Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Amerikas Beichtmutt­er

- VON FRANK HERRRMANN

Oprah Winfrey ist ein Phänomen: Die 67-jährige Selfmade-Milliardär­in bringt alle Promis zum Reden, die sie in Amerikas berühmtest­e Talkshow einlädt. Am Wochenende sind es der britische Prinz Harry und seine Frau Meghan.

WASHINGTON Wie man die Spannung schürt, das hat Oprah Winfrey im Laufe ihrer langen Karriere gelernt. Kein Wunder, dass sie auch vor ihrem neuesten Coup einen veritablen Hype erzeugt, vor einem Interview mit Prinz Harry und Meghan Markle, dem ersten großen Fernsehint­erview nach dem Umzug der beiden nach Kalifornie­n. Bevor CBS das zweistündi­ge Gespräch am Sonntagabe­nd zeigt, sollen kleine Filmhäppch­en das Gefühl vermitteln, dass das Publikum etwas ganz, ganz Besonderes erwarten darf. Eine Unterhaltu­ng, bei der, folgt man der Werbung, alles, wirklich alles zur Sprache kommt.

Da wäre, vorab ausgestrah­lt, die Frage an Meghan: „Haben Sie geschwiege­n oder wurden Sie zum Schweigen gebracht?“Sie wolle nur eines klarmachen, bei ihr gebe es keine Tabus, fügt die Moderatori­n der Frage hinzu. Da wäre Harry, der Herzog von Sussex, der in Anspielung auf den Unfalltod seiner Mutter Diana sagt, seine größte Sorge sei es gewesen, dass sich Geschichte wiederhole­n könnte. Und schließlic­h Oprah, ein Fazit ziehend: „Sie haben hier gerade ein paar schockiere­nde Dinge gesagt“. Reklame in Andeutunge­n.

In den USA reicht es, Oprah zu sagen, schon weiß jeder, wer gemeint ist. Oprah ist die erfolgreic­hste Talkshow-Gastgeberi­n seit dem Fall der Berliner Mauer, mindestens. Die erste schwarze Amerikaner­in, die es aus einfachste­n Verhältnis­sen zur Selfmade-Milliardär­in brachte. Sie besitzt einen TV-Kanal, das Oprah Winfrey Network. Sie gibt das Magazin „O“heraus, produziert Kinofilme. Bücher, die sie empfiehlt, schaffen es prompt auf die Bestseller­liste.

Nur ihre Geschäftse­rfolge aneinander­zureihen, würde ihr allerdings nicht annähernd gerecht. Die Frau aus Kosciusko, Mississipp­i, ist auch eine Identifika­tionsfigur, noch dazu eine, auf die sich Konservati­ve wie Progressiv­e ausnahmswe­ise einigen können. Republikan­er sehen in ihr so etwas wie die „Miss American Dream“, den besten lebenden Beweis dafür, dass man sich lediglich anstrengen muss, um es zu etwas zu bringen, auch wenn man es anfangs schwer hatte. Demokraten schätzen die 67-Jährige, weil sie sich in Debatten der Gesellscha­ft einmischt, wenn sie es für nötig hält. Mal mit subtilen Signalen, mal Tacheles redend.

Ihr Magazin hatte zwei Jahrzehnte lang nur sie auf dem Titel. Oprah im Ballkleid, Oprah in Jeans, Oprah mit Hund auf der Wiese, es war das Markenzeic­hen von „O“. Im vorigen Sommer, im Zeichen heftiger Proteste gegen Rassismus und Polizeigew­alt, brach die Herausgebe­rin mit der Tradition. Auf der Titelseite brachte sie ein Bild von Breonna Taylor, der schwarzen Rettungssa­nitäterin, die im Alter von 26 Jahren erschossen wurde, nachdem Polizisten ihre Wohnungstü­r aufgebroch­en und ihr Freund, der die Beamten für Einbrecher hielt, auf sie gefeuert hatte. „Sie war wie ich. Sie war wie du“, begründete Winfrey ihre Entscheidu­ng. „Und wie jeder, der unerwartet starb, hatte sie Pläne, gefüllt mit Verantwort­ung, Arbeit, Freunden und Lachen.“

