Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Kaum mehr Tote – trotz Corona
Im Vergleich zum Vorjahr gab es im Kreis Kleve 2020 nur elf Todesfälle mehr, landesweit stiegen die Zahlen in der Pandemie deutlicher. Welche möglichen Gründe Krankenkassen dafür in Betracht ziehen.
KEVELAER/GELDERN Die Statistik ist auf den ersten Blick keine echte Überraschung: Im Januar stieg die Zahl der Todesfälle in NRW im Vergleich zum Januar 2020 um 15 Prozent. Klar, wird jeder sagen, im Januar 2020 gab es ja auch noch kein Corona. Ist also keine Überraschung, dass ein Jahr später die Zahlen steigen.
Eigentlich richtig. Interessant wird es allerdings, wenn man sich diese Statistik für den hiesigen Bereich ansieht. Im Kreis Kleve ist die Zahl der Toten im Januar gerade einmal um rund drei Prozent gestiegen, von 335 auf 346. Im Januar 2019 lag die Zahl mit 347 sogar darüber.
Auch aufs ganze Jahr gerechnet, hat es kaum einen Anstieg der Todeszahlen gegeben: Im Jahr 2020 starben im Kreis Kleve 3693 Menschen, ein Jahr zuvor waren es 3682. Interessant ist zudem, dass in den Monaten Januar und Februar, als es noch gar keinen Corona-Fall im Kreis gab, die Zahl der Toten sogar deutlich über 2019 lag.
Die überraschenden Zahlen werden von den Kommunen bestätigt. In Kevelaer gab es 2020 genau 446 Tote und damit 33 weniger als 2019 und neun weniger als 2018. Ähnlich sieht es in Geldern aus: 2020 gab es hier 550 Sterbefälle und damit sechs weniger als 2019 und sogar 67 weniger als im Jahr 2018.
Ähnliche Daten liefern die Krankenhäuser. In den Häusern des Karl-Leisner-Klinikums starben im vergangen Jahr 650 Menschen (davon 39 mit oder an Corona), und damit etwa zehn Prozent weniger als im Jahr 2019, als 726 Patienten gestorben waren. 2018 waren es sogar noch 774 Tote gewesen. Der Trend mit weniger Todesfällen setze sich auch 2021 fort, so Klinik-Sprecher Christian Weßels.
Anderes Krankenhaus, gleiches Bild: Auch im St.-Clemens-Hospital Geldern sank die Zahl der Todesfälle. Im Jahr 2020 starben hier 224 Patienten, ein Jahr zuvor waren es noch 239. 16 Menschen starben an Corona im Krankenhaus in Geldern. Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage, warum landesweit die Todeszahlen steigen, im Kreis Kleve aber nicht. Aus medizinischer Sicht könne man dazu keine verbindliche Aussage machen, heißt es vom Hospital in Geldern.
Eine mögliche Erklärung liefert die Krankenkasse DAK. Sie hat sich die Entwicklung der Infektionskrankheiten angesehen und dabei die Beobachtung gemacht, dass diese zurückgegangen sind. Grund dafür sind die Hygiene-Maßnahmen gegen das Coronavirus. Denn was gegen Covid-19 hilft, hilft eben auch gegen andere Infektionskrankheiten. Dazu passt, dass berichtet wird, dass auch viel weniger Grippe- und Erkältungsmittel verkauft worden sind.
Die DAK hat Zahlen des Robert-Koch-Institutes analysiert und dabei festgestellt, dass im Kreis Kleve die meldepflichtigen Infektionskrankheiten (ohne Corona) insgesamt um 11,6 Prozent zurückgegangen sind. Noch extremer ist der Rückgang bei gefährlichen Infektionskrankheiten wie dem Norovirus. Die Erkrankungen gingen um 70,3 Prozent zurück. Der Norovirus setzt vor allem Senioren zu und verbreitet sich üblicherweise in Gemeinschaftseinrichtungen wie Altenheimen schnell, so die DAK. Die Ausbreitung ist durch die Pandemie-Maßnahmen
offenbar auch eingedämmt worden.
