Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Happy End nach Hormon-Mangel

- VON DIRK WEBER

Sabrina und Frank Verhoeven aus Uedem wünschen sich nichts lieber als Kinder, doch es will nicht klappen. Die Frau macht sich große Vorwürfe. Bis Susanne van der Velden, Leiterin der Fertility-Care-Klinik in Kleve, die Ursache herausfind­et.

UEDEM Dies ist die Geschichte von Krümel und den M&Ms. Es geht um Frau van der Velden, ohne die kein Happy End möglich gewesen wäre, um Selbstzwei­fel und geplatzte Träume, an denen Menschen, die sich lieben, zerbrechen können. Vor allem aber geht es um Frank (38) und Sabrina Verhoeven (35) aus Uedem, die 2015 geheiratet haben.

Es dauert nicht lange, bis Sabrina schwanger ist. Doch das Kind entwickelt sich nicht so, wie es soll. In der zehnten Woche kommt es zu einer Fehlgeburt. „Viele schämen sich dafür“, sagt die Mutter. „Eine Fehlgeburt ist immer noch ein Tabuthema.“Auch sie vertraut sich zunächst nur ihrer Schwester und ihren besten Freundinne­n an. Nicht mal ihre Eltern sind eingeweiht. Sie erfahren erst später von dem Verlust.

Nach fünf Monaten ist Sabrina erneut schwanger. Zu jener Zeit, sagt sie, habe sie jede Leichtigke­it verloren. Sie hat Angst, dass die Schwangers­chaft erneut schiefgehe­n könnte. „Ich war jede Woche beim Gynäkologe­n, um abzuklären, ob alles in Ordnung ist“, erzählt sie. Zunächst sieht alles gut aus. Sie ist über die kritischen zwölfte Woche hinaus. Kurz vor Weihnachte­n lässt sie ein Ultraschal­l machen. Alles wirkt normal. „Wir haben extra Weihnachts­karten drucken lassen, um endlich allen die freudige Nachricht mitzuteile­n“, erzählt ihr Mann Frank Verhoeven. Die beiden wollen es langsam angehen lassen, verabschie­den sich erst mal in den Wellnessur­laub.

Als Sabrina wieder zu ihrem Gynäkologe­n geht, gibt es erneut schlechte Nachrichte­n: „Ich konnte gleich sehen, dass etwas nicht stimmt. Da war kein Herzschlag, keine Bewegung, nichts. Zum zweiten Mal ist eine Welt für uns zusammenge­brochen.“Einen Tag später sitzen die beiden im St.-Clemens-Hospital in Geldern und sind verzweifel­t. Sabrina ist in der 15. Schwangers­chaftswoch­e. Ihr Kind zeigt keine Lebenszeic­hen mehr. Sie muss sich entscheide­n, ob sie eine Ausschabun­g möchte. Ihr Mann, ihre Schwiegerm­utter und eine Freundin sind an ihrer Seite. Eine Hebamme ermutigt sie zu einer stillen Geburt, das heißt, dass sie das Kind zur Welt bringt. „Ich habe nur noch geheult“, erinnert sich Sabrina. „Das war die schlimmste Entscheidu­ng meines Lebens. Und niemand konnte sie mir abnehmen.“

Sie entscheide­t sich dafür, das Kind zu entbinden. Die Wehen werden künstlich eingeleite­t. Es vergehen zwei Tage bis zur Geburt. „Ich konnte nicht loslassen“, erzählt Sabrina. Sie und ihr Mann bekommen das Kind nicht im Kreißsaal, sondern in einem normalen Zimmer. Es ist ein Junge. Frank und Sabrina taufen ihn „Krümel“. Eigentlich sollte er Ole heißen. „Krümel haben wir ihn genannt, als er noch in meinem Bauch war“, sagt Sabrina. „Er war so groß wie eine Taschentuc­hpackung, aber komplett. Ein Mini-Mensch.“

Bei der Obduktion stellt sich heraus, dass das Kind in Ordnung war. Allerdings wird bei der Mutter eine Zottenreif­ungsstörun­g diagnostiz­iert. Das bedeutet, dass sich die Plazenta nicht richtig entwickelt hat, sodass ihr Kind nicht ausreichen­d versorgt werden konnte. „Also musste es an mir liegen“, sagt Sabrina.

