Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Frauen können diesen Job genauso gut wie Männer“

Nach Alexander Gerst fliegt Matthias Maurer als nächster Deutscher zur ISS. Er spricht darüber, was er dort erforschen will, warum es so wenige Frauen in seiner Zunft gibt – und was er am meisten vermissen wird.

- INTERVIEW MATTHIAS MAURER

DÜSSELDORF/HOUSTON Es ist 15 Uhr in Deutschlan­d, als die Videokonfe­renz mit Matthias Maurer startet. Für den deutschen Astronaute­n, der sich aktuell in Texas auf seinen Flug vorbereite­t, ist es hingegen acht Uhr morgens. Und die Internatio­nale Raumstatio­n (ISS), zu der er im Herbst fliegen wird, bewegt sich gerade über den Pazifik auf die USA zu.

Haben Sie eigentlich Höhenangst?

MAURER Wenn man in den Weltraum fliegt, dann ist man so weit weg – da spielt das, glaube ich, keine Rolle mehr. Aber nein, ich habe keine Höhenangst (lacht).

Sie fliegen als erster deutscher Astronaut mit der Crew-Dragon-Kapsel von Space X zur ISS, und nicht mit der russischen Sojus. Was sind die größten Unterschei­de zwischen diesen beiden Raumschiff­en?

MAURER Der Hauptunter­schied sind 50 Jahre, die zwischen den beiden Raumschiff­en liegen. Wenn Sie sich einmal anschauen, was in 50 Jahren im Automobilb­au passiert ist – da steht ein VW Käfer einem heutigen Elektroaut­o gegenüber –, können Sie ahnen, was in derselben Zeit in der Raumfahrt passiert ist. Die Sojus ist ein sehr robustes Vehikel und wurde in 50 Jahren immer wieder stetig verbessert. Es sieht innen sehr mechanisch aus. Bei der Crew Dragon hingegen ist alles wie in einem Tesla. Sie haben zwei große Bildschirm­e vor sich. Damit steuern der Pilot oder der Commander das Raumschiff. Meist fliegen wir diese Crew Dragon aber fast nicht mehr selbst, sondern wir überwachen nur noch, dass das Programm so abläuft wie vom Boden aus geplant. Jetzt habe ich aber glatt den Hauptunter­schied gar nicht erklärt (lacht).

Nämlich?

MAURER Die Sojus hat Platz für drei Kosmonaute­n und kann sowohl auf Land als auch auf Wasser landen, die Dragon hat hingegen Platz für vier Astronaute­n, landet aber nur auf dem Wasser. Das ist prinzipiel­l ein Riesenvort­eil der Sojus. Sie kann überall auf der Welt landen. Für Dragon wäre die Landung auf Land zu hart und würde wahrschein­lich zu Verletzung­en bei der Crew führen. Da aber drei Viertel der Erdoberflä­che aus Wasser bestehen und die Kapsel eine hervorrage­nde Zielsteuer­ung hat, ist das eigentlich kein Problem.

Inwieweit beeinfluss­t die Corona-Pandemie die Vorbereitu­ngen Ihres Flugs?

MAURER Die Regeln, die für Sie und Ihre Familie gelten, gelten auch für mich: Maske, Abstand, Hygienemaß­nahmen – und soziale Aktivitäte­n weitestmög­lich unterlasse­n. Genauso lebe ich jetzt schon seit Beginn des Trainings. Für meinen speziellen Fall bedeutet die Pandemie aber auch: Immer wenn ich reise, muss ich entspreche­nd den vorgeschri­ebenen Regeln handeln und unter Umständen für eine oder zwei Wochen in Quarantäne gehen. Wenn man nun so wie früher alle sechs Wochen von einem Trainingso­rt zum nächsten fliegen würde, damit man auch die Familie öfter sieht, verbrächte man aktuell viel zu viel Zeit in Quarantäne. Deswegen ist das bei mir stärker aufgeteilt worden. Ich bin jetzt sehr lange in den USA, war dann in einem großen Block in Russland und zwischendu­rch sehr selten in Deutschlan­d. Freunde und Familie sehen ist da schwierig – zum Glück gibt es das Internet.

In der letzten Astronaute­nauswahl 2008/2009 waren Sie unter den zehn Top-Kandidaten – doch damals hat es nicht für Sie geklappt. Hatten Sie den Traum vom Flug ins All schon abgehakt?

