Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Frauenproteste in der Türkei
Präsident Erdogan hat den Ausstieg aus dem Frauenrechtsabkommen des Europarats verkündet. Als Nächstes plant er offenbar eine vorgezogene Neuwahl.
ISTANBUL Für die Opposition in der Türkei kommen die Hiobsbotschaften Schlag auf Schlag. Am frühen Sonntagmorgen nahm die Polizei im Parlamentsgebäude von Ankara einen prominenten Kritiker von Präsident Recep Tayyip Erdogan fest. Der Menschenrechtler Ömer Faruk Gergerlioglu wurde im Schlafanzug abgeführt und durfte nicht einmal seine Schuhe anziehen. Am Vortag verkündete Erdogan den Ausstieg der Türkei aus dem Frauenrechtsabkommen des Europarates, kurz zuvor hatte er das Verbot der Kurdenpartei HDP eingeleitet. Der Präsident plant nach Einschätzung von Beobachtern vorgezogene Neuwahlen. Erdogan-Kritiker werfen der Europäischen Union eine Beschwichtigungspolitik vor, die Erdogan zu Repressionen ermutigt.
Regulär stehen die nächsten Parlamentsund Präsidentschaftswahlen in der Türkei erst in zwei Jahren an. Angesichts schlechter Umfragewerte für seine Partei AKP und ihre nationalistische Bündnispartnerin MHP könnte Erdogan laut Beobachtern jedoch die Flucht nach vorne antreten, um die Opposition mit vorgezogenen Wahlen auf dem falschen Fuß zu erwischen. Ein Verbot der HDP – der drittstärksten politischen Kraft im Land – würde die Opposition vor den Wahlen schwächen. Der 67-jährige Erdogan will sich bei einem AKP-Parteitag in Ankara
an diesem Mittwoch als Parteichef wiederwählen lassen und die Partei auf die nächste Wahl ausrichten.
Dem Abgeordneten Gergerlioglu, einem der profiliertesten Menschenrechtspolitiker der Türkei, hatte das AKP-geführte Parlamentspräsidium wegen eines umstrittenen Gerichtsurteils sein Parlamentsmandat aberkannt. Aus Protest gegen den Beschluss harrte er seit der vergangenen Woche im Parlamentsgebäude aus. Bilder von seiner Festnahme am Sonntag zeigten, wie Gergerlioglu von Polizisten aus einer Toilette geholt wurde, wo er sich vor dem muslimischen Morgengebet waschen wollte. Nach seiner Freilassung am Nachmittag berichtete er, er sei von den Polizisten geschlagen worden.
Mit dem Vorgehen gegen Gergerlioglu und die HDP kommt die Regierung einer Forderung der Nationalisten nach, auf deren Unterstützung sie angewiesen ist. Mit dem Austritt aus der sogenannten Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauenrechten bedient Erdogan islamistische Kreise, die das Abkommen als westliches Instrument zur Unterwanderung der Familie ablehnen. Erdogan hatte das Abkommen im Jahr 2011 als damaliger Ministerpräsident selbst unterschrieben und noch vor zwei Wochen die Ziele der Konvention verteidigt. Tausende Frauen gingen in mehreren Städten gegen Erdogans Entscheidung
auf die Straße. Dagegen feierten Islamisten die Aufkündigung des Vertrags als Sieg.
In einem weiteren Schritt zur Schwächung der Opposition entzog Erdogan den Gezi-Park in Istanbul der Stadtverwaltung und überschrieb ihm der Zentralgewalt. Regierungsgegner vermuten, Erdogan wolle damit verhindern, dass die oppositionsgeführte Istanbuler Stadtverwaltung mit einer Erweiterung des Parks an Popularität gewinnt. Pläne Erdogans zum Bau eines Einkaufszentrums in dem Park hatten 2013 landesweite Proteste ausgelöst.
Auch Erdogans überraschende Entlassung von Zentralbankchef Naci Agbal nach nur vier Monaten