Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Kuba beendet die Ära Castro

- VON NICK KAISER

Das Land erlebt im Moment wirtschaft­lich unruhige Zeiten. Und nun, nach dem achten Kongress der Kommunisti­schen Partei, wird deren Chef zum ersten Mal seit der Revolution wohl nicht Castro heißen.

HAVANNA (dpa) Seit dem Sieg ihrer Revolution Anfang des Jahres 1959 haben die Brüder Fidel und Raúl Castro die Geschicke Kubas in verschiede­nen Ämtern bestimmt. Diese mehr als 60 Jahre lange Ära wird zwischen Freitag und Montag, beim Kongress der Kommunisti­schen Partei Kubas (PCC), voraussich­tlich enden. Es wird erwartet, dass Raúl Castro dann den Posten des Parteichef­s abgibt. Der 89-Jährige hatte bereits vor drei Jahren das Amt als Präsident des Karibiksta­ats an Miguel Díaz-Canel weitergege­ben, hielt aber am machtvolle­n Amt des Ersten Sekretärs der PCC fest. Als Präsident hatte er 2006, zunächst provisoris­ch, seinen erkrankten älteren Bruder Fidel beerbt. Dieser starb 2016 mit 90 Jahren.

Der PCC-Kongress findet etwa alle fünf Jahre statt – die diesjährig­e Ausgabe ist die achte seit der ersten im Jahr 1975. Bei dem Parteitag wählen etwa 1000 Delegierte das Zentralkom­itee. In diesem Jahr sollen nach Angaben der Partei außerdem unter anderem die Folgen der beim Kongress 2011 beschlosse­nen Wirtschaft­sreformen bewertet werden.

Zum ersten Mal seit ihrer Gründung im Jahr 1965 dürfte die einzige zugelassen­e Partei danach nicht mehr von einem Castro angeführt werden. Es bleibt abzuwarten, ob es zu einer Abkehr von der bisherigen Politik kommt, zumal Díaz-Canel als neuer Parteichef gehandelt wird. Der 60-Jährige hat als Präsident – ein in der neuen Verfassung von 2019 wiedereing­eführtes Amt an der Spitze des Staates – den Kurs der Castros weitestgeh­end beibehalte­n.

Es gab zuletzt jedoch bereits neue Reformen der Wirtschaft, die unter immer schärferen US-Sanktionen während der Amtszeit von Präsident Donald Trump sowie unter dem Einbruch des Tourismus in der Corona-Pandemie stark gelitten hat. Zunächst wurde vergangene­n Juli eine seit 2004 geltende, zehnprozen­tige Steuer auf den Dollar-Ankauf gestrichen. Vor den Geschäften gibt es wieder Warteschla­ngen, die an die Zeit nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n in den 90er-Jahren erinnern. „Damals hatte man das Gefühl, dass wir das alle gemeinsam durchstehe­n. Heute ist die Ungleichhe­it nicht nur größer, sondern auch offensicht­licher“, sagt Kuba-Experte William LeoGrande.

Zu Beginn dieses Jahres wurde eine der zwei einheimisc­hen Währungen abgeschaff­t. Dann wurde die Liste der im Privatsekt­or erlaubten Berufe von 127 auf mehr als 2000 erweitert. Eine Folge der Maßnahmen war ein starker Anstieg der Inflation.

Den Unmut vieler Kubaner über die Regierung und das sozialisti­sche Einparteie­nsystem artikulier­t unter anderen die Künstlergr­uppe Movimiento San Isidro (San-Isidro-Bewegung). Deren Rückhalt in der Bevölkerun­g machten Videos deutlich, die vor wenigen Tagen in sozialen Medien verbreitet wurden.

Darauf ist ein Gerangel zwischen Polizisten und einer aufgebrach­ten Menge am 4. April in der Altstadt von Havanna zu sehen. Ein Polizist hat einen Mann im Würgegriff und versucht, ihn in einen Polizeiwag­en zu zerren. Mehreren Menschen gelingt es gemeinsam, den Mann aus dem Griff des Beamten loszureiße­n.

Bei dem Mann, der der Polizei schließlic­h entkam, handelte es sich um den Rapper Maykel Osorbo. Ein Foto von dem Tag zeigt ihn mit erhobener rechter Faust – vom Handgelenk hängen Handschell­en. Eine Menschenme­nge folgte ihm bis zum Sitz der Movimiento San Isidro. Dort sangen sie gemeinsam das Lied „Patria y Vida“und beschimpft­en in Sprechchör­en Díaz-Canel.

„Patria y Vida“ist eine Koprodukti­on zwischen Osorbo und mehreren bekannten kubanische­n Musikern. Der Protest-Song ist bei Youtube mehr als 4,5 Millionen Mal aufgerufen worden. „Wir rufen nicht mehr ,Patria o Muerte’ (Vaterland oder Tod)“, heißt es darin an einer Stelle mit Blick auf einen viel zitierten Ausspruch Fidel Castros, „sondern ,Patria y Vida’ (Vaterland und Leben).“

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