Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Die Nato sucht nach einer neuen Strategie
Die Außenminister des Bündnisses treffen sich. Sie müssen über Russland reden, über Afghanistan – und über die eigene Ausrichtung.
BRÜSSEL/KABUL Bei der Nato kann man es kaum erwarten, dass beim Treffen der Außenminister an diesem Dienstag und Mittwoch mit der Teilnahme von Antony Blinken endlich die Trump-Ära beendet wird. Generalsekretär Jens Stoltenberg spricht von einem neuen Kapitel in den transatlantischen Beziehungen. Das Treffen ist auch sonst etwas Besonderes: Erstmals seit November 2019 kommen die Minister wieder physisch zusammen.
Bei den drei Arbeitssitzungen steht viel auf der Tagesordnung. Sie gelten als wichtige Zwischenetappe vor dem nächsten Nato-Gipfel, der im Frühjahr in Brüssel unter Beteiligung aller 29 Staats-und Regierungschefs stattfinden soll. Der bislang letzte Gipfel fand im Dezember 2019 bei London statt.
Heiko Maas und seine Außenministerkollegen wollen diese Woche Hand an das Konzept für die Reform „Nato 2030“legen, die die Staatsund Regierungschefs im Frühjahr beschließen sollen. Der Reflexionsprozess zur Zukunft der Nato war auch von Maas angestoßen worden, nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dem Bündnis den „Hirntod“attestiert hatte.
Absehbar ist, dass die politische Dimension der Nato gestärkt wird, etwa durch ein drittes Außenministertreffen pro Jahr. Von Stoltenberg stammt der Vorschlag, mehr Projekte
gemeinsam zu finanzieren. So will er Solidarität demonstrieren. Die Idee lehnt Frankreich vehement ab; in Berlin und in Washington ist man dem Vernehmen nach offener, doch es gibt auch dort Skepsis. Es heißt zudem, dass der Militärhaushalt der Nato mit einem jährlichen Volumen von derzeit etwa 1,5 Milliarden Euro auch überschaubar sei.
Auch ein neues strategisches Konzept will die Nato erarbeiten. Wie das Bündnis darin mit China umgehen will, wird noch diskutiert. Im Gespräch ist sogar eine Ausweitung des Operationsgebiets in den Pazifikraum. Deutschland lehnt das ab. In Berlin vertritt man die Auffassung, die Nato solle eine transatlantische, also regionale Allianz bleiben. Allerdings müsse sich das Bündnis Fragen stellen, die China aufwerfe – etwa nach dem Umgang mit Technologie aus China, Cyberattacken und der gestiegenen militärischen Präsenz auf den Weltmeeren.
Keine Entscheidung werden die Minister über den Truppenabzug aus Afghanistan fällen. Donald Trump hatte noch mit den Taliban einen Abzug der US-Truppen bis Ende April vereinbart. Von ehemals 100.000 Nato-Soldaten, die in früheren Jahren in der militärischen Auseinandersetzung mit den Taliban standen, ist die Nato-Präsenz auf heute rund 10.000 Soldaten heruntergefahren worden. Stoltenberg macht deutlich: „Die Mehrheit unserer Truppen in Afghanistan besteht heute nicht mehr aus US-Soldaten.“Heute sei ihre Aufgabe eher, die afghanischen Truppen zu schulen, zu unterstützen und zu beraten. Die finanzielle Unterstützung des Friedensprozesses ist vorerst bis 2024 gesichert. Noch zeichnet sich unter den Alliierten kein Datum für den Abzug ihrer Truppen ab. Man werde weder ewig bleiben, noch werde es einen hastigen Rückzug geben, heißt es unter Verbündeten.
Die USA haben unter dem neuen Präsidenten Joe Biden diplomatische Aktivitäten gestartet, um die Friedensgespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung voranzubringen. Auch Länder der Region wurden einbezogen. Ob der Schwung reicht, sich auf ein Verfahren für die Vorbereitung demokratischer Wahlen zu einigen, ist offen. Angesichts von Drohungen der Taliban mit massiven Gewaltaktionen und Anschlägen sagte Stoltenberg: „Wir brauchen Fortschritte bei den Friedensgesprächen, das Gegenteil davon wäre eine Frühlingsoffensive der Taliban.“
Um Russland geht es auch. Mit Entscheidungen wird zwar nicht gerechnet, doch das Verhältnis zu Moskau hat sich deutlich verschlechtert. Der Fall Nawalny, die Düpierung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell bei dessen Besuch in Moskau sowie die deutliche Kritik Bidens, der Russlands Präsident Wladimir Putin einen „Killer“nannte, werden Thema sein.