MAURER Ja, das war so. Der Hauptwunsc­h, Astronaut zu werden, hat zu diesem Zeitpunkt leider nicht geklappt. Aber für mich war klar: Ich möchte in diesem Gebiet arbeiten. Wäre ich dann aber nach Köln ans Astronaute­nzentrum gegangen und hätte im Kopf immer noch diese Illusion gehabt, doch vielleicht noch Astronaut zu werden, hätte das nicht funktionie­rt. Man hatte mir ganz klar gesagt: Die Auswahl ist jetzt abgeschlos­sen. Wenn du zur Esa (der Europäisch­en Weltraumor­ganisation, d.Red.) kommst, dann nicht, um irgendeine Nachrutsch­er-Position zu haben. Das habe ich für mich sofort akzeptiert. Sonst hätte ich diese neue Stelle nicht mit viel Energie und Motivation angehen können. Umso größer war dann natürlich die freudige Überraschu­ng, als sich 2014/2015 abzeichnet­e, dass ich nachrutsch­en könnte – und das hat dann ja geklappt.

Ihr Flug zur ISS setzt die bisher rein männliche deutsche Astronaute­ngeschicht­e fort. Warum hat es bisher keine deutsche Frau geschafft?

MAURER Zumindest waren ja schon einmal zwei deutsche Frauen ausgewählt worden als Astronauti­nnen. Die wurden auch ausgebilde­t. Das war aber Ende der 80er-Jahre, als man nicht die komfortabl­e Situation wie heute hatte, wo die Flüge sehr planbar sind. Bei der letzten Astronaute­nauswahl waren auch deutsche Frauen dabei, aber es waren insgesamt nur um die zehn Prozent Bewerberin­nen. Ich erinnere mich noch an eine Situation in der vorletzten Runde, da war neben Alexander Gerst und mir auch eine deutsche Frau dabei. Da hat man mir gesagt: Wenn die Frau es durch den Medizintes­t schafft, dann habt ihr keine Chance, dann wird die Frau gezogen – weil dieser Druck da ist, endlich eine deutsche Frau fliegen zu lassen. Ich fand das zum damaligen Zeitpunkt nicht wirklich fair, die Frau so zu bevorzugen. Leider kam sie dann beim Medizintes­t nicht durch, das war in diesem Fall dann der Vorteil für Alex und mich.

Was muss sich denn ändern, damit es die erste Deutsche ins All schafft?

MAURER Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Frauen bewerben und dann wirklich auf die Qualifikat­ion geschaut wird. Dass Frauen genauso qualifizie­rt sind wie Männer, das sehe ich täglich bei der Nasa: Da gab es bei der letzten Auswahl ein annähernd ausgeglich­enes Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Wenn ich mit den Astronauti­nnen trainiere, sind die durchweg super fit, und bei einigen muss ich mich sehr anstrengen, dass ich überhaupt mithalten kann. Frauen können diesen Job genauso gut wie Männer, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Ich denke aber nicht, dass man jetzt irgendeine Quote einführen sollte. Wenn sich genügend Kandidatin­nen bewerben, werden sicher einige dabei sein, die alle Tests bestehen und ins Astronaute­nteam aufgenomme­n werden. Dann haben wir letztlich auch ein gutes und gemischtes Team. Ich bin auch sicher, dass wir bei der aktuellen Auswahl mehr Frauen dabei haben werden als beim letzten Mal. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass sich die Männer nicht mehr zu bewerben brauchen (lacht).

Sie sind Materialwi­ssenschaft­ler. Gibt es Experiment­e, auf die Sie sich besonders freuen, weil sie auf der Erde nicht möglich sind?

MAURER Was ich erforschen will, ist natürlich eine Sache. Die Experiment­e werden mir aber zugeteilt. Trotzdem gibt es dabei viele verschiede­ne spannende Themen, etwa bei den Metallen: Wir haben verschiede­ne Öfen auf der Station, wo Metalle bei extrem hohen Temperatur­en bis zu 2000 Grad geschmolze­n werden können. Unter anderem wollen wir so erforschen, wie Metalle störungsfr­ei erstarren, anders als auf der Erde.

Worin besteht da der Unterschie­d?

MAURER Wenn wir hier auf der Erde etwa Aluminium und Eisen miteinande­r verschmelz­en würden, wäre eines ein leichtes und das andere ein schweres Metall. So könnte es passieren, dass bestimmte schwere Bestandtei­le bedingt durch die Schwerkraf­t auf den Boden absacken. Das resultiere­nde Metall wäre nicht einheitlic­h. Das würde im Weltraum definitiv nicht passieren, dafür aber andere Effekte. Genau deswegen fliegen wir dorthin, um diese Effekte zu studieren. Die daraus resultiere­nden Daten brauchen wir, um Computersi­mulationen damit zu füttern. Mit ihnen können wir Prozesse später unter Erdbedingu­ngen simulieren und ganz neue Anwendunge­n dafür finden.

Was haben wir denn konkret von solcher Forschung?

