Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Kanzler bitten selten um Entschuldigung
Helmut Schmidt nahm eine Mitschuld am Tod des Terroropfers Schleyer auf sich. Das blieb eine der wenigen Ausnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik.
BERLIN Die Macht umgibt sich auch in demokratischen Ländern gern mit der Aura des Unfehlbaren. Deshalb ist die Geste Angela Merkels, die Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung zu bitten, etwas Besonderes. Nur wenige der bislang sieben Vorgänger der Kanzlerin haben eigene Fehler eingestanden.
Eine der schwierigsten Entscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik war es, den entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer der Staatsräson zu opfern. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) war im Herbst des Jahres 1977 nicht bereit, die Forderungen der RAF-Terroristen zu erfüllen. Er formulierte unmittelbar nach dem Gewaltakt der Linksguerilla drei Ziele: „die Geisel Hanns Martin Schleyer lebend zu befreien, die Entführer zu ergreifen und vor Gericht zu stellen sowie die Handlungsfähigkeit des Staates nicht zu gefährden und die Gefangenen, deren Freilassung erpresst werden sollte, nicht freizugeben“.
Bei zwei der drei Ziele blieben Schmidt und seine Regierung erfolgreich. Die Ermordung Schleyers hat er nicht verhindern können.
Zu allem Unglück kamen schwere Fahndungspannen hinzu. Immerhin übernahm der Kanzler die politische Verantwortung für das Geschehen. Der Bundeskanzler saß tief gebeugt und mit versteinertem Gesicht neben der Witwe Waltrude Schleyer in der Kirche St. Eberhard in Stuttgart und kondolierte in einer Weise, die als Bitte um Verzeihung interpretiert wurde. Zeit seines Lebens ließ Schmidt dieses Trauma der Mitschuld nicht los. Auch bei seiner Regierungserklärung im Bundestag bekannte sich der Kanzler zum dunklen Teil des Herbstes – trotz der Genugtuung über den Erfolg der Geiselbefreiung in Mogadischu. „Wer weiß, dass er trotz allen Bemühens mit Versäumnis und Schuld belastet sein wird, wie immer er handelt, wird von sich selbst nicht sagen wollen, er habe alles getan, und alles sei richtig gewesen.“
Weniger dramatisch, aber mit weitreichenden Auswirkungen war die Entscheidung, 1991 einen zeitlich begrenzten Solidaritätszuschlag von 7,5 Prozent auf die Einkommensteuer einzuführen. Zuvor hatte der damalige Kanzler der Einheit, Helmut Kohl (CDU), Steuererhöhungen ausgeschlossen. Er beging also also einen glatten Wortbruch. Doch dafür kam vom Kanzler keine Entschuldigung. Helmut Kohl gab aber später dennoch zu, einen Fehler gemacht zu haben. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“erklärte er, dass die Befristung 1991 nur auf Druck der damals mitregierenden FDP in das Gesetz kam. Das sei ein Fehler gewesen, meinte Kohl, den er nicht wiederholen werde. Tatsächlich entfiel die ausdrückliche Befristung bei der Erneuerung des „Soli“1995. Und so gibt es den Zuschlag bis auf den heutigen Tag. Am Ende konnte hier die FDP ihre Wahlversprechungen nicht einhalten.
Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder erwischte 1998 einen miserablen Start. Viele Gesetze im Zuge der Steuer- und Sozialpolitik waren wenig durchdacht und lösten in der Öffentlichkeit heftige Kritik aus. Besonders die von der SPD gewünschte Abschaffung der Minijobs rief Proteste in der eigenen Klientel hervor. In einem denkwürdigen Interview mit der „Bild“-Zeitung gab Schröder zu, dass die Regierung ein schlechtes Bild in der Öffentlichkeit abgebe und sich nicht alle an die nötige Kabinettsdisziplin hielten. Was als Selbstkritik daherkam, war in Wirklichkeit ein politischer Schachzug, den damaligen Bundesfinanzminister und internen Parteirivalen Oskar Lafontaine loszuwerden. Der verstand die Kritik sofort und gab alle Regierungs- und Parteiämter auf. Dieser Schlag war der Auftakt eines langen Leidenswegs der SPD.
Verheerend für das Ansehen der noch jungen Bundesrepublik war die „Spiegel“-Affäre im Jahr 1962. Damals ließ die Generalbundesanwaltschaft die Redaktionsräume des Magazins nach einem Artikel über die mangelhafte Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durchsuchen. Mehrere leitende Journalisten und Manager – unter ihnen Chefredakteur Rudolf Augstein und sein Stellvertreter Conrad Ahlers – wurden festgenommen. Der damalige Kanzler Konrad Adenauer sah
in der Berichterstattung einen „Abgrund von Landesverrat“, in der Öffentlichkeit galt die Aktion eher als Angriff auf die Pressefreiheit. Am Ende nahm Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) seinen Hut, und Adenauer willigte ein, ein Jahr später das Kanzleramt zu verlassen.
40 Jahre nach den Ereignissen gab Augstein in seinem eigenen Magazin kund, es habe sich keiner der Beteiligten für die im Nachhinein unberechtigte Aktion entschuldigt. Weder aus der Politik noch von den Strafverfolgungsbehörden. Immerhin hat er später den „Alten“getroffen. Dabei hätten sich Adenauer und Augstein ausgesprochen. „Wir haben uns umarmt und versöhnt.“
Für fremde, aber im Namen der deutschen Nation begangene Verbrechen hat ein anderer Kanzler eine Demutsgeste geleistet – Willy Brandt mit seinem berühmten Kniefall vor den Opfern des Warschauer Ghettos in Polen. Der SPD-Politiker bat stellvertretend für sein Land um Verzeihung.