Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
„Immer in Hoffnung“
In diesen Zeiten die Zuversicht nicht zu verlieren, fällt nicht immer leicht. Petra und Matthias Schmidt wollen aufmuntern – mit vielen kleinen Aktionen für Nachbarn und Freunde.
VEERT Im Februar, als die Häuser und Straßen in Veert mit Schnee bedeckt waren und fast kein Vor und kein Zurück mehr war mit dem Auto, da holten Petra und Matthias Schmidt das erste Mal seit Ewigkeiten wieder ihren Schlitten aus der Garage. In Hagen, wo die beiden herkommen, da hatten sie den schon mal öfter gebraucht. Das „Tor zum Sauerland“wird die Stadt schließlich genannt. Aber am Niederrhein? Wann fährt man da mal einen Berg hinunter? Petra und Matthias Schmidt hatten das auch an diesem Tag nicht vor. Sie hatten andere Pläne. Eine wichtige Lieferung.
Also erst mal in die Garage: den Schlitten von dem hohen Regal herunterholen, auf dem er seit Jahren verstaubte, und die Kufen reparieren. Die Töpfe, die sie brauchten, hatten ihre Freunde schon in den Tagen zuvor vorbeigebracht, weil Petra und Matthias Schmidt schon angekündigt hatten, das ihre eigenen für das, was sie vorhatten, nicht reichen würden. Dann in die Küche - Kürbissuppe kochen. Und alles einpacken: das Fladenbrot und den Hartkäse, den Joghurt und die Orangen. Die Servietten, die Kerze, das Blümchen. Alles eingepackt und los. Aber noch mal von vorne. Warum ziehen Petra und Matthias Schmidt überhaupt im Februar mit einem Schlitten durch Veert und liefern Essen aus?
Die Geschichte beginnt, als das Ehepaar ins Gelderland zieht. 25 Jahre ist das her. Matthias Schmidt hat eine feste Stelle als Lehrer am Friedrich-Spee-Gymnasium bekommen. Die ersten beiden Jahre ist er gependelt, das soll jetzt ein Ende haben. Um in der neuen Heimat anzukommen, tritt das Paar in einen Kegelclub ein. Einmal im Monat trifft man sich in einem Restaurant – zum Kegeln und zum Essen. Für Petra und Matthias Schmidt bedeuten die Treffen: die ersten Kontakte, die ersten Freundschaften in Veert. Aber irgendwann hat niemand mehr so richtig Lust auf das Kegeln. Auf das Essen und den Club aber schon. Was also tun, um weiterhin eine Gemeinschaft zu bleiben? Einfach einen „Ess-Club“gründen.
Alle vier Wochen reserviert die Gruppe von nun an einen Tisch in einem anderen Restaurant. Immer donnerstags. Immer um 19 Uhr. Wohin es geht, das bestimmt für zwölf Monate jeweils ein anderes Paar. In diesem Fall: immer der „Präsident“und die „Präsidentin“des Clubs. Ihre Aufgabe: einen Ort für das Essen auswählen und dann für alle reservieren. So läuft das über Jahre hinweg. Bis zur Pandemie. Ein Treffen im Restaurant, das geht nicht mehr. Und ausgerechnet jetzt, Ende 2020, sollen Petra und Matthias Schmidt
„Präsidentin“und „Präsident“des Clubs werden. Was nun? Die Präsidentschaft annehmen? Oder nicht?
Für das Ehepaar ist das keine Frage. Natürlich annehmen! Aber sie müssen sich eine Alternative überlegen. Und so kommt es, dass die beiden im Dezember das erste Mal in der Küche stehen und jede Menge selbst gemachte Sachen für die insgesamt zehn Club-Mitglieder zusammenpacken: Tapas und Geflügel. Kräutersalz und Marmelade. Plätzchen und selbst gesiedete Seife. „Und dann hat es schon in mir gebrodelt“, sagt Petra Schmidt. „Ich habe mir gedacht: Wir lassen uns jetzt jeden Monat etwas einfallen und liefern Essen vor die Türe.“Ihr Plan funktioniert. Und das selbst im Februar, als nur noch der Schlitten die Lieferung retten kann.
