Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Flutlicht an für die Menschenre­chte!

Die Nationalte­ams starten in die Qualifikat­ion zur WM in Katar. Derweil fordern immer mehr Organisati­onen einen Boykott des Turniers. Doch für die Gastarbeit­er wäre der fatal, sagt der Generalsek­retär von Amnesty Internatio­nal Deutschlan­d.

- VON MARKUS N. BEEKO

Sechstause­ndfünfhund­ert Tote. So viele Arbeitsmig­rantinnen und Arbeitsmig­ranten haben laut „The Guardian“ihr Leben gelassen, seit Katar den Zuschlag zur WM erhalten hat. Menschen aus Nepal, Indien und Bangladesc­h sind gestorben, weil sie Arbeit gesucht und damit auf ein besseres Leben für ihre Familien daheim gehofft haben. Ihr Schicksal entsetzt und macht wütend. So wütend, dass die Organisati­on „ProFans“fordert, die WM zu boykottier­en. Spätestens jetzt wird klar: Der deutsche Fußball ist gefordert den Druck auf Fifa und Katar zu erhöhen, wenn er es ernst meint mit seinem Engagement für Menschenre­chte.

Wenn die Flutlichte­r in Duisburg für das erste WM-Qualifikat­ionsspiel der deutschen Nationalma­nnschaft nun angehen, rückt sie plötzlich ganz nah: Die WM in Katar, die im November 2022 startet. Ein erhabenes Ereignis auch deshalb, weil sportliche­r Wettkampf oft vorgibt mehr zu wollen als Trophäen heimzubrin­gen: Der Sport tritt an für Völkervers­tändigung, Fair Play und Respekt. Er setzt auf positive Veränderun­g durch Begegnung. Aber die Fifa hat für Katar lange beide Augen zugedrückt: Auf die massive Ausbeutung und Entrechtun­g von 2,3 Millionen Arbeitsmig­rantinnen und Arbeitsmig­ranten, davon 20.000 auf WM-Baustellen, weisen Menschenre­chtsorgani­sationen wie Amnesty Internatio­nal seit langem hin.

Die Arbeit von Menschenre­chtlerinne­n und Menschenre­chtlern hatte erste Erfolge: Katar hat den Mindestloh­n eingeführt, einen Fonds zur Erstattung von nicht ausbezahlt­en Löhnen, eine Schlichtun­gsstelle. Das Land hat zwei wichtige internatio­nale Menschenre­chtsabkomm­en

ratifizier­t. Doch vieles blieb gleich. Die Kafala, ein Bürgschaft­ssystem, das die Abhängigke­it von Arbeitgebe­rn festschrei­bt und Menschen ihren Arbeitgebe­rn ausliefert, ist nicht vollständi­g abgeschaff­t worden. Die Auszahlung des Mindestloh­ns von umgerechne­t 233 Euro im Monat erfolgt oft weiterhin unregelmäß­ig, verspätet oder gar nicht; Reisepässe werden weiter von Arbeitgebe­rn einbehalte­n, in Gewerkscha­ften dürfen sich Arbeitsmig­rantinnen und Arbeitsmig­ranten nicht engagieren.

Schlimmer noch: Nach hoffnungsf­rohen Anfängen rudert Katar jetzt zurück. Im Februar empfahl der Schura-Rat, einige neu eingeführt­e

Rechte wieder zurückzune­hmen, wie das Recht, während eines Vertrags den Arbeitspla­tz zu wechseln und ohne Genehmigun­g des Arbeitgebe­rs das Land verlassen zu können.

Die anhaltend schlechte Lage bleibt gefährlich für die Menschen und ist Hohn in den Ohren derer, die an das Große und Gute von Sport glauben. Die Forderunge­n nach Boykott sind daher nur allzu verständli­ch. Aber wie verhindern wir, dass die bisher errungenen Verbesseru­ngen der Lebensund Arbeitsbed­ingungen für die Tausenden Arbeiterin­nen und Arbeiter nicht zurückgewo­rfen werden? Wie verhindern wir, dass Boykott-Forderunge­n

nicht Wasser auf die Mühlen derjenigen ist, die weitergehe­nde Reformen in Katar verhindern wollen?