Die beiden lassen sich untersuche­n, wollen herausfind­en, ob sie überhaupt „kompatibel“sind, doch biologisch scheint alles in Ordnung zu sein. „Unser Problem war nicht, schwanger zu werden. Unser Problem war, die Schwangers­chaft zu halten“, erklärt Sabrina. Was allerdings festgestel­lt wird, ist, dass sie sich in einem sehr labilen Zustand befindet. „Ich habe mir so viele Vorwürfe gemacht, dass ich meinem Mann keine Kinder schenken kann. Ich bin Grundschul­lehrerin, habe täglich mit

Kindern zu tun. Aber ich selbst sollte keine Kinder bekommen können? Das war für mich ein Schock.“

Sie sucht Hilfe beim Verein Donum Vitae (übersetzt: „Geschenk des Lebens“) in Kleve, der Frauen bei Schwangers­chaften, Fehlgeburt­en und Beziehungs­problemen berät. „Bei der ersten Schwangers­chaft war ich naiv. Ich war so überrumpel­t, weil alles so schnell ging“, erzählt Sabrina. „Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass etwas schiefgehe­n könnte. Bei mir doch nicht.“Bei der zweiten Schwangers­chaft habe sie sich dann die ganze Zeit über Sorgen gemacht. „Mein Mann hat das nicht immer nachvollzi­ehen können. Der ist durch und durch Optimist. Er meinte nur, das wird schon, aber das hat mir nicht weitergeho­lfen.“

Sabrina beginnt eine Therapie, um das Geschehene zu verarbeite­n. Sie bekommt den Tipp, sich an Susanne van der Velden zu wenden. Sie leitet die Fertility-Care-Klinik und ist Oberärztin in der Abteilung für Gynäkologi­e und Geburtshil­fe am Katholisch­en Karl-Leisner-Klinikum in Kleve. Dort behandelt sie mehrere Hundert Frauen im Jahr, die wissen wollen, warum sie nicht schwanger werden oder warum es zu einer Fehlgeburt gekommen ist. „Wenn ein Paar ein Jahr lang ungeschütz­ten Verkehr hat und nicht schwanger wird, dann spricht man von Fruchtbark­eitsproble­men“, sagt van der Velden. „Ich versuche mit Hilfe einer multifunkt­ionellen Therapie herauszufi­nden, was die Ursachen dafür sind.“Zum Standard vieler Kinderwuns­chzentren gehöre es, dem Glück der Paare mit künstliche­n Methoden auf die Sprünge zu helfen, „doch damit umgehen die meisten das eigentlich­e Problem“, meint die Ärztin. „Eine gute Schwangers­chaft beginnt mit einem guten Zyklus: Wann ist der Eisprung? Funktionie­ren die Eierstöcke? Sind die Organe in Ordnung?

„Unser Problem war nicht, schwanger zu werden. Unser Problem war, die Schwangers­chaft zu halten“

Sabrina Verhoeven

Gibt es Vorerkrank­ungen?“

Wie sich herausstel­lt, hat Sabrina Verhoeven ein Hormon-Problem. Der Progestero­n-Wert, auch Gelbkörper­hormon genannt, ist bei ihr deutlich zu niedrig. Das Hormon reguliert den Menstruati­onszyklus, die Schwangers­chaft und die Entwicklun­g des Embryos. Am besten, man beginnt bereits vor der Schwangers­chaft mit der Therapie, meint van der Velden. Doch Verhoeven ist bereits in der fünften Woche, als sie in die Klinik kommt. „Sie hat einen Medikament­enplan für mich aufgestell­t, den ich strikt eingehalte­n habe“, erzählt Sabrina. Jeden Tag habe sie zehn Tabletten einnehmen müssen. „Ich habe nichts hinterfrag­t, sondern ihr mein volles Vertrauen geschenkt.“

Am 15. Februar 2018 ist es soweit. Tochter Merle wird geboren. Vor Kurzem hat sie sogar noch ein kleines Brüderchen bekommen: Malte, sieben Wochen alt. Papa Frank nennt sie liebevoll seine M&Ms. „Bei Malte war ich schon wesentlich entspannte­r“, erzählt Sabrina. Auch seine Schwangers­chaft ließ sie von Susanne van der Velden begleiten, allerdings beginnt sie die Therapie diesmal vor der Schwangers­chaft. Susanne van der Velden schätzt die Erfolgsquo­te auf etwa 25 bis 30 Prozent. „Unser Ziel ist, dass die Frauen nicht nur schwanger werden, sondern das Kind auch zur Welt bringen.“Bei Sabrina Verhoeven hat es geklappt. „Ich habe drei Kinder“, sagt sie, „zwei davon sind lebendig. Das dritte ist im Himmel.“Es ist ihr Sternenkin­d.

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RP-FOTOS: STOFFEL „Ohne Frau van der Velden hätten wir heute keine Kinder“: das Ehepaar Frank und Sabrina Verhoeven mit seinen beiden Kindern Merle (3) und Malte (sieben Wochen).
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Sabrina Verhoeven hat eine Kiste angelegt, in der sie alle Erinnerung­en an ihr Sternenkin­d „Krümel“aufbewahrt.

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