Aus dem alten Donnerstag-Ritual wird so ein neues: Um 18.30 Uhr bringen Petra und Matthias Schmidt alle vier Wochen Speisen und Deko vorbei. Um 19 Uhr schickt dann jedes Paar ein Foto von seinem gedeckten Tisch in die Whatsapp-Gruppe des Clubs. Dann folgen weitere Nachrichten: Wie war der Fleischtopf? Und wie haben die Windbeutel mit Avocado-Krabben-Creme geschmeckt? „Es steckt schon ein bisschen Logistik dahinter, aber es ist machbar. Wir kochen schließlich beide gerne. Und mein Mann ist wirklich ein göttlicher
Koch“, sagt Petra Schmidt.
Die Essenslieferungen sind aber nicht die einzige Aktion, die sich die 64-Jährige ausgedacht hat, um der Corona-Müdigkeit etwas entgegenzusetzen. Im Januar kommt sie nach einem Besuch auf dem Markt auf die Idee, Tulpen zu verschenken. Sie schickt sie an ihre drei erwachsenen Kinder – in Koblenz, Greifswald und Kiel – und legt sie als 10er-Bund bei Nachbarn, Freunden und Bekannten vor die Türe. Über 400 Tulpen verteilt sie so insgesamt. „Und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange“, sagt Petra Schmidt. Sie macht Salz selbst und Marmelade und Grußkarten – und das alles nur, um es später einmal zu verschenken. Es sind kleine Erinnerungen: an die Gemeinsamkeit inmitten der Einsamkeit. „Jeden Tag gibt es etwas Neues zu Corona zu lesen. Von Inzidenz-Werten und Mutationen und diesem oder jenem Impfstoff. Mir war es wichtig, den Menschen in dieser Zeit eine Freude zu machen und sie ein bisschen von all dem abzulenken“, sagt Petra Schmidt. Sie glaube aber auch, dass es gerade noch viele andere Menschen gebe, die ähnlich wie sie andere mit ihren Ideen in dieser Zeit aufmuntern wollen und einfach noch mehr in den Vordergrund müssten.
Wenn sie selbst von dem vergangenen Jahr erzählt, dann sind da zunächst einmal durchkreuzte Pläne, weil sie nach 47 Jahren in der Hilfe
für Menschen mit Behinderung ohne großen Abschied in Rente gehen musste. Dann ist da ihr Vater, der in einer Seniorenresidenz in Geldern lebt und zu dem sie durch die Pandemie plötzlich nur noch über das Handy oder das Fenster Kontakt haben konnte. Dann ist da eine Schwiegertochter in einem anderen Bundesland, die sie mit den drei kleinen Enkelkindern zuhause nicht unterstützen konnte, obwohl sie das so gerne getan hätte. Und dann ist da eine abgesagte Reise nach Tansania, bei der sie und ihr Mann eigentlich mal wieder die Kinderdörfer besuchen wollten, die sie mit dem Verein „Amani Kinderdorf“dort seit Jahren unterstützen.
Aber da ist auch ihre Arbeit in der Tagespflege für Senioren, bei der sie jetzt immer noch ein paar Stunden in der Woche aktiv ist, um dort mit den Menschen zum Beispiel Tomaten zu säen. Da ist auch eine Reise mit dem Wohnmobil an die Ostsee, um die erwachsenen Kinder zu besuchen. Da sind auch lange Spaziergänge mit Menschen aus der Nachbarschaft, mit denen sie vor der Pandemie sonst nur Smalltalk gehalten hat. Da ist die Hochzeit ihres ältesten Sohnes, bei der sie zwar nicht anwesend sein konnte, aber der sie dann am nächsten Tag zusammen mit seiner Frau „in voller Montur“zu Hause besucht hat. Und vor allem sind da die ganzen kleinen Dinge, die sie als Dankeschön für ihre eigenen Aufmerksamkeiten zurückbekommen hat. Fotos von den Tulpen. Eine Flasche Wein. Ein gemaltes Bild. Ein Telefonat. Ein Gruß.
Und mit dem „Ess-Club“? Wie soll es da jetzt weitergehen? „Ich darf ja noch nicht zu viel verraten. Aber mir sind die Ideen noch nicht ausgegangen“, sagt Petra Schmidt. Ein paar Monate sind sie und ihr Mann ja noch „Präsidentin“und „Präsident“. So lange werden die beiden auch die Fahne zuhause behalten, auf der eingestickt der Name ihres kleinen Clubs steht. Woher der eigentlich kommt, das weiß Petra Schmidt nicht mehr genau. Den müsse sich irgendjemand mal vor Jahren ausgedacht haben. Aber sie findet, dass es im Moment wahrscheinlich keinen besseren Namen geben könnte. „Immer in Hoffnung“, steht auf dem Stoff.