Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
„Dieser Anblick macht mich wütend“
Udo Depping war eng befreundet mit einem französischen Soldaten, der in der Melatenstraße wohnte. Da waren die Häuser noch eine gute Wohnadresse.
GOCH Er war lange genug Gocher, um die ganze Zeit, in der die „Belgierhäuser“am Stadtrand von Goch stehen, zu überblicken. Eine große Sache war das damals, als Mitte der 60er Jahre die „Hochhäuser“am Ende der Mühlenstraße errichtet wurden; für kleinstädtische Verhältnisse bedeutete der Komplex ein Stück Urbanität, an die man sich erst gewöhnen musste. Der „Schwarze Riese“gegenüber war noch nicht gebaut. Udo Depping erinnert sich noch gut daran, dass er sehr beeindruckt war, als er eine der Wohnungen in dem Komplex zum ersten Mal betrat. „Dort gab es Zentralheizung und ein großes Bad. In Kessel heizte ich damals noch mit Kohle“, erzählt Depping. Zu sehen und zu lesen, in welchem Zustand sich die Gebäude heute befinden, habe ihn, der inzwischen in Kleve lebt, sehr erschüttert. „Es macht mich wütend und tut mir richtig weh, denn es waren schöne Zeiten damals, an die ich oft denke“, sagt der Pensionär.
Dass Depping eine enge Bindung an die Häuser hat, liegt daran, dass der frühere Gocher mit einem französischen Soldaten befreundet war, der mit seiner deutschen Frau und den Kindern an der Melatenstraße wohnte. „Ich war in den 60ern als Radarmechaniker Zeitsoldat in der Reichswaldkaserne; auf dem Paulsberg in Uedem, wo wir zu tun hatten, und habe dort Gérard Menardi kennengelernt. Lustigerweise lernten sich unsere Frauen unabhängig von uns Männern im Gocher Kaufhaus kennen, wo sie beide jobbten. So war es naheliegend, dass wir uns verabredeten, und daraus ist eine wunderbare Freundschaft entstanden, die lange Jahrzehnte angedauert hat. Leider ist Gérard vor einiger Zeit tödlich verunglückt, und auch meine Frau ist bereits verstorben. Geblieben sind schön Erinnerungen, die nicht zuletzt mit dem Haus an der Melatenstraße verbunden sind.“
Die Wohnung sei großzügig gewesen, hell, mit einem modernen Bad mit ständig verfügbarem Warmwasser – das hatte damals beileibe nicht jeder. Alle Zimmer waren bequem zu beheizen, für die Kinder war draußen auf dem Rasen Gelegenheit zum Spielen.
Es gab ja längst noch nicht so viele Autos, die den Raum eingeengt und das Spielen gefährlich gemacht hätten. „Es war ja eine Sackgasse, eine richtige Idylle. Alles war sehr sauber dort, die belgischen, französischen und niederländischen Soldatenfamilien waren eine internationale Community,
die gut miteinander auskam, gerne feierte und zueinander stand. Und meine Familie war häufig dabei.“
Schön und praktisch seien zum Beispiel die Werkstätten gewesen, die sich einige Familien in ungenutzten Garagen eingerichtet hatten. Da gab es immer was zu schauen und zu erzählen. Bis 1976 – da übernahm die Bundeswehr den NATO-Standort – blieb die Familie Menardi in Goch, später mussten weite Fahrten unternommen werden, um die Freundschaft zu pflegen. „Das haben wir aber gerne getan, wir sind zusammen gereist und waren auch mehrfach in Frankreich, zuerst in der Provence, später dann im Elsass, wo die Menardis lebten. Dummerweise habe ich nie Französisch gelernt“, ärgert sich Udo Depping heute – Gérard habe so gut Deutsch gesprochen.
An seine Jahre als Soldat denkt der frühere Gocher gern zurück. „Ich bin auch dankbar dafür, dass mir die Bundeswehr mein Studium der Sozialpädagogik ermöglicht hat, das mich als Sozialarbeiter erst zum Kreisjugendamt und später zum Jugendamt nach Goch geführt hat.“In Kessel habe er ein Haus gebaut, zog aber, als die Kinder groß waren und er in Goch nichts Passendes fand, in eine Eigentumswohnung nach Kleve. „Aus der Distanz finde ich es um so unerträglicher, die Häuser zu sehen, die mit so schönen Erinnerungen verbunden sind und jetzt nur noch als Schandfleck gelten können.“
Depping kann es kaum begreifen, dass eine Kommune hilflos zusehen muss, wie Leute ihr Eigentum verwahrlosen lassen. Zumal ja Absperrmaßnahmen und Feuerwehreinsätze öffentliches Geld kosten. Gar nicht zu reden davon, dass sich in der Nähe zwei Tankstellen befinden; ein größerer Brand dort wäre extrem gefährlich, mahnt Depping.
Wie berichtet, versucht die Stadt seit geraumer Zeit, möglichst viele der Eigentümer, die zum Teil im Ausland ansässig sind, zu finden und mit ihnen zu klären, wie es weitergehen kann mit der Immobilie. Es könnte darauf hinauslaufen, die Mehrzahl der schrottreifen Wohnungen zu übernehmen, um als Mehrheitseigner irgendwann die Entscheidung zur Komplettsanierung zu treffen. Ein Abriss an Eigentümern vorbei ist vermutlich noch schwieriger durchsetzbar, obwohl das innenstadt-nahe Quartier städtebaulich interessant ist. „Ich hoffe sehr, dass eine Lösung gefunden wird“, sagt Depping. „So darf das einfach nicht bleiben.“