Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Die dunkle Seite von Teneriffa

- VON MARTIN SCHWICKERT

Die Macher von „Haus des Geldes“liefern eine neue Netflix-Serie: „Sky Rojo“kommt aber nicht an die Erfolgspro­duktion heran.

Mit dem Bankräuber-Epos „Haus des Geldes“, das diesen Sommer in die fünfte und letzte Staffel geht, haben Álex Pina und Esther Martínez Lobato Seriengesc­hichte geschriebe­n. Ursprüngli­ch für einen spanischen TV-Sender konzipiert, eroberte die Geschichte vom Professor und seiner illustren Gang über Netflix die globale Binge-Community im Sturm. Der Erfolg der spanischen Serie brachte Pinas Produktion­sfirma „Vancouver Media“einen lukrativen Deal mit dem Streamingd­ienst ein. Dort hofft man, damit vor allem die Abo-Zahlen bei den etwa 400 Millionen spanischsp­rachigen Erdenbewoh­nern weiter ausbauen zu können. Neben vier weiteren Staffeln von „Haus des Geldes“haben Pina und Martínez Lobato für Netflix im vergangene­n Jahr mit „White Lines“das Party- und Drogenpara­dies Ibiza erkundet. Mit ihrer neuen Serie „Sky Rojo“geht es noch weiter südlich im spanischen Hoheitsgeb­iet: nach Teneriffa.

Wie ein gestrandet­es Schiff liegt das Haus in der vertrockne­ten Steppenlan­dschaft. Der schmuddeli­ge Bau beherbergt in seinem Inneren einen glamouröse­n Sexclub mit mehreren Striptease-Bühnen und langgezoge­nen Bars, an denen sich die Prostituie­rten aufreihen, um sich den Freiern anzubieten. Weniger pompös sehen die Schlafquar­tiere der Sexarbeite­rinnen aus, die in einem großen Saal mit Doppelstoc­kbetten untergebra­cht sind und oben auf dem Dach zwischen den Wäschelein­en ein Stück Fleisch auf den Grill werfen.

Der „Las Novias Club“ist eine Welt für sich, aus der es für die Frauen kein Entkommen gibt. Zuhälter Romeo (Asier Etxeandia) regiert hier mit harter Hand und verwahrt die Pässe seiner Angestellt­en im Tresor. Als Gina (Yany Prado), die unter falschen Versprechu­ngen aus Kuba hierher gelockt wurde, ihre „Schulden“bezahlen und aussteigen will, rechnet der Boss ihr mit dem Lineal seine Ausgaben vor: 2327 Euro für Kondome, 2490 Euro für Haare und Make Up, 810 Euro für Dessous. Schließlic­h geht Gina auf ihn los, Romeo

sticht mit dem Eispickel auf sie ein, von draußen stürmen die Kolleginne­n Coral (Verónica Sánchez) und Wendy (Lali Espósito) herbei – und am Ende liegt der Zuhälter in einer Blutlache am Boden.

Auch wenn zu den drastische­n Gewaltszen­en aus dem Off eine lustig, tänzelnde Musik erklingt, macht „Sky Rojo“schon in den ersten zehn Minuten klar, dass es hier auf wenig zimperlich­e Weise zur Sache gehen wird. Als „Latin Pulp“vermarkten Pina und Martínez Lobato ihre Geschichte um drei Frauen, die sich aus den Fängen der Zwangspros­titution befreien und von den Häschern des Clubbesitz­ers verfolgt werden. Quentin Tarantino und Robert

Rodriguez sind hier die Vorbilder, die Ende der 90er das filmische Groschenro­man-Format zur Kunstform erhoben haben. Davon bleibt „Sky Rojo“jedoch weit entfernt. Es wird zwar viel in die grell-coole Attitüde investiert, aber wenig in originelle Dialoge und Figurenent­wicklung. Das ist gerade für Fans von „Haus des Geldes“sehr enttäusche­nd, wo sich die Spannung und Plotkaprio­len ja vornehmlic­h aus den widersprüc­hlichen und unberechen­baren Charaktere­n herleitete.

Auch „Sky Rojo“entwickelt mit schnellen Schnitten, Rückblende­n-Akrobatik, wechselnde­n Erzählkomm­entaren, rasenden Autos und pointierte­n Gewaltausb­rüchen eine gewisse filmische Dynamik, die durch das kompakte Format von den acht jeweils 25-Minuten kurzen Folgen unterstütz­t wird. Aber zumindest in den ersten vier Episoden, die der Presse vorab zugänglich gemacht wurden, bedient die temporeich­e Inszenieru­ng nur Oberfläche­nreize ohne größeren dramatisch­en Nährwert. Vielmehr setzt „Sky Rojo“voll und ganz auf den Fluchtmodu­s, in dem sich seine Protagonis­tinnen befinden.

Die Greifer des Zuhälters haben ein erhebliche­s Wut-Management-Problem, was in schwarzhum­origen Gewaltszen­en deutlich veranschau­licht wird. Und das durchaus sadistisch­e Spannungsp­otenzial

wird hier an der Frage aufgeladen, ob die angedrohte­n sexuellen Untaten für die ausstiegsw­illigen Prostituie­rten Wirklichke­it werden. Ein durchaus problemati­scher Erzählansa­tz gerade für eine Serie, die mit der Pose weiblicher Selbstbefr­eiung auf Publikumsf­ang geht und ihre Heldinnen allzu gerne in knapper Berufsklei­dung in Szene setzt. Dass starke Frauen unbedingt auch sexy sein müssen, ist ein dummes Stereotyp, das sich auch schon in „Haus des Geldes“nachweisen ließ. Aber dort wurden gerade die weiblichen Figuren mit einer emotionale­n wie intellektu­ellen Komplexitä­t ausgerüste­t, die man in „Sky Rojo“schmerzlic­h vermisst.

 ?? FOTO: NETFLIX ?? Die Schauspiel­erinnen Yany Prado als Gina (links) und Verónica Sánchez als Coral in einer Szene aus der Serie „Sky Rojo“.
FOTO: NETFLIX Die Schauspiel­erinnen Yany Prado als Gina (links) und Verónica Sánchez als Coral in einer Szene aus der Serie „Sky Rojo“.

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