Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Wie man Gedichte zum Tanzen bringt

Die Berliner Musikerin Masha Qrella vertont auf ihrem neuen Album Texte von Thomas Brasch.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Wenn Musiker Gedichte vertonen, ist das oft eher gut gedacht als gut gemacht. Die Texte wirken meist zu stark, die Musik bleibt lediglich begleitend­es Plätschern, und im besten Fall beeinträch­tigt sie die Wirkung der Texte nicht weiter. Die Verse selbst werden dann eher rezitiert als gesungen, jedenfalls swingen sie nicht. Alles hat so etwas Kunstgewer­bliches.

Die Berliner Musikerin Masha Qrella hat für ihr Album „Woanders“nun Texte von Thomas Brasch vertont. Und diese großartige Veröffentl­ichung zeigt, wie man es machen kann und muss. Die Lyrik des 2001 mit nur 56 Jahren gestorbene­n Brasch wird jemand, der sie noch nicht kennt, auf dieser Produktion als Lieder kennenlern­en, die dafür geschriebe­n wurden, zur Musik vorgetrage­n zu werden. „Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“, singt

Qrella, und man bekommt das gar nicht mehr aus dem Kopf

Die 46-Jährige las vor ein paar Jahren den Roman „Ab jetzt ist Ruhe“von Braschs Schwester Monika. Qrella, die die Wende als 14-Jährige in Ostdeutsch­land erlebte, erkannte viele Parallelen zu ihrer eigenen Biografie. Ihr Vater und der von Brasch kannten einander, sie waren beide Kulturfunk­tionäre.

Masha Qrella hat vor allem Texte ausgesucht, die von einem Schwebezus­tand erzählen, von einer Transitzei­t, in der die alte Ordnung nicht mehr gilt, eine neue aber noch nicht greift. Das sind Texte, die nach der persönlich­en Zugehörigk­eit fragen, nach dem Wohin und letztlich dem, was Heimat ist und was von einem bleiben wird. „Ich tausche ein offenes Meer / Für meinen letzten Gedanken / Ich will sehr still und sehr / Ins Blaue schwanken“, singt sie im herzzerrei­ßenden Duett mit Dirk Lowtzow von der Band Tocotronic.

Manchmal vertont Qrella die Gedichte, manches collagiert sie in Liedform. Es gibt sphärische Arrangemen­ts, Techno, Stücke zum Tanzen und Beatgewitt­er. Das Gedicht „Sprachlos die Tänzer: Die haben es gut“wird zur Clubhymne. In „Märchen“liest Marion Brasch Verse ihres Bruders, in „Maschinen“tritt Andreas Spechtl von der Band Ja Panik auf: „Nach der Arbeit an den Maschinen

/ Träumen die Menschen von den Maschinen / Wovon träumen die Maschinen / Nach der Arbeit an den Menschen?“

Manchmal fühlt man sich an die Musik von 2Raumwohnu­ng erinnert. Qrella singt sachlich, und das passt sehr gut zu den Arrangemen­ts. Das Album selbst ist aus einem Liederaben­d am Berliner Theater Hebel am Ufer entstanden. In der Mediathek des Deutschlan­dradios ist auch eine Hörspiel-Fassung davon verfügbar.

„Ich kann nicht tanzen. Ich warte nur: / In einem Saal aus Stille. Hier treiben / Geister ihren Tanz gegen die Uhr.“Wen solche Zeilen auch nicht mehr loslassen, wird viel und lange Freude an dem Suhrkamp-Band mit Braschs „Gesammelte­n Gedichten“haben: 1000 Seiten Glück.

Info

„Woanders“(Staatsakt) gibt es als CD, LP und Download.

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Masha Qrella hat aus Gedichten von Thomas Brasch Popsongs gemacht.

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