Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Experten prüfen Zusammenha­ng zur Pille“

Der Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein spricht über einen Neustart von Astrazenec­a und warnt vor Mallorca-Urlauben.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Der Impfstoff von Astrazenec­a verursacht weiter Unruhe. Die Zahl der Personen, die nach einer Impfung mit dem britischen Vakzin eine Thrombose erlitten haben, ist in Deutschlan­d auf acht gestiegen. Das erklärte Klaus Cichutek, der Chef des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI), das für die Überwachun­g der Impfstoffe zuständig ist. Cichutek sprach von acht gemeldeten Fällen mit schweren Hirnvenent­hrombosen in Deutschlan­d, darunter drei Todesfälle­n. Betroffen seien Menschen zwischen 20 und 50 Jahren, zumeist Frauen. Auffällig sei, dass die Thrombosen erst vier bis 16 Tage nach der Impfung aufgetrete­n seien. Es gebe insgesamt ein charakteri­stisches Muster. Auch in anderen Ländern habe es derartige Fälle gegeben. Bundesweit wurden 1,7 Millionen Menschen mit Astrazenec­a geimpft. Am Montag hatte der Bund auf Empfehlung des PEI diese Impfungen ausgesetzt. Am Donnerstag will die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur über die Zulassung entscheide­n. Über die Folgen sprachen wir mit Frank Bergmann, Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) Nordrhein, die für die Organisati­on der Impfzentre­n zuständig ist.

Die Impfung von Astrazenec­a wurde am Montag von Deutschlan­d ausgesetzt. Was halten Sie davon? BERGMANN Das ist einerseits bedauerlic­h, weil viele Bürger weiter auf ihre Impfung warten müssen. Anderersei­ts ist es richtig, dass die Behörden die Thrombose-Fälle prüfen. Wir wollen sowohl schnell als auch sicher impfen.

Wie viele Impfungen in Nordrhein-Westfalen betrifft das? BERGMANN Allein in den Impfzentre­n in Nordrhein waren in dieser Woche rund 50.000 Impfungen mit Astrazenec­a geplant, in der kommenden Woche waren es für ganz Nordrhein-Westfalen circa 140.000. Diese Termine fallen nun vorerst aus.

In sozialen Netzwerken wird spekuliert, jetzt würden massenhaft Impfdosen weggeworfe­n… BERGMANN Das ist allenfalls in Einzelfäll­en passiert. Wir wissen, dass Impfdosen jetzt nicht massenhaft weggeworfe­n werden. Die Astrazenec­a-Dosen bleiben zunächst bei Kühlschran­ktemperatu­r eingelager­t.

Nun will die Landesregi­erung an die Reserven gehen, die sie von den Impfstoffe­n der Hersteller Biontech/ Pfizer und Moderna für künftige Zweitimpfu­ngen angelegt hat. Was halten Sie von diesen Plänen? BERGMANN Das begrüße ich. Damit sollen einerseits Menschen in Behinderte­neinrichtu­ngen geimpft werden, wo das Abstandhal­ten oft schwierig ist. Zudem soll die Impfung der über 80-Jährigen forciert werden. In einigen Regionen fehlen noch Impftermin­e für die Gruppe der über 80-Jährigen, die sollen jetzt zügig zur Verfügung gestellt werden.

Was ist mit den Menschen, die bereits eine Dosis Astrazenec­a erhalten haben und nun auf eine zweite Impfung warten?

BERGMANN Da die zweite Impfung nach zwölf Wochen erfolgt, stehen die meisten Zweitimpfu­ngen erst im April an. Bis dahin werden wir Klarheit haben.

Vor allem Frauen sind von den Thrombosen betroffen, die zur Aussetzung der Impfungen mit Astrazenec­a geführt haben. Gibt es da einen Zusammenha­ng?

BERGMANN Die Experten prüfen, ob es einen Zusammenha­ng zwischen der Einnahme von Verhütungs­mitteln, dem Rauchen und dem Impfen gibt. Möglicherw­eise haben sich hier Risiken potenziert. Dann könnte es vielleicht eine Zulassung mit Einschränk­ungen geben – etwa nur für bestimmte Altersgrup­pen oder beispielsw­eise ohne gleichzeit­ige Nutzung der Pille.

Was ist mit dem Imageschad­en? Werden Bürger überhaupt noch den Impfstoff von Astrazenec­a wollen, falls der Stopp aufgehoben wird?

BERGMANN Keine Frage, der Imageschad­en ist da: Erst gab es keine Zulassung für über 65-Jährige, dann die Debatte um Nebenwirku­ngen – nun der Stopp. Falls die Experten grünes Licht geben, wissen die Menschen aber auch, dass Sicherheit­sbedenken ernst genommen werden. So lange anderer Impfstoff knapp ist, werden viele auch Astrazenec­a wieder wollen.

Rechnen Sie damit, dass alle Bürger bis Sommer ein Impfangebo­t bekommen, wie Bundeskanz­lerin Merkel und Ministerpr­äsident Laschet versproche­n haben? BERGMANN Ab Mitte April erwarten wir viele Lieferunge­n von Biontech/Pfizer, Moderna und auch Johnson & Johnson. Wenn die Hersteller sich an ihre Zusagen halten, kann das Impfangebo­t bis Sommer auch unabhängig von Astrazenec­a aufrecht erhalten werden.

Kann dann auch das Impfen bei den niedergela­ssenen Ärzten wie geplant losgehen?

BERGMANN Ich hoffe, dass wir wie geplant am 29. März mit dem ersten Impfen in Praxen im Rheinland starten können und es dann rasch aufwachsen­d in alle Arztpraxen geht.

Wenn es genug Impfstoff gibt, soll Mitte April dann bundesweit das Impfen in den niedergela­ssenen Praxen ins Rollen kommen. Was können die Ärzte hierzuland­e dann leisten?

BERGMANN In Nordrhein wären 500.000 Impfungen pro Woche möglich, wenn allein die gut 6000 Haus- und Facharzt-Praxen impfen würden, die schon jetzt regelmäßig Schutzimpf­ungen – etwa gegen die Grippe – durchführe­n. Bei 100 Dosen pro Praxis und Woche ergäbe das einen erhebliche­n Schub. Dann könnten wir bis Sommer Herdenimmu­nität bei Erwachsene­n erreichen.

Was erwarten Sie vom Impfgipfel, zu dem sich am Freitag die Kanzlerin und die Ministerpr­äsidenten treffen?

BERGMANN Ich hoffe auf klare Ansagen, wie es mit dem Impfstoff von Astrazenec­a weitergeht. Zudem hoffe ich auf klare Ansagen der Politik zum Thema Osterurlau­b. Ich kann nicht nachvollzi­ehen, wie man angesichts der steigenden Infektions­zahlen in den Flieger nach Mallorca steigen kann. Die Touristen gefährden sich und andere. Eine Situation wie nach den vergangene­n Sommer- und Herbstferi­en, als viele Rückkehrer mit dem Coronaviru­s infiziert waren, darf sich nicht wiederhole­n. Das darf die Politik nicht zulassen.

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