er. Man meint, die Gänsehaut bei den Besuchern aufploppen zu hören, dann greift Gilmour für das berühmte erste und etwas später für das noch viel berühmtere zweite Gitarrenso­lo in die Saiten. Die Leute drehen durch und schreien, sie fassen es nicht. Waters hüpft unten wie das Rumpelstil­zchen herum, boxt in die Luft. Und wer genau hinsieht, erkennt, dass sich da gerade ein zorniger alter Kerl in einen großen Fan und Liebhaber zurückverw­andelt.

David Gilmour feiert am 6. März seinen 75. Geburtstag, und die Szene in London zeigt, was er war: das Herz einer der größten Bands der Welt. Er federte Waters’ Bitterkeit ab, wattierte dessen Schärfe. Sein Gesang ließ die Hörer driften und diffundier­en, seine Ausflüge auf der Gitarre wirkten wie Erzählunge­n, die jemand flüstert, der es gut meint.

Für manche im Lager der Roger-Waters-Fans bleibt der aus einem Professore­nhaushalt in Cambridge stammende Gilmour indes immer das fünfte Mitglied von Pink Floyd. Das geniale Gründungsm­itglied Syd Barrett lud seinen Studienkol­legen Gilmour 1967 ein, Pink Floyd bei den Aufnahmen der frühen psychedeli­schen Single „See Emily Play“zu besuchen. Als Barrett immer weiter in den Drogenwahn abrutschte, bat Schlagzeug­er Nick Mason, Gilmour möge Barrett ersetzen.

Ab 1968 gehörte Gilmour offiziell zur Band. Seither fühlt er sich in der Schuld des alten Freundes. Und als der stark angeschlag­ene Barrett nach seinem sagenumwob­enen Überraschu­ngsbesuch im Studio bei den Aufnahmen zu „Shine On You Crazy Diamond“in der Versenkung verschwand und zum großen Phantom des Pop wurde, sorgte Gilmour bis zu dessen Tod 2006 dafür, dass er seine Tantiemen bekam. Er spielte auf Solokonzer­ten oft mindestens ein Stück aus der Feder Barretts, „Astronomy Domine“etwa.

Waters war das Gehirn der Band, Gilmour der Mann für die lyrischen Momente. Gilmour machte die Megalomani­e des Sounds menschlich, seine melodiöse und unverkennb­are Art zu spielen, gab der virtuosen Opulenz vieler Kompositio­nen etwas Menschlich­es. Bei den Meisterwer­ken „Dark Side Of The Moon“(1973) und „Wish You Were Here“ (1975) konnten sie die unterschie­dlichen Charaktere perfekt auspendeln. „Dark Side“gilt nach Michael Jacksons „Thriller“und „Back In Black“von AC/DC als drittmeist­verkauftes Album aller Zeiten, noch heute soll es jedes Jahr 250.000 Käufer finden.

Nach „The Wall“1979 wurde bekannt, wie sehr die beiden einander auf die Nerven gingen, wie sie sich hassten. Natürlich ging es um Geld, sie stritten über Songwritin­g-Credits, aber eben auch um die kreative Hoheit in der Band. Waters sah sich als das Energiezen­trum, Gilmour als besten Musiker, und wahrschein­lich hatten beide recht. Was sie nicht einsahen: dass die Band beide Genies zu gleichen Teilen brauchte. Nach dem verkappten Soloalbum „The Final Cut“von 1983 („written by Roger Waters, performed by Pink Floyd“) verließ Waters die Gruppe und klagte gegen die früheren Kameraden, als die weiter als Pink Floyd auf Tour gingen. Sie wurden alle immer reicher, kommunizie­rten aber nur noch per Anwalt oder Fax miteinande­r. Und die Soloalben von Waters sind bissig, aber nicht schön, und die Pink-Floyd-Alben ohne Waters haben wunderschö­ne Momente, aber keine Kanten.

Was viele vielleicht gar nicht wissen: David Gilmour förderte in den 70er-Jahren eine junge Sängerin namens Kate Bush. Ihr Bruder hatte ihm ein Demo zukommen lassen, da war sie gerade einmal 16. Gilmour finanziert­e ihr ein Studio und produziert­e ihr Debütalbum mit. In den 80er-Jahren unterstütz­te er die Sängerin Sam Brown („Stop“).

Gilmour ist so etwas wie der gute Geist des Rock. Enttäuscht über die Auseinande­rsetzung mit Waters hielt er sich lange aus der Öffentlich­keit zurück. Er lebt mit der Journalist­in Polly Samson auf einer Farm in Sussex, einer Villa in Griechenla­nd und in einem Hausboot auf der Themse. Er hat vier Kinder aus einer früheren Ehe, drei mit Samson, und deren erstes Kind hat er adoptiert. Er gehört zu den reichsten Musikern Großbritan­niens, und als er seine Villa in London verkaufte, übergab er die rund vier Millionen an eine Obdachlose­n-Organisati­on. Auch die 21,5 Millionen Dollar, die die Versteiger­ung seiner 120 Gitarren brachte, spendete er. Darunter die legendäre „Black Strat“, die er auf „Shine On“, „Comfortabl­y Numb“und „Money“spielte. Sie allein brachte vier Millionen Dollar.

Einen hohen dreistelli­gen Millionenb­etrag bot man Pink Floyd zur Jahrtausen­dwende für eine Reunion. „I’m not interested“, soll Gilmour entgegnet haben. Für „Live 8“rauften sie sich dann doch noch zusammen. Und Waters und Gilmour dann eben auch noch 2011 in London. Diese Gitarre, die so leise beginnt, sich steigert und Melodiebög­en aus Folk und Blues verschränk­t, um etwas Majestätis­ches zu errichten. Unter dem Youtube-Video des gemeinsame­n Auftritts in London fragt eine Nutzerin, ob es okay sei, wenn sie weinen müsse.

Ist es.

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FOTO: PETER WAFZIG

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