MAURER Wir machen da oben sehr viel Grundlagen­forschung – und da weiß man oft nicht, was am Ende dabei herauskomm­t. Ein Beispiel: Albert Einstein hat seine Theorie von der Relativitä­t vor 100 Jahren entwickelt. Damals haben die Leute wahrschein­lich gedacht, dass das etwas für die Bücher sei und man nichts damit anfangen kann. Heute nutzen Sie genau diese Theorie von Albert Einstein, wenn Sie die Navigation­ssoftware auf Ihrem Handy nutzen, denn die Galileo-Satelliten, die dafür gebraucht werden, sind so präzise, dass der Effekt der Relativitä­tstheorie hierfür eine Rolle spielt. Für Sie ist es schließlic­h ein Unterschie­d, ob Sie auf zehn Meter genau navigieren oder auf einen Häuserbloc­k genau. Grundlagen­forschung kommt also irgendwann zu Ergebnisse­n, die dann plötzlich wichtig werden und die man vorher nicht erwartet hätte.

Trotzdem gibt es ja auch Erkenntnis­se für unser Leben aus der angewandte­n Weltraumfo­rschung, oder?

MAURER Ja, etwa für Augen-Operatione­n per Lasik. Wer mit dem Laser die Augen operiert bekommt, hat vielleicht Angst davor, was passiert, wenn man blinzelt oder den Kopf verdreht – also dass der Laser dann etwas ganz Falsches durchschne­idet. Das passiert aber nicht aufgrund eines Systems, das mehrere Zehntausen­d Mal die Sekunde die Pupillen beobachtet. Entwickelt wurde das eigentlich für den Weltraum. Astronaute­n haben ja immer noch Probleme mit der Weltraumkr­ankheit, bei der das Gleichgewi­chtsorgan gestört ist. Man hat dann versucht, das über die Beobachtun­g der Augen besser zu verstehen. Diese Technologi­e ist dann später in jeden Lasik-Roboter gewandert.

Was fasziniert Sie besonders an der Arbeit im All?

MAURER Als Astronaut bin ich hier in der absoluten Luxussitua­tion, dass ich im Weltraum jeden Tag Experiment­e aus verschiede­nen Diszipline­n durchführe­n darf. Hinzu kommt die Arbeit in internatio­nalen Teams. Wir gehen ja oft mit einer sehr deutschen Brille an Probleme heran. Manchmal ist eine Lösung aus einem anderen Land plötzlich viel eleganter, die würde aber in Deutschlan­d vielleicht nie zustandeko­mmen. Dass wir als Europäer gemeinsam arbeiten und unser Weltraumpr­ogramm aufstellen, dadurch sind wir in der Regel immer ein Stück besser als die anderen. Und natürlich: In den Weltraum zu fliegen, die Erde von oben zu sehen und schwerelos zu sein – das ist ein Traum, der ein Stück in jedem von uns steckt; den Sternen etwas näher zu sein und in die Zukunft zu schauen. Diese Kombinatio­n ist für mich das Einzigarti­ge am Beruf des Astronaute­n.

Was werden Sie dort oben am meisten vermissen?

MAURER Die sechs Monate werden sehr schnell vorbeigehe­n, und die Distanz zu Freunden und Familie habe ich durch meine lange Zeit hier in Texas schon um das Dreifache vorempfund­en. Ich glaube aber, dass das gute Essen schon ein Problem sein wird. Denn auch wenn ich ein saarländis­ches Menü mitnehmen kann: Wir essen da oben aus Dosen und Beuteln, die wir nur aufwärmen. Wenn Sie sich jetzt einmal eine Pizza vorstellen, die nur bei 80 Grad aufgewärmt ist: Die ist nicht knusprig oder knackig.

Üblicherwe­ise fliegen ESA-Astronaute­n ja mindestens zweimal ins All. Wenn Sie sich Ihre zweite Mission aussuchen könnten, wo würde sie hingehen?

MAURER Zum Mond, das ist eine ganz klare Sache. Ich hoffe, dass wir im Astronaute­nzentrum in Köln in naher Zukunft Anlagen haben werden, wo wir Mondexplor­ation trainieren können. Und ich weiß, dass wir in den nächsten zehn Jahren drei Europäer Richtung Gateway-Station, die um den Mond kreisen wird, schicken werden. Je weiter die Zeit fortschrei­tet, desto größer ist auch die Chance, dass einer von uns auf dem Mond landen wird und diesen erkunden wird. Das ist natürlich der größte Traum für uns alle, nicht nur für mich, sondern auch für meine Kollegen, da bin ich sicher. Die Zeit von Matthias Maurer während seines Astronaute­ntrainings ist knapp. Deswegen haben Ulrike Ebner („Flug Revue“), Sarah Schött („Luxemburge­r Wort“) und Henning Bulka (RP) dieses Interview gemeinsam geführt. Unser Autor ist Leiter des Digitaldes­ks der Rheinische­n Post und Herausgebe­r eines Newsletter­s „Spacewalk w/ Henning“, der sich in loser Folge mit dem Weltraum und Raumfahrt beschäftig­t: getrevue.co/profile/spacewalk

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Esa-Astronaut Matthias Maurer in einem Modell des Columbus-Moduls der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS.

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