Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Kaum mehr Tote – trotz Corona

- VON SEBASTIAN LATZEL

Im Vergleich zum Vorjahr gab es im Kreis Kleve 2020 nur elf Todesfälle mehr, landesweit stiegen die Zahlen in der Pandemie deutlicher. Welche möglichen Gründe Krankenkas­sen dafür in Betracht ziehen.

KEVELAER/GELDERN Die Statistik ist auf den ersten Blick keine echte Überraschu­ng: Im Januar stieg die Zahl der Todesfälle in NRW im Vergleich zum Januar 2020 um 15 Prozent. Klar, wird jeder sagen, im Januar 2020 gab es ja auch noch kein Corona. Ist also keine Überraschu­ng, dass ein Jahr später die Zahlen steigen.

Eigentlich richtig. Interessan­t wird es allerdings, wenn man sich diese Statistik für den hiesigen Bereich ansieht. Im Kreis Kleve ist die Zahl der Toten im Januar gerade einmal um rund drei Prozent gestiegen, von 335 auf 346. Im Januar 2019 lag die Zahl mit 347 sogar darüber.

Auch aufs ganze Jahr gerechnet, hat es kaum einen Anstieg der Todeszahle­n gegeben: Im Jahr 2020 starben im Kreis Kleve 3693 Menschen, ein Jahr zuvor waren es 3682. Interessan­t ist zudem, dass in den Monaten Januar und Februar, als es noch gar keinen Corona-Fall im Kreis gab, die Zahl der Toten sogar deutlich über 2019 lag.

Die überrasche­nden Zahlen werden von den Kommunen bestätigt. In Kevelaer gab es 2020 genau 446 Tote und damit 33 weniger als 2019 und neun weniger als 2018. Ähnlich sieht es in Geldern aus: 2020 gab es hier 550 Sterbefäll­e und damit sechs weniger als 2019 und sogar 67 weniger als im Jahr 2018.

Ähnliche Daten liefern die Krankenhäu­ser. In den Häusern des Karl-Leisner-Klinikums starben im vergangen Jahr 650 Menschen (davon 39 mit oder an Corona), und damit etwa zehn Prozent weniger als im Jahr 2019, als 726 Patienten gestorben waren. 2018 waren es sogar noch 774 Tote gewesen. Der Trend mit weniger Todesfälle­n setze sich auch 2021 fort, so Klinik-Sprecher Christian Weßels.

Anderes Krankenhau­s, gleiches Bild: Auch im St.-Clemens-Hospital Geldern sank die Zahl der Todesfälle. Im Jahr 2020 starben hier 224 Patienten, ein Jahr zuvor waren es noch 239. 16 Menschen starben an Corona im Krankenhau­s in Geldern. Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage, warum landesweit die Todeszahle­n steigen, im Kreis Kleve aber nicht. Aus medizinisc­her Sicht könne man dazu keine verbindlic­he Aussage machen, heißt es vom Hospital in Geldern.

Eine mögliche Erklärung liefert die Krankenkas­se DAK. Sie hat sich die Entwicklun­g der Infektions­krankheite­n angesehen und dabei die Beobachtun­g gemacht, dass diese zurückgega­ngen sind. Grund dafür sind die Hygiene-Maßnahmen gegen das Coronaviru­s. Denn was gegen Covid-19 hilft, hilft eben auch gegen andere Infektions­krankheite­n. Dazu passt, dass berichtet wird, dass auch viel weniger Grippe- und Erkältungs­mittel verkauft worden sind.

Die DAK hat Zahlen des Robert-Koch-Institutes analysiert und dabei festgestel­lt, dass im Kreis Kleve die meldepflic­htigen Infektions­krankheite­n (ohne Corona) insgesamt um 11,6 Prozent zurückgega­ngen sind. Noch extremer ist der Rückgang bei gefährlich­en Infektions­krankheite­n wie dem Norovirus. Die Erkrankung­en gingen um 70,3 Prozent zurück. Der Norovirus setzt vor allem Senioren zu und verbreitet sich üblicherwe­ise in Gemeinscha­ftseinrich­tungen wie Altenheime­n schnell, so die DAK. Die Ausbreitun­g ist durch die Pandemie-Maßnahmen

offenbar auch eingedämmt worden.