Davor war sie zur Stimme der „Me Too“-Bewegung geworden. 2018, bei der Verleihung der Golden Globes, sprach sie von den Frauen, denen man weder zuhörte noch glaubte, wenn sie die Wahrheit über „brutal mächtige“Männer sagten, über Machotypen, deren Zeit nun abgelaufen sei. Danach meldete sich Meryl Streep mit einer euphorisch­en Empfehlung zu Wort: „Ich will, dass sie antritt, um Präsidenti­n zu werden.“Es war nicht das erste Mal, dass ihr jemand so etwas riet. Den Gedanken hatte, so paradox das im Nachhinein klingen mag, Donald Trump in die Debatte geworfen, der Bauunterne­hmer,

dem ihre Popularitä­t imponierte.

Geboren wurde die TalkshowQu­een 1954 im tiefen Süden des Landes, der damals noch ganz im Zeichen der Rassentren­nung stand. Ihre Teenager-Eltern trennen sich, bevor sie zur Welt kommt. Sie ist vier, da zieht ihre Mutter ohne sie in den Norden, nach Milwaukee. Oprah bleibt bei der Großmutter, die sie durch Prügel bestraft. Später folgt sie ihrer Mutter, rennt in der Pubertät von zu Hause weg und lebt auf der Straße, ehe sie zu ihrem Vater, einem Friseur, nach Nashville geht.

Mit 14 wird sie schwanger. Das Baby, eine Frühgeburt, stirbt kurz nach der Entbindung. Sie rappelt sich auf, studiert und beginnt bei einem Radiosende­r zu moderieren, in Nashville. Später wechselt sie zum Frühstücks­fernsehen nach Baltimore, von dort zieht sie nach Chicago, wo sie mit der „Oprah Winfrey Show“ihren Ruhm begründet.

Was die Sendung von der Konkurrenz unterschei­det, ist die Offenheit, mit der die Gastgeberi­n Probleme, Ängste, Traumata thematisie­rt. Auch ihre eigenen. Im Premierenj­ahr 1986 sitzt Laurie im Studio, eine Frau, die als Kind von ihrem Vater sexuell missbrauch­t worden ist. Lauries Geschichte sei auch die ihre, lässt Winfrey ihr verblüffte­s Publikum wissen. Mit neun sei sie zum ersten Mal vergewalti­gt worden, von einem 19-jährigen Cousin, mit dem sie aus Platznot das Bett teilen musste.

Einmal karrt sie einen Handwagen mit 67 Pfund Fett auf die Bühne, exakt das Gewicht, das sie bei einer Diät verloren hatte. Ob es nun an ihrer Freimütigk­eit lag oder der Einschaltq­uote, jedenfalls sahen sich manche Stars veranlasst, in ihr eine Beichtmutt­er zu sehen, zumindest bei ihr eine Art Beichte zu inszeniere­n. Whitney Houston erzählte von Drogen, der Radrennfah­rer Lance Armstrong von Doping, Michael Jackson von Vitiligo, der Krankheit, die seiner Haut die Pigmente raubte. Ihr Erfolgsrez­ept hat Winfrey einmal in zwei Stichpunkt­en beschriebe­n. Zuhören. Und versuchen, sich in den anderen hineinzuve­rsetzen.

 ?? FOTO: APPLE TV/ZUMA WIRE ?? Der ehemalige US-Präsident Barack Obama im Gespräch mit Oprah Winfrey. Nicht selten hat die Talkmaster­in Politik-Prominenz zu Gast.
FOTO: APPLE TV/ZUMA WIRE Der ehemalige US-Präsident Barack Obama im Gespräch mit Oprah Winfrey. Nicht selten hat die Talkmaster­in Politik-Prominenz zu Gast.

Newspapers in German

Newspapers from Germany