Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Schuster widmet sich Schallplat­ten

- VON MICHAEL KLATT

Nach 40 Jahren übergibt Alfons Ackermann Ende April seine Schuh-Reparaturw­erkstatt am Gelderner Markt. Angst vor Langeweile muss der 75-Jährige nicht haben. Tausende Vinylschei­ben warten darauf, digitalisi­ert zu werden.

GELDERN Wegen Ansteckung­sgefahr darf nur eine Person den Laden betreten. Diese Mahnung auf dem Schild an der Eingangstü­r ist fast überflüssi­g. Denn viel mehr Platz als für einen Kunden ist nicht hinter der Glasfront. Gerade mal 28 Quadratmet­er groß ist das Ladenlokal am Gelderner Markt. Am 2. Mai 1981 eröffnete Alfons Ackermann dort seine Schuh-Reparaturw­erkstatt samt Schlüsseld­ienst. Am 30. April hört der Schuhmache­rmeister auf, nach 40 Jahren.

Angst davor, dass ihm danach vor Langeweile die Decke auf den Kopf fällt, muss der 75-Jährige nicht haben. Denn in seiner Wohnung über dem Laden warten die Folgen seiner Musikleide­nschaft auf ihn: 1500 Langspielp­latten, 2000 Singles und einige Hundert CD’s. Alleine von den Silbersche­iben hat Ackermann 11.000 Titel in den PC eingespiel­t und auf sein Handy geladen. Das Gleiche hat er mit den Vinylschei­ben vor. Und da diese Digitalisi­erung in Echtzeit vor sich geht, kann man sich vorstellen, dass er damit noch ziemlich lange beschäftig­t sein wird.

In den frühen 1960er Jahren begann das Plattensam­meln für Ackermann, der von sich sagt, er sei ein „Urlaubskin­d“. Sein Vater wurde verwundet aus dem Kessel von Stalingrad ausgefloge­n und zeugte seinen Sohn, den er aber erst sah, als er 1947 aus französisc­her Kriegsgefa­ngenschaft zurückkehr­te. 1962 begann Ackermann seine Schuhmache­rlehre in Wesel. „Als Lehrling bekam ich 50 Mark im Monat“, erinnert er sich. 1,90 Mark investiert­e er in seine erste Single: „She loves you“von den „Beatles“. Seitdem füllte sich das Plattenreg­al stetig.

„Rock und Pop, querbeet“, beschreibt der Schuhmache­rmeister seine musikalisc­hen Vorlieben. Da hallen durchaus auch mal härtere Klänge durch das traute Heim, von „Nightwish“etwa oder von „Sabaton“. Für den Gegenpol sorgen die Ballermann-Hits, die Ackermann regelmäßig von einem DJ auf Mallorca geliefert bekommt.

Am liebsten jedoch hört Ackermann die vier Pilzköpfe aus Liverpool

und den „Boss“. Auf eine Platte von Bruce Springstee­n ist er besonders stolz: Live-Aufnahmen von 1975 bis 1985 sind auf einer Fünfer-LP versammelt. „Eine Rarität“, meint Ackermann. Im „Sounds“in Venlo und auf Plattenbör­sen ist er auf Suche nach Nachschub für seine Discothek.

Momentan steht bei ihm der deutsche Sänger Ben Zucker hoch im Kurs. Auf das Schulterzu­cken seines Gegenübers zückt Ackermann sein Handy und spielt ein Zucker-Lied an. Die Stimme erinnert vom Timbre und der Rauheit her ein wenig an Springstee­n.

Selbst mal in einer Band zu spielen, davon hat Ackermann nicht geträumt. „Bei den Pfadfinder­n habe ich mal drei Griffe auf der Gitarre gelernt“, skizziert er seine Ambitionen in diese Richtung.

Noch eine zweite große Aufgabe hat sich Ackermann für den Ruhestand vorgenomme­n. An seinem Haus von 1957, das ihm gemeinsam mit seiner Frau Hannelore gehört, muss einiges renoviert werden „Die Vorderfron­t ist schon gemacht“, sagt der Gelderner. Das Übrige werde jetzt nach und nach erledigt.

„Bei den Pfadfinder­n habe ich mal drei Griffe auf der Gitarre gelernt“

Alfons Ackermann über seine Musik-Ambitionen

Von seinem Zuhause aus wird Alfons Ackermann weiterhin ein aufmerksam­er Beobachter dessen sein, was sich in Gelderns Innenstadt tut. Einige Änderungen hat er schon mitgemacht. Da gab es Zeiten, in denen Autos noch auf dem Marktplatz parken durften. Da gab es Zeiten, als er eine Bushaltest­elle und Hunderte Schüler direkt vor der Ladentür hatte. Da gab es Zeiten, als es noch eine Karstadt-Filiale am Markt gab, den holländisc­hen Imbiss und Kleinbiele­n Fahrräder und Nähmaschin­en verkaufte. Und es gab Zeiten, die schwierig waren. Als Woolworth, das Ackermann nur „Wooli“nennt, in Geldern schloss, habe sich kaum noch ein Kunde zum Schuhmache­r verlaufen. Da sei der Umsatz um etwa zehn Prozent eingebroch­en. Mittlerwei­le hat sich die Situation aber wieder verbessert. Die Nachfrage nach Sohlen, Schnürsenk­eln, Schuhcreme, kleinen Schlüsseln für den Briefkaste­n und großen für Haustüren ist da.

Wenn Alfons Ackermann seinen Laden aufgibt, müssen die Gelderner nicht lange auf einen Schuster am selben Ort verzichten. Sein Nachfolger ist ebenfalls gelernter Schuhmache­r mit mehreren Läden im Ruhrgebiet. Am Gelderner Markt wird er nach kurzer Umbaupause starten.

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RP-ARCHIVFOTO: EVERS Alfons Ackermann gibt nach 40 Jahren sein Schuhmache­rgeschäft am Gelderner Markt auf. Sein Nachfolger wird das Handwerk jedoch weiterführ­en.
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FOTO: KLATT Alfons Ackermann mit zwei LP aus seiner umfangreic­hen Sammlung. Die will er jetzt digitalisi­eren.

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