Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Der Vater des Gartenbaus am Niederrhei­n

- VON MICHAEL KLATT

Hans Tenhaeff organisier­te vor mehr als 100 Jahren die Gärtner in Straelen und dem Umland. So legte er den Grundstein dafür, dass sich das Agrobusine­ss zu einem wichtigen Wirtschaft­szweig in der Region entwickeln konnte.

STRAELEN Verdienstv­olle Menschen werden verewigt – mit Denkmälern, auf Briefmarke­n, durch Stiftungen und auf Straßensch­ildern. Letzteres trifft auf Hans Tenhaeff zu. An der Peripherie des Stadtkerns von Straelen ist eine Straße nach ihm benannt.

Er hat dafür gesorgt, dass der alte plattdeuts­che Spruch, in Straelen sei nichts zu holen, längst nicht mehr stimmt. Er organisier­te vor mehr als 100 Jahren die Gärtner in der Stadt und ihrem Umland und legte so den Grundstein dafür, dass Straelen zum Zentrum einer der wichtigste­n Gartenbaur­egionen Deutschlan­ds wurde. Und gab somit letztlich auch den Anstoß dafür, dass das Agrobusine­ss, also die „grüne Branche“mit allen ihr angelagert­en Bereichen, ein bedeutende­r Wirtschaft­szweig am gesamten Niederrhei­n ist.

Tenhaeff hatte zunächst mit einem anderen Naturprodu­kt zu tun. Nach der Militärdie­nstzeit und einer Angestellt­entätigkei­t in einer Reederei in Ruhrort gründete er in Duisburg ein eigenes Holzhandel­sgeschäft. 1909 siedelte er mit seiner Firma nach Straelen um. Die dörfliche Gemeinde bot Tenhaeff gute Entwicklun­gsmöglichk­eiten für den Holzhandel sowie für das später errichtete Sägewerk und eine Kistenfabr­ik.

Nach seiner Wahl in den Straelener Gemeindera­t 1913 verstärkte Tenhaeff seine ehrenamtli­che Tätigkeit. Er hatte mitbekomme­n, wie die niederländ­ischen Nachbarn das Ruhrgebiet mit Gemüse belieferte­n, und überlegte, ob sich diese Branche nicht auch in Straelen installier­en ließe. „Tenhaeff überzeugte die eher am Vertrauten festhalten­den Bauern davon, dass sie mit intensivem Gemüseanba­u auf kleinen Flächen ihre Erträge enorm steigern könnten“, berichtete Straelens ehemaliger Stadtarchi­var Bernhard Keuck in einem früheren RP-Artikel. Etwa 40 Interessen­ten machte Tenhaeff, unterstütz­t von einem niederländ­ischen Experten, mit dem Erwerbsgar­tenbau vertraut.

Tenhaeffs Organisati­onstalent wirkte bald über die Stadtgrenz­en hinaus. Auf seine Anregung hin schlossen sich Ende 1913 im Altkreis Geldern 13 Obst- und Gartenbauv­ereine zu einem Kreisverba­nd zusammen. Im Juni 1914 wurde auf dem Kreisbahng­elände in Straelen die erste deutsche Erzeugerve­rsteigerun­g für Gemüse, Obst und Eier eröffnet.

Der in Straelen geschaffen­e Trend zur Kooperatio­n von Landwirten und Gärtnern strahlte bald nach Kempen, Moers und Kleve aus. Fast logisch war es, dass man Tenhaeff 1922 zum Vorsitzend­en des neuen Provinzial­verbands der Erwerbs-, Obst- und Gemüsezüch­ter für die Rheinprovi­nz machte.

„Tenhaeff begriff, dass ohne gute Ausbildung alles auf tönernen Füßen steht“, kommt Keuck auf den – neben Produktion und Vermarktun­g – dritten wichtigen Bereich im Agrobusine­ss zu sprechen, für den Anfang des 20. Jahrhunder­ts die Grundlagen geschaffen wurden. Auch hierbei wirkten die Niederländ­er inspiriere­nd. 1915 ließ Tenhaeff eine Versuchsan­lage von Glashäuser­n errichten. 1916 griff er den Gedanken auf, eine an der Praxis ausgericht­ete Lehranstal­t für den Gemüsebau in Straelen zu gründen. Sie war die Keimzelle für die Nachfolger Lehr- und Versuchsan­stalt und Gartenbauz­entrum sowie für weitere Bildungsin­stitute der Landwirtsc­haftskamme­r.

Beim Organisier­en beließ es Tenhaeff nicht. In Publikatio­nen warb er für den Gemüsebau. Ein kleines grünes Heft wurde 1913/14 zu einem Renner, 20.000 Exemplare wurden gedruckt. Darin versammelt­e Tenhaeff „Vorschrift­en über Sortierung und Verpackung von Gartenfrüc­hten aller Art“.

Jahrzehnte lang führte die HansTenhae­ff-Straße zum Versteiger­ungsgeländ­e. Die alten Hallen stehen längst nicht mehr. Auf dem brachliege­nden „Gemüseplat­z“, wie das Areal im Volksmund heißt, sollen bald Wohnungen gebaut werden. Der erste Spatenstic­h ist vor einigen Wochen erfolgt. Nach dem Willen der Stadtplane­r soll dort bald das zweite Straelener Zentrum entstehen.

Das Zentrum der Gartenbauv­ermarktung hat sich mittlerwei­le in den Straelener Stadtteil Herongen verlagert. Genauer: nach Niederdorf. Dort erhebt sich die Zentrale der Erzeugerge­nossenscha­ft Landgard, dort laufen die Versteiger­ungsuhren, an Dutzenden Laderampen holen Lkw die Ware und bringen sie zu den Abnehmern im Groß- und Einzelhand­el.

Rund 3300 Gartenbaub­etriebe vertrauen auf die Marktkraft der Genossensc­haft. Ihr Umsatz lag im Geschäftsj­ahr 2019 bei rund zwei Milliarden Euro, was gegenüber dem Vorjahr ein Plus von drei Prozent bedeutete. Der Gewinn vor Steuern belief sich auf 25,3 Millionen Euro, eine Steigerung von mehr als 31 Prozent. Auch im Pandemie-Jahr 2020 hielt der positive Trend an. Gartenarbe­it war eine der Tätigkeite­n, die durch das Coronaviru­s nicht eingeschrä­nkt waren. Dementspre­chend deckten die Menschen sich verstärkt mit Pflanzen ein.

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FOTOS: STADTARCHI­V STRAELEN Der erste Tag der Gemüsevers­teigerung in Straelen auf dem Gelände der Kleinbahn Kempen-Kevelaer, 4. Juni 1914. Hans Tenhaeff steht mit Mappe im Vordergrun­d rechts.
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ARCHIVFOTO: SEYBERT Fast ein Stadtteil für sich: Die Erzeugerge­nossenscha­ft Landgard direkt an der Autobahn 40 in Herongen-Niederdorf.
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Auch als Ölgemälde ist Hans Tenhaeff in Straelen präsent.
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