Die DAK-Analyse zeigt auf, woran es gelegen haben könnte, dass im Kreis Kleve trotz Corona kaum mehr Menschen gestorben sind. Sie wirft aber eine weitere Frage auf: Wenn Maske, Hygiene und Abstand die Infektionen im Kreis Kleve eingedämmt haben, müsste das doch auch landesweit passiert sein. Warum sind dann NRW-weit die Zahlen doch so gestiegen? Das könne daran liegen, dass das Infektionsgeschehen in den ländlichen Bereichen nicht so extrem sei und es in den Großstädten mehr Kontakte und damit Übertragungsmöglichkeiten gebe. Eine Theorie, die durch die Zahlen gestützt wird. Denn die Zahl der gefährlichen Norovirus-Infektionen sank in Bochum nur um 55,7 Prozent und in Dortmund sogar nur um 16,4 Prozent. Ähnlich sieht die Situation bei Windpocken aus. Im Kreis Kleve gab es einen Rückgang um 73,8 Prozent, in Bochum (minus zehn), Dortmund (minus 21,7) oder Düsseldorf (minus 48,8) lag die Quote weit darunter. Beim Rota-Virus, mit dem sich vor allem
Kinder infizieren, ging die Zahl der Erkrankungen im Kreis Kleve sogar um sagenhafte 88,5 Prozent zurück. Auch diese Quote konnte keine der vier Beispielstädte erreichen.
Auch die AOK Rheinland hat sich für unsere Redaktion die Gesundheitsdaten angesehen. „Einen abschließenden Erklärungsansatz für diese positive Auffälligkeit im Kreis Kleve können wir leider auch nicht liefern“, so eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg. Aber vieles spreche dafür, dass die fehlende Übersterblichkeit daran liege, dass der Kreis Kleve im vergangenen Jahr von der Pandemie vergleichsweise wenig betroffen war.
Folgende Aussagen seien nach Analyse der Versichertendaten möglich: Die Menschen im Kreis Kleve sind nicht gesünder als in anderen Kreisen. Der Anteil der Menschen mit Vorerkrankungen mit erhöhtem Risiko für schwere Covid-19-Verläufe ist im Kreis Kleve sogar leicht überdurchschnittlich (29,4 Prozent der Menschen im Vergleich zu 27,4 Prozent im NRW-Schnitt). Bei diesen Zahlen handelt es sich um modellierte Schätzwerte für die Gesamtbevölkerung
im Kreis. Die Corona-Meldezahlen zeigen eine unterdurchschnittliche Inzidenz für den Kreis Kleve. Bis zum 31. Dezember 2020 lag die kumulierte Inzidenz (Summe aller Erkrankten) im Kreis Kleve bei 1567 je 100.000 Einwohner. Im Nordrhein-Westfalen waren es im Durchschnitt 2214.
Der Anteil der Krankenhausfälle aufgrund von Covid-19 unter den AOK-Versicherten ist stark unterdurchschnittlich. Im Jahr 2020 kamen auf 100.000 AOK-Versicherte nur 377 Krankenhausfälle aufgrund von Covid-19. Im Durchschnitt der Kreise im Rheinland waren es 678, in drei Kreisen sogar über 1000.
Die Sterblichkeit im Krankenhaus bei Covid-19-Patienten sei sehr gering. Nur 7,9 Prozent der stationär behandelten Covid-19-Patienten im Kreis Kleve sind im Krankenhaus gestorben. Umgerechnet auf alle Versicherten lag der Anteil der Sterbefälle im Krankenhaus bei Covid-19-Patienten gerade einmal bei 30 Verstorbenen je 100.000 AOK-Versicherte. Das ist mit Abstand der niedrigster Wert aller Kreise im Rheinland. Im Durchschnitt waren es 71.