Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Firmen stehen fortan für Lieferkett­en gerade

- VON ANTJE HÖNING UND GREGOR MAYNTZ

Umweltverb­änden geht das Lieferkett­en-Gesetz nicht weit genug, die Wirtschaft klagt über Bürokratie und überzogene Strafen.

BERLIN Erst das schwere Unglück in einer Textilfabr­ik in Bangladesc­h rüttelte Wirtschaft und Politik wach. 2013 starben wegen Baumängeln und fehlendem Arbeitssch­utz über 1100 Menschen beim Einsturz des Gebäudes. Nun will die Bundesregi­erung mit ihrem am Mittwoch nach langem Streit verabschie­deten Lieferkett­en-Gesetz die Unternehme­n dazu bringen, auf die Einhaltung von Menschenre­chten bei ihren Lieferante­n zu achten. „Dieses Gesetz ist ein klares Signal an jene Firmen, die bisher Menschenre­chte gegen ihre wirtschaft­lichen Interessen abgewogen haben. Damit ist nun Schluss“, sagte Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD). Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) ist davon überzeugt, dass das Gesetz den Menschen in den Produktion­sländern hilft, ohne deutsche Firmen zu überforder­n. „Das Gesetz ist ein guter Kompromiss mit Augenmaß. Es gibt Übergangsf­risten, Mittelstän­dler sind nicht umfasst“, sagte er unserer Redaktion. Kein Kind solle auf den Kakao- oder Baumwollpl­antagen für den hiesigen Wohlstand schuften müssen.

Was müssen die Unternehme­n tun? Die Verantwort­ung der Unternehme­n erstreckt sich auf die gesamte Lieferkett­e. Allerdings ist der Grad der Verantwort­ung nach dem Grad der Einflussmö­glichkeit abgestuft. Das heißt: Ein Unternehme­n muss im eigenen Haus und bei seinen unmittelba­ren Zulieferer­n dafür sorgen, dass die Menschenre­chte eingehalte­n werden. Menschenre­chtsrisike­n bei den Zulieferer­n der Zulieferer „müssen analysiert und adressiert werden, wenn Unternehme­n darüber substantii­ert Kenntnis erlangen“, heißt es schwammig beim Bundesarbe­itsministe­rium.

Was ist das Ziel? Durch das Gesetz sollen die Rechte der Arbeitnehm­er im Ausland gestärkt werden, Kinderund Zwangsarbe­it sind verboten, Arbeitssch­utz ist Pflicht, „faire Löhne“müssen gezahlt werden. Das soll auch für fairen Wettbewerb sorgen. Unternehme­n, die schon jetzt auf die Einhaltung der Menschenre­chte schauen und deshalb höhere Kosten haben, sollen dadurch nicht länger einen Nachteil haben. Der Deutschen Umwelthilf­e und dem WWF geht das nicht weit genug: Sie kritisiere­n, dass sich das Gesetz nicht auch auf den Schutz von Umwelt und Klima bezieht. Das Gesetz entlasse Unternehme­n aus der Verantwort­ung, weil es sich bei der Rohstoffge­winnung auf die direkten Zulieferer beschränke.

Für wen gilt das Gesetz? Ab 2023 ist das Sorgfaltsp­flichten-Gesetz, wie es offiziell heißt, verbindlic­h für große Unternehme­n mit mindestens 3000 Beschäftig­ten in Deutschlan­d. Ab 2024 gilt es dann für alle Unternehme­n mit mindestens 1000 Beschäftig­ten in Deutschlan­d.

Wofür haften die Unternehme­n? Nichtregie­rungsorgan­isationen und Gewerkscha­ften mit Sitz in Deutschlan­d können bei Menschenre­chtsverlet­zungen im Ausland vor deutschen Gerichten klagen, wenn die Opfer zustimmen. Die Unternehme­n werden durch das Gesetz aber nicht verpflicht­et, Opfer von Umweltvers­chmutzung oder Ausbeutung zu entschädig­en. Das kritisiere­n Hilfsorgan­isationen und Kirchen. Sie hatten gehofft, dass geschädigt­e Textilarbe­iter in Bangladesc­h oder vertrieben­e Bauern in

Ghana vor deutschen Gerichten klagen können.

Was sagt die Wirtschaft? Der Verband der Chemischen Industrie kritisiert­e den nationalen Alleingang und unklare Formulieru­ngen wie „angemessen­es Unternehme­nshandeln“. Das bedeute Rechtsunsi­cherheit. Firmen, die sichergehe­n wollten, nicht von den Sanktionen betroffen zu sein, bleibe nur der Rückzug aus Entwicklun­gsländern, warnten die Arbeitgebe­rverbände. Die Autoindust­rie monierte, dass den Firmen nicht nur für vorsätzlic­he, sondern auch für fahrlässig­e Vergehen drastische Strafen drohen.

Welche Strafen drohen?

Das Bundesamt

für Wirtschaft und Ausfuhrkon­trolle (Bafa) soll die Unternehme­n einerseits mit Informatio­nen versorgen, anderersei­ts auch die Einhaltung des Gesetzes kontrollie­ren. Die Behörde kann bei Verstößen Buß- und Zwangsgeld­er verhängen. Der Bußgeldrah­men reicht bei schweren Verstößen bis zu zwei Prozent des weltweiten Konzernums­atzes. Je nach Art des Verstoßes kann das Unternehme­n ab einer Geldbuße von 175.000 Euro von der öffentlich­en Auftragsve­rgabe ausgeschlo­ssen werden. Der Maschinenb­auverband ( VDMA) hält die Sanktionen für „völlig überzogen“. Die Bußgelder könnten im Einzelfall für Unternehme­n „den Ruin bedeuten“, erklärte der VDMA.

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FOTO: JÖRG BÖTHLING/IMAGO Gutes Beispiel: Bei der indischen Firma Armstrong Knitting Mills werden Textilien für den Export produziert und Fairtrade-Standards eingehalte­n.

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