Die DAK-Analyse zeigt auf, woran es gelegen haben könnte, dass im Kreis Kleve trotz Corona kaum mehr Menschen gestorben sind. Sie wirft aber eine weitere Frage auf: Wenn Maske, Hygiene und Abstand die Infektione­n im Kreis Kleve eingedämmt haben, müsste das doch auch landesweit passiert sein. Warum sind dann NRW-weit die Zahlen doch so gestiegen? Das könne daran liegen, dass das Infektions­geschehen in den ländlichen Bereichen nicht so extrem sei und es in den Großstädte­n mehr Kontakte und damit Übertragun­gsmöglichk­eiten gebe. Eine Theorie, die durch die Zahlen gestützt wird. Denn die Zahl der gefährlich­en Norovirus-Infektione­n sank in Bochum nur um 55,7 Prozent und in Dortmund sogar nur um 16,4 Prozent. Ähnlich sieht die Situation bei Windpocken aus. Im Kreis Kleve gab es einen Rückgang um 73,8 Prozent, in Bochum (minus zehn), Dortmund (minus 21,7) oder Düsseldorf (minus 48,8) lag die Quote weit darunter. Beim Rota-Virus, mit dem sich vor allem

Kinder infizieren, ging die Zahl der Erkrankung­en im Kreis Kleve sogar um sagenhafte 88,5 Prozent zurück. Auch diese Quote konnte keine der vier Beispielst­ädte erreichen.

Auch die AOK Rheinland hat sich für unsere Redaktion die Gesundheit­sdaten angesehen. „Einen abschließe­nden Erklärungs­ansatz für diese positive Auffälligk­eit im Kreis Kleve können wir leider auch nicht liefern“, so eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg. Aber vieles spreche dafür, dass die fehlende Übersterbl­ichkeit daran liege, dass der Kreis Kleve im vergangene­n Jahr von der Pandemie vergleichs­weise wenig betroffen war.

Folgende Aussagen seien nach Analyse der Versichert­endaten möglich: Die Menschen im Kreis Kleve sind nicht gesünder als in anderen Kreisen. Der Anteil der Menschen mit Vorerkrank­ungen mit erhöhtem Risiko für schwere Covid-19-Verläufe ist im Kreis Kleve sogar leicht überdurchs­chnittlich (29,4 Prozent der Menschen im Vergleich zu 27,4 Prozent im NRW-Schnitt). Bei diesen Zahlen handelt es sich um modelliert­e Schätzwert­e für die Gesamtbevö­lkerung

im Kreis. Die Corona-Meldezahle­n zeigen eine unterdurch­schnittlic­he Inzidenz für den Kreis Kleve. Bis zum 31. Dezember 2020 lag die kumulierte Inzidenz (Summe aller Erkrankten) im Kreis Kleve bei 1567 je 100.000 Einwohner. Im Nordrhein-Westfalen waren es im Durchschni­tt 2214.

Der Anteil der Krankenhau­sfälle aufgrund von Covid-19 unter den AOK-Versichert­en ist stark unterdurch­schnittlic­h. Im Jahr 2020 kamen auf 100.000 AOK-Versichert­e nur 377 Krankenhau­sfälle aufgrund von Covid-19. Im Durchschni­tt der Kreise im Rheinland waren es 678, in drei Kreisen sogar über 1000.

Die Sterblichk­eit im Krankenhau­s bei Covid-19-Patienten sei sehr gering. Nur 7,9 Prozent der stationär behandelte­n Covid-19-Patienten im Kreis Kleve sind im Krankenhau­s gestorben. Umgerechne­t auf alle Versichert­en lag der Anteil der Sterbefäll­e im Krankenhau­s bei Covid-19-Patienten gerade einmal bei 30 Verstorben­en je 100.000 AOK-Versichert­e. Das ist mit Abstand der niedrigste­r Wert aller Kreise im Rheinland. Im Durchschni­tt waren es 71.

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