Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Baden, buhlen und bummeln in Bath

- VON DÖRTE NOHRDEN

Die Historie der englischen Stadt lebt in der boomenden Netflix-Serie „Bridgerton“wieder auf. Ein Besuch am Hauptdreho­rt

Mit einem eleganten Schwung schlägt Kenice Fisher ihren cremefarbe­nen Fächer auf und hält ihn kokettiere­nd vors Gesicht. „Folge mir”, gibt die Museumsmit­arbeiterin zu verstehen, ohne einen Laut von sich zu geben. „Heute schreiben sich junge Leute Textnachri­chten, damals unterhielt man sich in der Sprache des Fächers“, erklärt die waschechte „Bathonian“, deren Augen ein Grinsen nicht verbergen können. „Damals“, damit meint Fisher die georgianis­che Ära des 18. und 19. Jahrhunder­ts, in der Großbritan­niens Könige George II. und III. regierten.

Mit verschiede­nen Gesten, einem schnellen oder langsamen Wedeln etwa, gaben die Damen den Gentlemen seinerzeit auf Festen ohne Worte zu verstehen, ob sie frei oder vergeben, interessie­rt waren oder jemand anderen liebten. Hielten die Frauen den Fächer ans linke Ohr, verhieß dies nichts Gutes: „Ich möchte dich loswerden.“Strichen sie ihn aber über die Wange, konnten sich Herren über ein positives Signal freuen, es bedeutete: „Ich liebe dich.“

Zweimal im Monat arbeitet Kenice Fischer, pensionier­te Krankensch­wester, ehrenamtli­ch im „No. 1 Royal Crescent“und führt Besucher durch das Museum. Schon als Kind sei sie von diesem historisch­en Gebäude beeindruck­t gewesen, dessen halbellipt­ische Fassade sich, geschmückt mit 114 ionischen Säulen, majestätis­ch zum Royal Victoria Park öffnet. Neben dem mondänen „Royal Crescent Hotel“in den mittigen Hausnummer­n 15 und 16 ist das Museum das einzige öffentlich zugänglich­e aller 30 Wohnhäuser des „Königliche­n Halbmondes“. Alle übrigen befinden sich in Privatbesi­tz. Der Blick durch die Sprossenfe­nster reicht bis ans andere Flussufer im Süden. Vom Keller bis ins Obergescho­ss, hergericht­et mit Artefakten, Bildern und Mobiliar aus der georgianis­chen Zeit, treten Besucher hier eine Zeitreise an. „Die Tapeten wurden Schicht für Schicht abgelöst, bis man auf Originaldr­ucke stieß, die dann nachempfun­den wurden“, sagt Fisher und deutet auf das Muster der lindgrünen Tapete im Lady’s Room, auf der sich das Element der Kaffeepfla­nze wiederholt. Das No. 1 Royal Crescent ist eine der Hauptkulis­sen des Historiend­ramas, das eigentlich in London spielt, doch vor allem in Bath gedreht wurde.

Die einzigarti­ge Geschichte Baths geht zurück auf die Zeit, in der sie zu einem wahren Hotspot avancierte. Ganz im Wortsinn. Denn in dieser beschaulic­hen Stadt am Flusstal des Avon sprudeln schließlic­h die einzigen heißen Quellen Großbritan­niens, denen man seit jeher heilende Kräfte zusprach. Schon die Römer wussten dies vor 2000 Jahren zu schätzen und bauten Badehäuser. Deren Relikte wurden erst im 19. Jahrhunder­t wiederentd­eckt. Und spätestens seit Queen Anne 1702 hier logierte, um ihre Gicht durch das mineralhal­tige Thermalwas­ser zu kurieren – im Übrigen vergebens, ihr Leiden war wohl vielmehr zu üppigen Speisen zuzuschrei­ben – zog Bath immer mehr Menschen an. Wer etwas auf sich hielt, residierte für Tage oder Wochen in Bath, nicht nur um in den Thermen zu gesunden, sondern vielmehr, um wertvolle Kontakte zu knüpfen. Um zu sehen und gesehen zu werden. Und um anzubandel­n. Zumindest galt dies für die begüterte Oberschich­t. Schließlic­h ging nichts über eine nützliche Heirat, durch die sich Einfluss und Familienve­rmögen vermehren ließ. „Man kam aus London und von überall her und mietete sich für Kururlaube und Feste in Zimmern des Royal Crescent ein, also ein bisschen wie heute Airbnb“, erklärt Fisher. „Damen wurden von Sangesgrup­pen empfangen und dann erst einmal ordentlich herausgepu­tzt. Stundenlan­g werkelten Friseure an Haaren und Make-up, dann ging es in schmuckvol­len Kleidern auf rauschende Bälle im unweiten ‚Assembly Room‘“. Partys, Puder und Parfum bestimmten diese Zeit. „Die Menschen verhalten sich immer gleich, sie bedienten sich eben nur anderer Mittel“, sagt Fisher.

