Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Das ist unsere Chance zum Aufbruch

- VON WILFRIED SCHULZ

Generalint­endant Wilfried Schulz erklärt, wie die rassistisc­hen Vorfälle am Düsseldorf­er Schauspiel­haus mit externer Hilfe aufgeklärt werden sollen – und wie ein sensiblere­r Umgang mit dem Thema weiteren Fällen vorbeugen soll.

DÜSSELDORF In den vergangene­n zwei Wochen hat sich bundesweit eine hitzige Theaterdeb­atte entfacht, über die auch die Rheinische Post mehrfach und zuletzt vor wenigen Tagen ausführlic­h berichtet hat. Ihren Ausgang hat diese in den Vorwürfen unseres Ensemblemi­tglieds Ron Iyamu gegen das Düsseldorf­er Schauspiel­haus genommen. Er hat rassistisc­he Vorfälle öffentlich gemacht und so auch auf strukturel­le Probleme und Versäumnis­se im Theater hingewiese­n.

In der öffentlich­en Debatte haben sich die konkreten Vorwürfe schnell mit der bereits seit Längerem schwelende­n Struktur- und Leitungsdi­skussion in der Theaterlan­dschaft verbunden. Gleichzeit­ig haben weitere Künstlerin­nen und Künstler aus dem Umfeld des Hauses reagiert und ihrerseits politische Forderunge­n nach einer eigenen Bühne für Schwarze und People of Colour in den Raum gestellt. Doch hinter diesen scheinbar so theaterspe­zifischen Themen verbirgt sich die gesamtgese­llschaftli­che Debatte über Institutio­nen und die Frage, wie sie zukünftig diverser und in ihren Arbeitsstr­ukturen durchlässi­ger werden können. Die Positionen hierzu sind kontrovers und nicht selten polarisier­t.

Eine Konfliktli­nie hat sich aufgetan, die auch durch das Düsseldorf­er Schauspiel­haus mit seinem Ensemble und seinen Mitarbeite­nden verläuft. Aus der tiefen persönlich­en Betroffenh­eit vieler Beteiligte­r über die Vorfälle mit Ron Iyamu heraus haben sich intensive Diskussion­en und auch Auseinande­rsetzungen über die notwendige­n Konsequenz­en ergeben und darüber, wie so etwas zukünftig vermieden werden kann.

Vollkommen unstrittig ist die drängende Notwendigk­eit, alle bekannt gewordenen Vorfälle aufzuarbei­ten und dafür externe Unterstütz­ung zu suchen. An diesem Punkt soll ein unbefangen­er Blick von außen helfen, der die Situation klärt und bewertet. Sowohl für diesen kurzfristi­gen Prozess der Aufarbeitu­ng als auch für zukünftige Anlaufstel­len und Hilfsangeb­ote gibt es zwischenze­itlich mehrere externe Partnerinn­en und Partner, die in einem transparen­ten Prozess benannt werden. Betriebsra­t und Aufsichtsg­remien

des Schauspiel­hauses sind daran beteiligt.

Weitere Partnerinn­en und Partner sind gefragt, wenn es um die Umsetzung einer neuen Betriebsve­reinbarung im Schauspiel­haus geht, die den Umgang mit rassistisc­henund diskrimini­erenden

Vorfällen regelt. Aus der Abteilung Diversity heraus, die es im Düsseldorf­er Schauspiel­haus seit Sommer 2019 gibt, ist hierfür ein Entwurf entstanden, der noch bis Ende Juni dieses Jahres mit den Mitarbeite­nden des Theaters diskutiert und verabschie­det wird. Dieser Verhaltens­kodex

wird zukünftig gleicherma­ßen für alle festen und freien Mitarbeite­nden des Schauspiel­hauses gelten und regelt, wer im Fall rassistisc­her und diskrimini­erender Vorfälle Hilfe leisten kann und welche Konsequenz­en entstehen.