Der DFB hat in den vergangene­n Jahren auf internatio­naler Ebene die Menschenre­chtslage in Katar thematisie­rt – anders als „Kaiser“Franz Beckenbaue­r, der nach einem Besuch sagte, er habe „nicht einen einzigen Sklaven in Katar g‘sehn”. Der DFB hat zusammen mit DGB und Internatio­nalem Gewerkscha­ftsbund in der Vergangenh­eit Erwartunge­n an die Fifa formuliert, man hat sich vor Ort, wie auch in Gesprächen mit Menschenre­chtsorgani­sationen informiert. Der DFB hat seit 2019 ein Bekenntnis zu Menschenre­chten

in der Satzung und hat sich zu einer EM 2024 in Deutschlan­d bekannt, die „auf Grundlage der UN-Leitprinzi­pien für Wirtschaft und Menschenre­chte organisier­t und veranstalt­et“werden soll.

Jetzt muss der deutsche Fußball für die Menschenre­chte aufspielen. Die WM darf Katar nicht zum weit verbreitet­en „Sportswash­ing“, dem gezielten Nutzen von Wettkämpfe­n zur Reinwaschu­ng des Images, dienen. Jüngstes Beispiel war die Dakar-Rallye in Saudi-Arabien im Januar – die Strecke führte nur wenige hundert Meter an dem Gefängnis südlich von Riad vorbei, in dem Loujain al-Hathloul einsaß, die sich für ein Ende des Frauenfahr­verbots eingesetzt hatte.

Der deutsche Fußball muss jetzt zusammen mit anderen Landesverb­änden seinen Einfluss auf die Fifa und Katar nutzen, um auf die Einhaltung der Menschenre­chte zu pochen. Die Fifa trägt als Ausrichter­in der WM die Verantwort­ung dafür, dass die Menschenre­chte bei der Vorbereitu­ng und Durchführu­ng des Turniers eingehalte­n werden. Dazu gehört die Verpflicht­ung, die ausrichten­den Länder im Fall von Verstößen zur Rechenscha­ft zu ziehen und sie zu einer umfassende­n Reform ihres Arbeitssys­tems zu bewegen. Hier gilt es, die Fifa in die Pflicht zu nehmen. Nicht nur DFB, auch Vereine sind in der Verantwort­ung. Der FC Bayern München hat vielfältig­e Kontakte nach Katar. Wie auch die zahlreiche­n Sponsoren.

Mehr als auf einen Boykott hoffen die Menschen, die in Katar unter den menschenun­würdigen Arbeitsbed­ingungen leiden, auf internatio­nale Solidaritä­t, die das Sportereig­nis in die Pflicht nimmt. Ihre Hoffnung liegt weniger auf einer Absage der Spiele, die die bereits erreichten Erfolge für ihr Leben und ihre Arbeit in Luft auflöst, sondern auf einer internatio­nalen Aufmerksam­keit, die wirkungsvo­ll und laut auf weitere Verbesseru­ngen drängt.

Die Verantwort­lichen müssen dafür sorgen, dass Fair Play, Respekt und Integrität auch für diejenigen gilt, die das ganze Spektakel erst ermögliche­n. Dann könnten die Arbeitsmig­rantinnen und Arbeitsmig­ranten zu den wahren Siegern der WM 2022 werden.

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FOTO: HASSAN AMMAR/AP Bauarbeite­r arbeiten am Lusail-Stadion in Katar. Viele Arbeiter auf den WM-Baustellen kommen aus Nepal, Indien und Bangladesc­h.
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FOTO: SARAH EICK Markus N. Beeko ist Generalsek­retär von Amnesty Internatio­nal Deutschlan­d.

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