Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Ein Update auf die Sinnfrage

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Die Serie „Ich und die Anderen“ist waghalsig und gaga – und deshalb so sehenswert.

Bei der Berlinale wurde ja nicht nur gezeigt, was morgen im Kino zu sehen sein wird. Sondern auch, welche Serien die Streamingd­ienste künftig anbieten werden. „Berlinale Series“heißt der Marktplatz für Welt- oder internatio­nale Premieren. Und die bemerkensw­erteste Produktion dieses Jahres war vielleicht „Ich und die Anderen“von David Schalko.

Tom Schilling spielt darin Tristan, einen Werber, der aufwacht und merkt, dass irgendetwa­s anders ist. Er hat Streit mit seiner schwangere­n Freundin Julia, und auf der Straße und im Büro scheinen Passanten, Kollegen und Vorgesetzt­e alles über ihn zu wissen – sogar das Allerintim­ste. Als wäre sein Leben öffentlich wie das von Jim Carrey in der „Truman Show“.

Was ist hier los? – fragt man sich natürlich und diffundier­t mit der Hauptfigur ziemlich hilf- und ratlos durch dieses Wiener Leben. Dabei begegnet man Schauspiel­ern, denen man den Spaß am absurden Drehbuch anmerkt. Sophie Rois und Martin Wuttke als Eltern, Mavie Höriger als große Liebe, Katharina Schüttler als Freundin und Lars Eidinger als barfüßiger Chef, der in einem Raum mit aufgeschüt­tetem Sandstrand Gott spielt und dabei Steve Jobs und Hugh Hefner zugleich nacheifert: „Absolute Divergenz, null Kongruenz!“

Die sechs Teile sind ambitionie­rtes Fernsehen. Man weiß erst einmal gar nicht, ob man es gut findet oder bloß gaga. Ob das näher an „Täglich grüßt das Murmeltier“, oder an Oskar Roehler oder Samuel Beckett ist. Und dann gerät man hinein und will gar nicht wieder heraus. In jeder Folge äußert Tristan einen Wunsch, dessen Konsequenz­en den Rahmen bilden für die nächste Folge. So sagt etwa in der zweiten Lieferung jeder immerzu die Wahrheit, in Episode drei lieben Tristan alle bis zum Wahnsinn und so fort. SMS huschen durchs Bild, auf einmal verwandelt sich die Serie in ein Musical, und wie bei David Lynch krabbeln Insekten aus Körperöffn­ungen.

David Schalko ist einer der spannendst­en Autoren und Entwickler derzeit. Von ihm stammen die Serien „Altes Geld“und „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Schalko

arbeitete mit Josef Hader, schrieb eine Sexkolumne für die „Wienerin“. Sein Buch „Schwere Knochen“sollte man lesen, und soeben veröffentl­ichte er „Bad Regina“, seine Fantasie über den Untergang Europas.

So eine Serie hat man jedenfalls noch nicht gesehen. So neu, so waghalsig und eins drüber. Sie liefert ein Update auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Natürlich fällt die ebenso absurd aus wie damals bei Douglas Adams, wo sie schlicht „42“lautete. Im Sommer soll die Produktion bei Sky zu sehen sein. Ihr Motto formuliert Tristans von Michael Maertens gespielter Therapeut ganz nebenbei: „Wir müssen gemeinsam durch den Spiegel gehen.“

„Ich und die Anderen“von David Schalko wird ab diesem Sommer beim Streamingd­ienst Sky zu sehen sein.

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FOTO: PERTRAMER/OBS Tom Schilling und Katharina Schüttler in einer Szene aus der neuen Serie „Ich und die Anderen“.

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