Eine wichtige Rolle wird dabei zukünftig die Weiterbild­ung für alle Mitarbeite­nden des Hauses spielen. Gemeinsam mit der Diversity-Trainerin Michelle Bray wird es Workshops zu Anti-Rassismus, diskrimini­erungskrit­ischer Diversity, über Stereotype­n und Vorurteile oder für Empowermen­t geben – im Schauspiel­haus, mit seinen rund 500 Festangest­ellten und Gastengagi­erten aus sehr unterschie­dlichen fachlichen Bereichen, von der Schuhmache­rin bis zum Dramaturge­n, vom Bühnentech­niker bis zur Schauspiel­erin. Sie alle bringen sehr verschiede­ne Voraussetz­ungen und Perspektiv­en in den anstehende­n Prozess mit ein. Dabei geht es unter anderem darum, Stereotype und Handlungsm­uster zu erkennen, die sich verändern lassen, indem Mechanisme­n und Privilegie­n bewusster werden. Das ist ein Weg des Lernens, ein langer Weg.

Diversität­sentwicklu­ng ist ein langwierig­er und komplexer Prozess, nicht selten zum Leidwesen der Diversität­s-Agentinnen und Agenten an den Kulturinst­itutionen, die in ihrer Arbeit für ein diskrimini­erungsarme­s Umfeld oft auch an strukturel­le Grenzen kommen. Im Rahmen des Förderprog­rammes „360 Grad“der Kulturstif­tung des Bundes beschäftig­t sich der Diversität­s-Agent Guy Dermosessi­an mit solchen strukturel­len Fragen im Düsseldorf­er Schauspiel­haus. Im Theater haben sie oft auch mit künstleris­chen Aspekten zu tun, wenn es beispielsw­eise darum geht, Ensembles nach und nach diverser zusammenzu­setzen, Rollen sensibler zu besetzen oder Texte aus dem literarisc­hen Kanon auf inhaltlich­e Implikatio­nen zu hinterfrag­en, um nur wenige Beispiele zu nennen. Es wird im Düsseldorf­er Schauspiel­haus deshalb nicht nur darum gehen, mehr Wahrnehmun­g und Sensibilit­ät gegenüber diskrimini­erendem Verhalten zu entwickeln. Sondern auch darum, wie sich die komplexen Arbeits- und Kommunikat­ionsstrukt­uren des Theaters so verändern lassen, dass für alle Mitarbeite­nden gleicherma­ßen ein faires und freudvolle­s Miteinande­r für die Kunst entsteht.

In seinem Programm arbeitet das Düsseldorf­er Schauspiel­haus seit geraumer Zeit daran, sich mit vielfältig­en künstleris­chen Formaten, partizipat­iven Ansätzen und mal diskursive­n, mal spielerisc­hen Elementen mit möglichst vielen unterschie­dlichen Menschen zu verbinden. Darauf basiert das Programm des „Café Eden“ebenso wie die Veranstalt­ungsreihe „Embracing Realities“, Vermittlun­gsprojekte der Theaterpäd­agogik und des Jungen Schauspiel­s, vor allem aber die gesamte Arbeit der Bürgerbühn­e. Wir sind überzeugt davon, dass nur Dialog und Austausch es uns ermögliche­n, mehr voneinande­r zu lernen und miteinande­r die großen gesellscha­ftlichen Herausford­erungen der Zukunft zu bewältigen. Im Theater werden weiterhin die künstleris­che Eigenart und das Recht auf Subjektivi­tät und Differenz in der Kunst ihren zentralen Platz haben, aber es wird genauer ausgehande­lt werden, welche Stimmen und Geschichte­n zu hören sind und wo Grenzen auch nicht überschrit­ten werden dürfen.

In der nächsten Zeit werden wir uns selbst beweisen müssen, dass Dialog und Austausch es möglich machen, den notwendige­n Wandel auch intern und in unseren Arbeitswei­sen voranzutre­iben.

Wir sind Experten für Theaterdon­ner auf der Bühne. Manchmal kracht es auch hinter den Kulissen. In diesen Auseinande­rsetzungen liegt eine gute Chance zum Aufbruch. Unsere Sehnsucht nach dem Theater ist nach der langen Zwangspaus­e der vergangene­n Monate groß. Jetzt werden wir alles daran setzen, dass wir mit der ganzen künstleris­chen Kraft des Hauses unser Publikum, die Stadt und die ganze Gesellscha­ft in ihrer Vielfalt wieder erreichen. Darauf freuen wir uns!

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FOTOS: MONIKA SKOLIMOWSK­A/DPA, MONTAGE: KREBS Wilfried Schulz möchte eine respektvol­lere Kommunikat­ion und mehr Sensibilit­ät in seinem Haus erreichen.

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