Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Der Getriebene
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn steht massiv in der Kritik. Vieles, was falsch läuft in der Corona-Pandemie, wird bei ihm abgeladen – nur manches hat der CDU-Politiker selbst zu verantworten. Von einem, der weitermacht.
BERLIN Der Montag war ein Tiefpunkt. Selbst im Alltag eines Politikers, der zurzeit ohnehin nicht viele frohe Botschaften verkünden kann. Die Aussetzung des Impfens mit dem Impfstoff von Astrazeneca – das Überbringen dieser Botschaft ist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) besonders schwergefallen. Man könne sich vorstellen, was diese Entscheidung in den Impfzentren ausgelöst habe, die Trageweite sei allen Beteiligten sehr bewusst gewesen, heißt es dazu aus dem Ministerium.
Prominente Mediziner springen ihm bei. „Herr Spahn kann doch gar nicht anders entscheiden, wenn die Expertinnen und Experten vom Paul-Ehrlich-Institut ihm so eine Botschaft auf den Tisch legen“, sagt das Präsidiumsmitglied der Intensivmediziner-Vereinigung Divi, Uwe Janssens. Janssens ist nicht immer auf der Seite des Ministers.
Der Politiker Spahn wusste sehr genau, was die Entscheidung nach sich ziehen würde: Erneut schlechte Nachrichten, erneut schlechte Schlagzeilen über die schleppende Impfkampagne. Über das Corona-Management der Regierung, über ihn. Schlechte Nachrichten in Zeiten, in denen alle mit den Nerven am Ende sind. Ein Debakel.
Der 40-Jährige geht seit dem Jahreswechsel durch die schwerste Phase seiner politischen Karriere. Dabei wird er für eigene Fehler und Kommunikationspannen genauso kritisiert wie für eine diffuse Pandemie-Lage, Engpässe und verkrustete Strukturen. Auch Missmanagement auf vielen Ebenen, für das er als Gesundheitsressortchefs die politische Verantwortung trägt, welches ihm aber persönlich nicht angekreidet werden kann.
Spahn als Blitzableiter für den Corona-Frust? In diesen Tagen wirkt es so. Es ist gerade leicht, ihn anzugreifen, zu versuchen, ihn politisch kaltzustellen. FDP-Vizes oder die Bundesvorsitzende der Jusos, die sich aktuell an ihm abarbeiten, sind dabei eher eine Begleiterscheinung. Problematischer sind Hinweise von Kabinettskollegen, die ihn als Ankündigungsminister abtun. Und noch problematischer für Spahn ist die Abkühlung einer ohnehin nie wirklich herzlichen Beziehung zwischen ihm und Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Als ihm im Januar Kabinettskollege und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz eine Liste mit Fragen zur Impfstoffbeschaffung vorlegt, ahnt Spahn, dass es ungemütlich wird. Auch Merkel reagiert verschnupft auf veröffentlichte Briefe, die zeigen, dass Spahn innerhalb der EU früh auf eine andere Bestellstruktur von Impfstoffen drang. Ein Kabinettsausschuss ist die Folge, Spahn muss Verantwortung abtreten.
In diesen Wintertagen geht es auch um falsche persönliche Einschätzungen. Um kriselnde Krisenkommunikation. Auch in der Partei beginnt es irgendwie aus dem Ruder zu laufen. Spahn war populärer in Umfragen als sein Teampartner Armin Laschet (CDU), beliebt in der Fraktion und im Wirtschaftsflügel der Partei – so hörte man zunächst ein Raunen, er sei doch der viel geeignetere Kanzlerkandidat. Ob er das selbst befeuert hat, darüber gibt es unterschiedliche Aussagen. Am Ende bleibt etwas zurück, ein kurzer digitaler Auftritt beim Parteitag zur Unterstützung Laschets kommt nicht gut an.
Ein teurer Hauskauf, außerdem ein Sponsorenessen zu Zeiten, in denen man besser bereits daheim geblieben wäre. Einzeln sind diese
Dinge erklärbar, die Summe aber ist mindestens unglücklich. Eines ist gewiss: Jens Spahn ist in der größten Bedrängnis seiner Karriere.
Spahn ist das, was man im englischen als „political animal“bezeichnet. Ein Politiker aus Leidenschaft, der sich engagiert, weil er etwas verbessern will. Gleichzeitig ist er ehrgeizig und machtbewusst. Zwei Eigenschaften, ohne die es nicht geht in der Politik – auch wenn man sie gut verbergen sollte. Das gelang ihm in der Vergangenheit nicht immer.
Doch in der CDU hat er immer noch viele Befürworter. Vor allem bei den jüngeren Ministerpräsidenten, der Basis, in Teilen der Fraktion. Ehrlicherweise ist es für alle anderen in Spitzenpositionen auch nicht ganz unpraktisch gerade, dass einer den öffentlichen Frust quasi magisch anzieht.
Was macht das mit jemandem, eigentlich erfolgsverwöhnt und noch lange nicht am Ende seiner politischen Karriere? Zynischer sei er geworden, sagt einer, der ihn lange und gut kennt. Aufbrausender. Aber sehr klar. Spahn kenne das Geschäft und konzentriere sich auf seine Arbeit. Von morgens sehr früh bis abends sehr spät brennt im Chefzimmer das Licht, berichten Mitarbeiter. Spahn weiß, dass er Fehler gemacht hat. Schuld abwälzen, das ist nicht seine Art. Dickköpfig ja, aber nicht unfair. Hinschmeißen, alles hinter sich lassen – derzeit kommt es für ihn nicht in Frage. Einer muss den Job ja machen.
Disziplin und Härte auch gegen sich selbst mögen ihm helfen. Sollte der Sommer wieder in Nicht-Corona-Bahnen verlaufen, so könnte er nach der Wahl in der CDU immer noch eine wichtige Rolle spielen. Darauf setzt er. Ob es so kommt? Wie alles in diesem Corona-Frühling: Ausgang ungewiss.