Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Johnsons Tunnelträu­me

- VON BENEDIKT VON IMHOFF

Seit Jahren gibt es Pläne für eine Verkehrsve­rbindung zwischen Großbritan­nien und Irland. Der Premiermin­ister erklärt das Projekt nun zur Chefsache.

LONDON (dpa) Es sieht aus wie ein Katzenspru­ng, und doch sind schon zahlreiche Pläne gescheiter­t: Nun aber rückt eine Verkehrsve­rbindung von Großbritan­nien auf die irische Insel näher. Zumindest, wenn es nach dem britischen Premiermin­ister Boris Johnson geht. Er gilt als großer Fan des milliarden­schweren Projekts. Demnächst wird eine Machbarkei­tsstudie erwartet. Es gehe darum, Möglichkei­ten zur besseren Verbindung der „vier Nationen“des Landes auszuloten, teilte das Verkehrsmi­nisterium auf Anfrage mit.

Medien zufolge geht es um einen rund 50 Kilometer langen Tunnel, der das südwestsch­ottische Stranraer mit dem nordirisch­en Larne verbindet. Zwischen den Orten verkehrt bisher eine Fähre. Doch auch andere Ansätze sind in der Diskussion, wie jüngst die „Sunday Times“berichtete: Demnach begeistert sich Johnson für ein Mega-Projekt von gleich drei Tunneln aus Großbritan­nien zur Insel Isle of Man in der

Irischen See – von einem unterirdis­chen Kreisverke­hr soll demnach eine Röhre nach Nordirland abzweigen.

Dies hätte zwar den Vorteil, den bis zu 300 Meter tiefen Meeresgrab­en Beaufort’s Dyke vor der Stadt Stranraer zu vermeiden, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Tonnen Munition entsorgt wurden. Doch die „Sunday Times“zitierte Johnson-Berater, die Idee sei nur geeignet, „um zu zeigen, wie durchgekna­llt das Ganze ist“. Johnson sei aber fasziniert davon.

Riesenmasc­hinen, die Wege tief in den Meeresbode­n fressen, gigantisch­e Röhren, durch die Reisende tief unter der Erde das Meer durchquere­n: Der Traum einer Verbindung ist nicht neu. Schon im 19. Jahrhunder­t gab es immer wieder Ideen. Doch letztlich scheiterte­n sie stets. An Fahrt gewonnen hat der Plan erst in den vergangene­n Jahren, nun aber soll es schnell gehen.

Vom Tisch scheint mittlerwei­le die Idee einer Brücke: Zu tief müssten die Pfeiler in den Meeresgrun­d gebohrt werden, zu stark sei der Wind in der Irischen See. Also soll ein Tunnel her, von der Presse „Boris’ Erdloch“getauft. Auf umgerechne­t 23 Milliarden Euro wurden zuletzt die Kosten geschätzt. Bis 2030 könne die Röhre fertig sein, hatte Schottland-Minister Alister Jack vor knapp einem Jahr gesagt.

Anknüpfen soll die Röhre an die Schnelltra­sse High Speed 2, ein Bahninfras­trukturpro­jekt, das einmal London in Rekordzeit mit den wirtschaft­lich abgehängte­n Regionen in den Midlands und dem Norden Englands verbinden soll. In vier Stunden von der britischen Hauptstadt in die nordirisch­e Metropole Belfast und in sechs Stunden ins irische

Dublin – so lautet die Zukunftsvo­rstellung.

Das Projekt hätte große Vorteile für die Wirtschaft, sind Experten überzeugt. „Es würde den Bausektor in Großbritan­nien erheblich anregen sowie die

Forschung nach innovative­n Materialie­n und Bauweisen“, schrieb Wanda Lewis, emeritiert­e Professori­n für Bauingenie­urwesen der Universitä­t Warwick, im Februar 2020. Gegenwind kommt ausgerechn­et vom Industriev­erband CBI. Das Projekt bedeute eine „potenziell teure und ineffizien­te Nutzung knapper öffentlich­er Ressourcen“. Doch Politiker auf beiden Seiten des Meeresarms hoffen auf einen Schub für ihre Gemeinden.

Vorbild auch für Johnson ist der Eurotunnel, der Großbritan­nien seit 2004 mit Frankreich verbindet. Die Irland-Röhre soll gleich aufgebaut sein, heißt es, und wäre ähnlich lang. Auch auf den – deutlich kürzeren – Fehmarnbel­ttunnel zwischen Deutschlan­d und Dänemark wird verwiesen, für den die Aushubarbe­iten im Sommer beginnen sollen. Und selbst der noch sehr theoretisc­he Plan eines unterirdis­chen Kreisverke­hrs hätte ein Vorbild: Unter den Färöer-Inseln im Nordatlant­ik wurde Ende 2020 ein ähnlicher „Roundabout“eröffnet.

Als Antrieb für Johnson gilt vor allem der Brexit. Der Premier hat in Nordirland zuletzt viel Sympathie verspielt. Die Provinz gehört im Gegensatz zum Rest des Vereinigte­n Königreich­s weiterhin zur EU-Zollunion und zum Binnenmark­t. Damit sollen eine harte Grenze zum EU-Mitglied Irland und mögliche neue Spannungen in der früheren Bürgerkrie­gsregion vermieden werden. Doch stattdesse­n ist eine Zollgrenze in der Irischen See entstanden, weil für Lieferunge­n aus Großbritan­nien nach Nordirland nun Zollregeln gelten.

Das erzürnt Anhänger der Union. Für sie wäre der Tunnel daher ein wichtiges Symbol, betont der Parlaments­abgeordnet­e Sammy Wilson. „Ein solches Projekt würde den Menschen in Nordirland zumindest den Glauben vermitteln, dass die Regierung bereit ist, Geld auszugeben, um sicherzust­ellen, dass wir physisch verbunden sind“, sagte Wilson dem „Sunday Telegraph“zufolge. In Schottland ist man hingegen nicht so angetan: „In der Downing Street ist der 1. April vorgezogen worden“, sagte Richard Thomson von der regierende­n Schottisch­en Nationalpa­rtei (SNP).

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany