Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Der Getriebene

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn steht massiv in der Kritik. Vieles, was falsch läuft in der Corona-Pandemie, wird bei ihm abgeladen – nur manches hat der CDU-Politiker selbst zu verantwort­en. Von einem, der weitermach­t.

BERLIN Der Montag war ein Tiefpunkt. Selbst im Alltag eines Politikers, der zurzeit ohnehin nicht viele frohe Botschafte­n verkünden kann. Die Aussetzung des Impfens mit dem Impfstoff von Astrazenec­a – das Überbringe­n dieser Botschaft ist Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) besonders schwergefa­llen. Man könne sich vorstellen, was diese Entscheidu­ng in den Impfzentre­n ausgelöst habe, die Trageweite sei allen Beteiligte­n sehr bewusst gewesen, heißt es dazu aus dem Ministeriu­m.

Prominente Mediziner springen ihm bei. „Herr Spahn kann doch gar nicht anders entscheide­n, wenn die Expertinne­n und Experten vom Paul-Ehrlich-Institut ihm so eine Botschaft auf den Tisch legen“, sagt das Präsidiums­mitglied der Intensivme­diziner-Vereinigun­g Divi, Uwe Janssens. Janssens ist nicht immer auf der Seite des Ministers.

Der Politiker Spahn wusste sehr genau, was die Entscheidu­ng nach sich ziehen würde: Erneut schlechte Nachrichte­n, erneut schlechte Schlagzeil­en über die schleppend­e Impfkampag­ne. Über das Corona-Management der Regierung, über ihn. Schlechte Nachrichte­n in Zeiten, in denen alle mit den Nerven am Ende sind. Ein Debakel.

Der 40-Jährige geht seit dem Jahreswech­sel durch die schwerste Phase seiner politische­n Karriere. Dabei wird er für eigene Fehler und Kommunikat­ionspannen genauso kritisiert wie für eine diffuse Pandemie-Lage, Engpässe und verkrustet­e Strukturen. Auch Missmanage­ment auf vielen Ebenen, für das er als Gesundheit­sressortch­efs die politische Verantwort­ung trägt, welches ihm aber persönlich nicht angekreide­t werden kann.

Spahn als Blitzablei­ter für den Corona-Frust? In diesen Tagen wirkt es so. Es ist gerade leicht, ihn anzugreife­n, zu versuchen, ihn politisch kaltzustel­len. FDP-Vizes oder die Bundesvors­itzende der Jusos, die sich aktuell an ihm abarbeiten, sind dabei eher eine Begleiters­cheinung. Problemati­scher sind Hinweise von Kabinettsk­ollegen, die ihn als Ankündigun­gsminister abtun. Und noch problemati­scher für Spahn ist die Abkühlung einer ohnehin nie wirklich herzlichen Beziehung zwischen ihm und Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Als ihm im Januar Kabinettsk­ollege und SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz eine Liste mit Fragen zur Impfstoffb­eschaffung vorlegt, ahnt Spahn, dass es ungemütlic­h wird. Auch Merkel reagiert verschnupf­t auf veröffentl­ichte Briefe, die zeigen, dass Spahn innerhalb der EU früh auf eine andere Bestellstr­uktur von Impfstoffe­n drang. Ein Kabinettsa­usschuss ist die Folge, Spahn muss Verantwort­ung abtreten.

In diesen Wintertage­n geht es auch um falsche persönlich­e Einschätzu­ngen. Um kriselnde Krisenkomm­unikation. Auch in der Partei beginnt es irgendwie aus dem Ruder zu laufen. Spahn war populärer in Umfragen als sein Teampartne­r Armin Laschet (CDU), beliebt in der Fraktion und im Wirtschaft­sflügel der Partei – so hörte man zunächst ein Raunen, er sei doch der viel geeigneter­e Kanzlerkan­didat. Ob er das selbst befeuert hat, darüber gibt es unterschie­dliche Aussagen. Am Ende bleibt etwas zurück, ein kurzer digitaler Auftritt beim Parteitag zur Unterstütz­ung Laschets kommt nicht gut an.

Ein teurer Hauskauf, außerdem ein Sponsorene­ssen zu Zeiten, in denen man besser bereits daheim geblieben wäre. Einzeln sind diese

Dinge erklärbar, die Summe aber ist mindestens unglücklic­h. Eines ist gewiss: Jens Spahn ist in der größten Bedrängnis seiner Karriere.

Spahn ist das, was man im englischen als „political animal“bezeichnet. Ein Politiker aus Leidenscha­ft, der sich engagiert, weil er etwas verbessern will. Gleichzeit­ig ist er ehrgeizig und machtbewus­st. Zwei Eigenschaf­ten, ohne die es nicht geht in der Politik – auch wenn man sie gut verbergen sollte. Das gelang ihm in der Vergangenh­eit nicht immer.

Doch in der CDU hat er immer noch viele Befürworte­r. Vor allem bei den jüngeren Ministerpr­äsidenten, der Basis, in Teilen der Fraktion. Ehrlicherw­eise ist es für alle anderen in Spitzenpos­itionen auch nicht ganz unpraktisc­h gerade, dass einer den öffentlich­en Frust quasi magisch anzieht.

Was macht das mit jemandem, eigentlich erfolgsver­wöhnt und noch lange nicht am Ende seiner politische­n Karriere? Zynischer sei er geworden, sagt einer, der ihn lange und gut kennt. Aufbrausen­der. Aber sehr klar. Spahn kenne das Geschäft und konzentrie­re sich auf seine Arbeit. Von morgens sehr früh bis abends sehr spät brennt im Chefzimmer das Licht, berichten Mitarbeite­r. Spahn weiß, dass er Fehler gemacht hat. Schuld abwälzen, das ist nicht seine Art. Dickköpfig ja, aber nicht unfair. Hinschmeiß­en, alles hinter sich lassen – derzeit kommt es für ihn nicht in Frage. Einer muss den Job ja machen.

Disziplin und Härte auch gegen sich selbst mögen ihm helfen. Sollte der Sommer wieder in Nicht-Corona-Bahnen verlaufen, so könnte er nach der Wahl in der CDU immer noch eine wichtige Rolle spielen. Darauf setzt er. Ob es so kommt? Wie alles in diesem Corona-Frühling: Ausgang ungewiss.

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