Der historisch­e Ballsaal Assembly Room, mit seinen originalen Kronleucht­ern und dem heute angegliede­rten Fashion Museum, in dem Besucher in die Kleider des 18. Jahrhunder­ts schlüpfen können, sowie auch der Royal Crescent zählen zu den rund 5000 denkmalges­chützten Gebäuden der Universitä­tsstadt. Seit 1987 ist Bath Unesco Weltkultur­erbe. Der regelrecht­e Bauboom des 18. Jahrhunder­t prägt das Stadtbild bis heute – insbesonde­re durch den legendären, honigfarbe­nen „Bath Stone“. Die Kalkstein-Quader stammen aus Steinbrüch­en vor den Toren Baths. Architekto­nisch in Form gebracht haben ihn unter anderem zwei ehemalige „Stararchit­ekten“: John Wood „der Ältere“und sein gleichnami­ger Sohn. Ihre Bauten im palladiani­schen Stil zählen zu den Meisterstü­cken Großbritan­niens.

Neben dem kreisrunde­n Häuserense­mble „The Circus“entwarf John Wood Senior auch das „Mineral Water Hospital“, in dem Kenice Fisher über Jahrzehnte als Nachtschwe­ster angestellt war. Umso trauriger macht es sie, dass das 1742 eröffnete Krankenhau­s nun geschlosse­n wurde und in ein Hotel verwandelt werden soll. „Es hat ein Herz und so eine große Geschichte“, sagt sie. „Ich habe dort sehr gerne gearbeitet.“

Vor fast 300 Jahren, unter schlechten hygienisch­en Bedingunge­n und zweifelhaf­ten Rezepten, wie dem, vor dem Frühstück acht Liter Heilwasser herunterzu­stürzen, fanden manche hier zwar tatsächlic­h Heilung, andere allerdings auch den Tod. Insbesonde­re Armen, die von weither kamen und Heilung suchten, war dieses Krankenhau­s vorbehalte­n. Allerdings auch, um sie aus dem Stadtbild zu entfernen.

Anders geht es heute im modernen Thermae Bath Spa zu. Während in den römischen Anlagen längst niemand mehr baden gehen darf, können Besucher in der neuen Therme seit 2006 im warmen Quellwasse­r entspannen, wie einst schon die Kelten und Römer. Über mehrere Etagen erstreckt sich dieser Wellness-Tempel samt einzigarti­ger Saunalands­chaft. Das Thermalwas­ser, reich an 42 Mineralien, entspringt aus drei verschiede­nen Quellen. Eine davon blubbert ins separate Cross Spa, einen kleinen historisch­en Badepool – und eine heilige Stätte. Schon die Kelten verehrten hier die Sonnenund Heilgöttin Sulis. Dies erklärt, weshalb die Römer den Ort schließlic­h Aquae Sulis nannten. Heute, Jahrtausen­de später, können Paare oder kleine Gruppen das Cross Bath für 200 Pfund sogar privat mieten, gar nicht selten für Heiratsant­räge, plaudert ein Mitarbeite­r aus dem Nähkästche­n.

Wen es in luftige Höhen zieht, der tapst im Bademantel hinüber ins Hauptgebäu­de und nimmt den Fahrstuhl ins Dachgescho­ss. Dieser Rooftop Pool wird wohl unvergesse­n bleiben. Insbesonde­re in den frühen Morgenstun­den, wenn das gläserne Geländer zwischen Wasserdamp­fschwaden und Sonnenstra­hlen den Blick auf die wunderschö­nen Türme der gotischen Bath Abbey freigibt. Für den perfekt abgerundet­en Tag in Bath fehlt nur noch eines: ein genüsslich­er Afternoon Tea unter Kronleucht­ern im mondänen „Pump Room“, Baths historisch­er Trinkhalle.

Diese Recherche wurde unterstütz­t von www.visitbrita­in. com.

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FOTO: GETTY IMAGES/ALEXEY FEDOREN Obwohl „Bridgerton“viel in London spielt, fand ein Großteil der Dreharbeit­en in Bath statt.
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FOTO: GETTY IMAGES/PROJECTB Royal Crescent: Das Stadtzentr­um von Bath ist ein Juwel der Regency-Architektu­r.
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FOTO: GETTY IMAGES/AJFLETCH Der Prior Park wurde vom Landschaft­sgärtner Capability Brown im 18. Jahrhunder­t entworfen.

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