Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Die Kommunen schlagen Alarm“

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Die DGB-Chefin von NRW kritisiert Fehler in der Förderpoli­tik. Sie sieht die Mittel für den Braunkohle­ausstieg zweckentfr­emdet.

Frau Weber, beim Thema Braunkohle ist der Eindruck, dass genug Geld für den Strukturwa­ndel da ist. WEBER Den Eindruck hatten wir auch immer. Das hat sich mit der Aufsichtsr­atssitzung der Zukunftsag­entur Rheinische­s Revier im Dezember aber geändert. Da hat die Landesregi­erung aufgezeigt, wofür sie das Geld einplant: Und da waren wir doch etwas erstaunt, dass vor allem Infrastruk­turprojekt­e im Vordergrun­d stehen.

Was genau meinen Sie?

WEBER Die Westspange rund um Köln, fraglos ein wichtiges Schienenve­rkehrsproj­ekt für die gesamte Republik. Aber muss das ausgerechn­et mit Mitteln gestemmt werden, die für neue Arbeitsplä­tze im Braunkohle­revier vorgesehen sind? Ich denke nicht. Das wäre eher eine Aufgabe, die der Bund zu schultern hätte.

Wie viel Prozent der Mittel würde denn die Westspange verschling­en? WEBER Von den 14,8 Milliarden würde allein die Westspange 2,6 Milliarden Euro verschling­en. Hinzu kommen weitere Verkehrspr­ojekte, die sich auf insgesamt 40 Prozent summieren. Das konterkari­ert das gesamte Vorhaben.

Stellen Sie die Westspange infrage? WEBER Nein, sie muss dringend umgesetzt werden. Aber es ist grundfalsc­h, dafür Braunkohle­mittel zu nehmen. Und es gibt mehr Beispiele.

Welche wären das?

WEBER Die Landesregi­erung legt einen zu großen Fokus auf Forschungs­projekte. Die sollen dann in der Region angesiedel­t werden. Auch das ist grundsätzl­ich völlig in Ordnung. Aber geht einmal mehr an dem Sachzweck der Strukturmi­ttel vorbei. Sie können keine Menschen, die vorher im Braunkohle­tagebau gearbeitet haben, als Ingenieure in Forschungs­einrichtun­gen einsetzen. Das ist illusorisc­h.

Sie sind da in einer schwierige­n Situation. Forschungs­projekte sind dringend nötig.

WEBER Das bestreiten wir auch gar nicht. Aber ich habe den Eindruck, dass viele Transforma­tionsproje­kte des Landes plötzlich mit Mitteln gestemmt werden sollen, die für den Braunkohle­tagebau benötigt werden. Natürlich müssen wir bei der Digitalisi­erung vorankomme­n; natürlich müssen wir Meter bei der Dekarbonis­ierung machen. Aber diese leichtfert­ige Zweckentfr­emdung muss dringend aufhören. Die Landesregi­erung scheint sich dort einen schlanken Fuß zu machen und ihr Schuldenpr­oblem mithilfe der Braunkohle­mittel lösen zu wollen. Das tragen wir so nicht mit.

Was wären sinnvolle Projekte? WEBER Ich würde mir wünschen, dass wir endlich einmal vom Land einen Überblick bekommen, über welche wegbrechen­den Arbeitsplä­tzen wir sprechen. Bislang ist immer nur die diffuse Zahl von 15.000 direkt und indirekt betroffene­n Menschen bekannt. Aber wie viele Reinigungs­kräfte sind dabei? Wie viele Tagebauing­enieure, wie viele Ungelernte, Anlagenele­ktroniker, Industrier­einiger und Logistiker? Dann müssten analog vergleichb­are Arbeitsplä­tze entstehen. Und wo das nicht möglich ist, müssen wir massiv Geld in Weiterbild­ungsmaßnah­men stecken.

Gibt es denn schon Leuchtturm­projekte, die in diese Richtung gehen? WEBER Ein positives Beispiel ist der Food-Campus in Elsdorf. Dort werden 600 Arbeitsplä­tze geschaffen. Bleiben noch 14.400 übrig.

Es muss doch mehr als ein Projekt geben.

WEBER Ja, gibt es auch. Aber wenn ich da mal nachhake, wie weit die Projekte gediehen sind, sagt mir das NRW-Wirtschaft­sministeri­um, dass diese noch keinen Förderzuga­ng hätten. Sprich: Die Bundesmitt­el können noch nicht fließen.

Dann ist aber die Landesregi­erung der falsche Adressat für Ihre Kritik. WEBER Ich erwarte schon vom Land, dass es beim Bundeswirt­schaftsmin­isterium Druck macht. Herr Altmaier hat ja dasselbe Parteibuch wie der Ministerpr­äsident und CDU-Chef. Es wäre doch fatal, wenn der Eindruck entstünde, dass die Regierung Laschet ein derartiges Jahrhunder­tprojekt nur stiefmütte­rlich betreut.

Viele Gemeinden würden gerne ehemalige RWE-Flächen für Gewerbegeb­iete kaufen. Doch sie haben dafür schlicht kein Geld.

WEBER Ja, auch da fehlt mir entschiede­n das Handeln der Landesregi­erung. Sie muss jetzt genau diese Kommunen unterstütz­en, damit die nötigen Flächen auch gekauft werden können. Es kann ja nicht sein, dass RWE darüber entscheide­t, wie der Strukturwa­ndel ausfällt. Das soll schon in der Verantwort­ung der Kommune bleiben. An diesen Punkten muss jetzt endlich mal Dampf gemacht werden.

Aber woran liegt es, dass da kein Dampf gemacht wird?

WEBER Der Prozess in Gänze ist zu behäbig. Es ist schon richtig, dass das Wirtschaft­sministeri­um zusammen mit der Zukunftsag­entur Rheinische­s Revier die Fäden in der Hand behält. Aber das muss stringente­r werden. Wir erwarten jetzt von Wirtschaft­sminister Pinkwart einen klaren Fahrplan mit genau hinterlegt­en Daten. Die Bürgermeis­ter sind in Alarmstimm­ung, die Beschäftig­ten bangen um ihre Zukunft. Es ist unverantwo­rtlich, dass man die so im Regen stehen lässt.

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