Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Schuster widmet sich Schallplatten
Nach 40 Jahren übergibt Alfons Ackermann Ende April seine Schuh-Reparaturwerkstatt am Gelderner Markt. Angst vor Langeweile muss der 75-Jährige nicht haben. Tausende Vinylscheiben warten darauf, digitalisiert zu werden.
GELDERN Wegen Ansteckungsgefahr darf nur eine Person den Laden betreten. Diese Mahnung auf dem Schild an der Eingangstür ist fast überflüssig. Denn viel mehr Platz als für einen Kunden ist nicht hinter der Glasfront. Gerade mal 28 Quadratmeter groß ist das Ladenlokal am Gelderner Markt. Am 2. Mai 1981 eröffnete Alfons Ackermann dort seine Schuh-Reparaturwerkstatt samt Schlüsseldienst. Am 30. April hört der Schuhmachermeister auf, nach 40 Jahren.
Angst davor, dass ihm danach vor Langeweile die Decke auf den Kopf fällt, muss der 75-Jährige nicht haben. Denn in seiner Wohnung über dem Laden warten die Folgen seiner Musikleidenschaft auf ihn: 1500 Langspielplatten, 2000 Singles und einige Hundert CD’s. Alleine von den Silberscheiben hat Ackermann 11.000 Titel in den PC eingespielt und auf sein Handy geladen. Das Gleiche hat er mit den Vinylscheiben vor. Und da diese Digitalisierung in Echtzeit vor sich geht, kann man sich vorstellen, dass er damit noch ziemlich lange beschäftigt sein wird.
In den frühen 1960er Jahren begann das Plattensammeln für Ackermann, der von sich sagt, er sei ein „Urlaubskind“. Sein Vater wurde verwundet aus dem Kessel von Stalingrad ausgeflogen und zeugte seinen Sohn, den er aber erst sah, als er 1947 aus französischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. 1962 begann Ackermann seine Schuhmacherlehre in Wesel. „Als Lehrling bekam ich 50 Mark im Monat“, erinnert er sich. 1,90 Mark investierte er in seine erste Single: „She loves you“von den „Beatles“. Seitdem füllte sich das Plattenregal stetig.
„Rock und Pop, querbeet“, beschreibt der Schuhmachermeister seine musikalischen Vorlieben. Da hallen durchaus auch mal härtere Klänge durch das traute Heim, von „Nightwish“etwa oder von „Sabaton“. Für den Gegenpol sorgen die Ballermann-Hits, die Ackermann regelmäßig von einem DJ auf Mallorca geliefert bekommt.
Am liebsten jedoch hört Ackermann die vier Pilzköpfe aus Liverpool
und den „Boss“. Auf eine Platte von Bruce Springsteen ist er besonders stolz: Live-Aufnahmen von 1975 bis 1985 sind auf einer Fünfer-LP versammelt. „Eine Rarität“, meint Ackermann. Im „Sounds“in Venlo und auf Plattenbörsen ist er auf Suche nach Nachschub für seine Discothek.
Momentan steht bei ihm der deutsche Sänger Ben Zucker hoch im Kurs. Auf das Schulterzucken seines Gegenübers zückt Ackermann sein Handy und spielt ein Zucker-Lied an. Die Stimme erinnert vom Timbre und der Rauheit her ein wenig an Springsteen.
Selbst mal in einer Band zu spielen, davon hat Ackermann nicht geträumt. „Bei den Pfadfindern habe ich mal drei Griffe auf der Gitarre gelernt“, skizziert er seine Ambitionen in diese Richtung.
Noch eine zweite große Aufgabe hat sich Ackermann für den Ruhestand vorgenommen. An seinem Haus von 1957, das ihm gemeinsam mit seiner Frau Hannelore gehört, muss einiges renoviert werden „Die Vorderfront ist schon gemacht“, sagt der Gelderner. Das Übrige werde jetzt nach und nach erledigt.
„Bei den Pfadfindern habe ich mal drei Griffe auf der Gitarre gelernt“
Alfons Ackermann über seine Musik-Ambitionen
Von seinem Zuhause aus wird Alfons Ackermann weiterhin ein aufmerksamer Beobachter dessen sein, was sich in Gelderns Innenstadt tut. Einige Änderungen hat er schon mitgemacht. Da gab es Zeiten, in denen Autos noch auf dem Marktplatz parken durften. Da gab es Zeiten, als er eine Bushaltestelle und Hunderte Schüler direkt vor der Ladentür hatte. Da gab es Zeiten, als es noch eine Karstadt-Filiale am Markt gab, den holländischen Imbiss und Kleinbielen Fahrräder und Nähmaschinen verkaufte. Und es gab Zeiten, die schwierig waren. Als Woolworth, das Ackermann nur „Wooli“nennt, in Geldern schloss, habe sich kaum noch ein Kunde zum Schuhmacher verlaufen. Da sei der Umsatz um etwa zehn Prozent eingebrochen. Mittlerweile hat sich die Situation aber wieder verbessert. Die Nachfrage nach Sohlen, Schnürsenkeln, Schuhcreme, kleinen Schlüsseln für den Briefkasten und großen für Haustüren ist da.
Wenn Alfons Ackermann seinen Laden aufgibt, müssen die Gelderner nicht lange auf einen Schuster am selben Ort verzichten. Sein Nachfolger ist ebenfalls gelernter Schuhmacher mit mehreren Läden im Ruhrgebiet. Am Gelderner Markt wird er nach kurzer Umbaupause starten.