Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Wo Kinder übers Sterben sprechen
„Schluss mit lustig?“: Ein Hospiz in Wuppertal hat den bundesweit ersten Podcast vorgelegt, der die Arbeit mit jungen Patienten thematisiert. Dabei geht es überraschend fröhlich zu.
WUPPERTAL Der Abschiedsraum gefällt Joel, Angst vor dem Tod hat er nicht. Respekt, das ja. Aber Angst mache unglücklich, sagt er, und wenn man unglücklich sei, rase das Leben an einem vorbei. Und das gelte es doch eigentlich zu genießen, so gut es gehe. So wie er. Joel weiß sehr genau, wovon er im Podcast „Schluss mit lustig?“bemerkenswert offen und reflektiert erzählt. Der 18-Jährige leidet an einer Muskelerkrankung, die vorzeitig zum Tod führen wird. Geholfen wird ihm unter anderem im Bergischen Kinder- und Jugendhospiz Burgholz in Wuppertal, und dessen Podcast nutzt Joel als Plattform, um anderen Betroffenen Mut zu machen, von seinem Alltag mit und vor allem ohne Hospiz zu erzählen. Schluss mit lustig? Für ihn auf keinen Fall.
Mit einem Podcast einmal im Monat das schwierige Thema Tod und Sterben von Kindern aufzugreifen, scheint nicht unbedingt naheliegend. Oder eben gerade. Hospizleiterin Kerstin Wülfing hatte die Idee, damit auf eine Arbeit aufmerksam zu machen, die viele Menschen lieber aus ihrem Bewusstsein verbannen. „Man möchte sich normalerweise nicht damit beschäftigen, wie Kinder sterben“, sagt sie. Selbstverständlich sei das traurig. Andererseits gehe es darum, das Beste aus der kurzen Lebenszeit zu machen, so wie im Fall von Joel. Was den etwas provokanten Titel und das Fragezeichen erklärt. Denn Kinderhospiz, das bedeute eben nicht Schluss mit lustig, betont Wülfing: „Nirgendwo gibt es so viel Lebensfreude wie in Hospizen. Wir feiern das Leben jeden Tag.“
Nun eben auch mit einem Podcast. Dem bundesweit ersten, das von einem Kinderhospiz herausgebracht wird. Das Team war sofort begeistert von der Idee, erzählt Wülfing. Vor allem Pädagoge Moritz Faust. Erfahrung mit dem Medium hatte er keine, aber genauso wenig Berührungsängste. Der 27-Jährige produziert die Sendung, führt die Gespräche, denkt sich gemeinsam mit Wülfing die Themen aus. Es geht darum, den Hospiz-Alltag zu beleuchten, alle Beteiligten und Betroffenen zu Wort kommen zu lassen – Kinder, Eltern, Betreuer. Ohne gegenseitiges Vertrauen würde das nicht funktionieren. „Natürlich überlegen wir vorher gemeinsam mit dem Gesprächspartner, über welche Themen wir reden, wo wir Grenzen ziehen“, sagt Faust. Aber Fragen würden nicht abgesprochen, es soll spontan bleiben, authentisch. Zur Not werde allzu Intimes herausgeschnitten.
Was bislang aber niemand verlangte habe.
Viele seien froh, über sich erzählen zu können, davon, was sie bewegt, was sie sich erhoffen und was ihnen Spaß macht. „Für die Betroffenen ist es schön, dass sie nicht nur auf ihre Krankheit reduziert werden, das erleben sie oft genug im Alltag“, sagt Wülfing. Ihr Ziel ist es, diese Geschichten in die Welt zu tragen und damit auch Familien zu erreichen, die von der Arbeit im Hospiz wenig wissen. Denn während Erwachsene im Hospiz in ihrer letzten Lebensphase begleitet werden, unterstützen Kinderhospize junge Menschen mit lebenslimitierenden Erkrankungen und deren Familien teils über viele Jahre hinweg, ermöglichen zum Beispiel wöchentliche Aufenthalte, um Angehörige bei der Pflege zu entlasten, fördern den Austausch mit anderen Eltern, helfen aber auch bei der Trauerarbeit.
„Unsere Hauptaufgabe ist es, Leben zu begleiten, immer wieder zu schauen, was geht, Dinge zu ermöglichen“, sagt Wülfing. Unter den Eltern wie den Kindern sind über die Jahre feste Freundschaften entstanden, viele Jugendliche treffen sich einmal im Jahr im Sommercamp, manche Eltern halten die Beziehung zum Haus und zu Trauergruppen weit über den Tod ihres Kindes hinaus aufrecht. Im Hospiz finden alle zusammen. „Im Unterschied zu anderen Orten ist das Sterben hier kein Tabu“, sagt Wülfing. „Es ist allgegenwärtig und auch wieder nicht, aber man darf es ansprechen. Auch wenn wir nicht immer eine Antwort wissen.“Wenn ein Kind gestorben ist, setzen sich alle im Wohnzimmer zusammen, zünden eine Kerze an, lesen einen Text und erzählen Geschichten über den Toten.
Mit diesem festen Ritual wird versucht, die Kinder über die Erinnerung an sie am Leben zu erhalten, auch Trost zu spenden durch die Gemeinschaft. „Letztendlich müssen sich die Eltern selbst mit dem Thema auseinandersetzen“, sagt Wülfing. „Wir können nur da sein und versuchen, ein wenig den Schrecken zu nehmen.“
Auch für die Mitarbeiter ist es nicht leicht, Kinder sterben zu sehen. Hilfreich sei eine positive Einstellung, erklärt Wülfing, die Fähigkeit, das Leben so zu nehmen, wie es ist. Pädagoge Moritz Faust sieht das genauso. Dazu schöpfe er Kraft daraus, dass er die Arbeit als sinnstiftend empfinde. Etwa, wenn es gelinge, die Familie intensiv zu begleiten, ihr einen würdigen Abschied zu ermöglichen, das Gefühl zu vermitteln, dass es in Ordnung sei, ihr Kind loszulassen. „Am Ende geht es darum, dass die Familie weiterleben kann, das sie den Tod des Kindes als Teil ihres Lebens annimmt und nicht dauerhaft darunter leidet“, sagt Wülfing.
Alles das soll nach und nach auch im Podcast thematisiert werden. Die Resonanz bislang ist gut, auch die Reichweite nimmt zu. Nicht ganz unwichtig für Wülfing, die sich als Nebeneffekt erhofft, mehr Spenden zu generieren. Denn nur 95 Prozent der Hospizarbeit wird von den Krankenkassen finanziert, der Rest – dazu gehören etwa Kosten für die Begleitung der Angehörigen – muss über Spenden bezahlt werden, rund eine Million Euro im Jahr. Dadurch, dass viele Benefizveranstaltungen im vergangenen Jahr wegen Corona ausgefallen sind, fehlt es derzeit an Mitteln. Für Kerstin Wülfing und ihr Team ist das aber eher eine Herausforderung. Aufgeben kommt nicht infrage. Auch für sie ist die Titelfrage ihres Podcasts damit eine rein rhetorische.