Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Nah bei den Leuten und doch fern
In Rheinland-Pfalz wird am Sonntag ein neuer Landtag gewählt. Marktplatz und Weinzelt funktioniert derzeit nicht. Die Kandidaten kämpfen virtuell.
BERLIN/MAINZ Malu Dreyer ist wieder da, wo sie gerne ist: bei den Leuten. Erst recht im Wahlkampf. Nur sind diese Corona-Zeiten anders. Kundgebungen auf Marktplätzen, in Weinzelten oder Gemeindezentren funktionieren in dieser Pandemie nicht. Und so ist die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin an diesem Montag sechs Tage vor dem Wahlsonntag virtuell zu Leuchttürmen ihrer Landespolitik aufgebrochen. Während ihr härtester Konkurrent um den Spitzenposten in der Staatskanzlei, CDU-Spitzenkandidat Christian Baldauf, sich am selben Morgen in seiner Heimatstadt Frankenthal dabei begleiten lässt, wie er ebenfalls öffentlichkeitswirksam seine Briefwahlunterlagen abgibt, ist SPD-Spitzenkandidatin Dreyer nach Ludwigshafen zu den Pfalzwerken aufgebrochen, wenn auch nur digital.
Gegenwärtig liegt die CDU vier Prozentpunkte hinter der SPD. Aber ein Swing von zwei Prozentpunkten genügt, um das ohnehin knappe Rennen noch enger werden zu lassen. Wenn da nur nicht die Maskenaffäre zweier Bundestagsabgeordneter von CDU und CSU wäre. Dreyer weiß um diese Lage, die ihr in diesem Fall den Vorteil verschafft. Die rheinland-pfälzische Regierungschefin lässt an diesem
Morgen René Chassein, Vorstandsmitglied der Ludwigshafener Pfalzwerke, erzählen, dass die Energiewende in ihrem Bundesland mit großen Schritten vorankomme. Grüner Strom, Photovoltaik, Wind, Wasser, Elektromobilität mit 220 Ladepunkten und 66 Schnellladestationen für E-Autos – alles da. Kurzum: In Rheinland-Pfalz scheint an vielen Tagen die Sonne.
Rund 30 Prozent der Wahlberechtigten seien noch unentschlossen, betont etwa CDU-Spitzenmann Baldauf, der die SPD im Land von Helmut Kohl nach 30 Jahren in der Staatskanzlei gerne ablösen würde. Und so versuchte Herausforderer Baldauf im Fernsehduell am vergangenen Freitag die bei den Menschen beliebte Ministerpräsidentin Dreyer auch bei einem SPD-Kernthema zu stellen: Bildung. Baldauf sprach gar vom „Bildungschaos“bei der
Digitalisierung und versprach „WLAN-Ausbau, Laptops für alle und IT-Fachleute, die die digitale Infrastruktur auch warten“, wenn er erst regieren würde. Und natürlich das große Corona-Thema, wo der CDU-Herausforderer Dreyer vorhielt, die von ihr geführte Landesregierung habe sich bei den Impfdosen zunächst verrechnet. Dreyer konterte, wenn man Termine habe verschieben müssen, dann, weil Hersteller wie Biontech zunächst weniger Impfstoff geliefert hätten als erhofft.
Dreyer weiß um ihre Verantwortung auch für den Bundestagswahlkampf ihrer Partei, der bald nach den Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg weiter an Fahrt gewinnen wird. Sie führt in Mainz eine funktionierende Ampelkoalition mit FDP und Grünen – eine Option, die auch der SPD-Spitzenkandidat im Bund, Olaf Scholz, gerne ziehen würde, wenn die Mehrheiten reichen. Rheinland-Pfalz ist damit gewissermaßen ein Modell für die Bundesebene. Doch noch kommt die SPD im Bund nicht von der Stelle, dümpelt bei rund 16 Prozent hinter den Grünen (20 Prozent).
Aber jetzt müssen Dreyer und Baldauf weiter virtuell um Stimmen kämpfen. Dreyer lässt sich dazu täglich aus einem Fernsehstudio in die Wahlkreise schalten. 150 bis 250 Zuschauer seien meist dabei.