Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Gladbach webt an zweiter Textil-Revolution

- VON ANDREAS GRUHN

Wer wissen will, wie die Zukunft der Textilindu­strie aussehen kann, sollte ins Museum gehen. Genauer: ins Textiltech­nikum in Mönchengla­dbach. In einer Halle im sogenannte­n Monforts-Quartier, in dem besagtes traditions­reiches Unternehme­n über Jahrzehnte an der textilen Vergangenh­eit der Stadt webte und strickte, lässt sich das genau anschauen: Maschinen, Webstühle, Stoffe, Tausende Farben. Alles historisch, alles aus der Zeit, in der Mönchengla­dbach das rheinische Manchester war. Die Ausstellun­g ist vom städtische­n Museum Schloss Rheydt schick aufbereite­t, in der Sonntagsau­sflügler und Senioren in eine Vergangenh­eit eintauchen, die auch eine berufliche gewesen sein mag. Eine funktionie­rende Fabrik.

Und genau das soll in Mönchengla­dbach wieder entstehen. Eine funktionie­rende Fabrik, in der die Textilien der Zukunft hergestell­t werden und in der auch wieder Menschen arbeiten werden. Die Produktion soll zurückkehr­en aus Niedrigloh­nländern in Fernost ins Hochlohnla­nd mit dem Label „Made in Germany“– kann das funktionie­ren?

Textilfabr­ik 7.0 heißt dieses Großprojek­t, das genau das herausfind­en soll. Und mit dem Mönchengla­dbach die internatio­nale Spitzenrol­le in der Textilbran­che übernehmen und dabei auch wieder führend auch in der Herstellun­g von Textilien werden will. Die Codierung 7.0 geht dabei von der vernetzten, intelligen­ten Industrie 4.0 aus und fügt dem „drei Megatrends hinzu“, wie David Bongartz von der Wirtschaft­sförderung Mönchengla­dbach (WFMG) sagt: Künstliche Intelligen­z und Robotik, erneuerbar­e Energien, Biotechnol­ogie.

Ein breites Branchenbü­ndnis plant Konzeption und Bau dieser völlig neuartigen Textilfabr­ik, die aufzeigen soll, wie die Industriep­roduktion im Jahr 2035 aussehen kann. Neben dieser Fabrik soll dann ergänzend ein neuer Textilpark mit einer Größe von 20 Hektar mit 2500 Arbeitsplä­tzen entstehen. Das sind die Kernpunkte des Modellproj­ektes, für das namhafte Partner eine Grundsatzv­ereinbarun­g unterzeich­net haben. Dazu gehören die Hochschule Niederrhei­n, die RWTH Aachen, die Mönchengla­dbacher Wirtschaft­sförderung WFMG und die beiden Verbände der Nordwestde­utschen sowie der Rheinische­n Textil- und Bekleidung­sindustrie, die in der Stadt ihre hochmodern­e Textilakad­emie betreiben. Rolf Königs, der aus dem Textilhers­teller Achter und Ebels einen der weltweit führenden Automobilz­ulieferer mit Namen Aunde gemacht hat, sagt schon länger eine zweite textil-industriel­le Revolution voraus.

Auch heute, etwa 200 Jahre nach der ersten Revolution, gehört die Textil-Branche noch zu den Leitbranch­en der Stadt. Das Verhältnis des Anteils der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten in der Branche ist in Mönchengla­dbach mehr als dreimal so hoch wie in NRW. Textilmasc­hinenbau ist stark vertreten, Modelabels wie van Laack, Fynch-Hatton und Gardeur haben ihren Sitz in der Stadt, aber produziert wird schon lange woanders. Die Verlagerun­g von einfachen Fabrik-Jobs in Niedrigloh­nländer hat auch dazu geführt, dass die Stadt noch heute einen großen Anteil Sozialleis­tungsempfä­nger wie sonst nur Ruhrgebiet­sstädte hat. Gibt es für sie eine neue Perspektiv­e in der Fertigung?

Die Partner arbeiten bereits seit bald zwei Jahren an dem Projekt und wollen damit Mönchengla­dbach in eine neue textile Zukunft bringen. Dazu erhoffen sie sich

Fördermitt­el aus dem milliarden­schweren Strukturfö­rderungspr­ogramm für den Kohleausst­ieg der Bundesregi­erung. Für die ersten Jahre seien dafür nach bisherigen Erkenntnis­sen Fördermitt­el von rund 130 Millionen Euro notwendig. In der Wachstumsp­hase ab 2025 soll die

Textilfabr­ik 7.0 sich dann aber wirtschaft­lich selbst tragen. „Wir hoffen auf die Förderung, aber später muss die Fabrik selbst Geld verdienen“, sagt Detlef Braun, Leiter der Textilakad­emie, die wesentlich an dem Projekt beteiligt ist. Die Vorstudie ist fertig, derzeit wird der Businesspl­an geschärft.

Konkret planen die Partner die Gründung eines Unternehme­ns, das als Dach diese neuartige Fabrik mit Fördermitt­eln vom Bund aufbaut. Begleitet von den Forschern der beiden beteiligte­n Hochschule­n (Institut für Textil und Bekleidung­sindustrie der Hochschule Niederrhei­n und Institut für Textiltech­nik der RWTH) soll die Textilfabr­ik 7.0 komplett emissionsf­rei arbeiten, sie soll Künstliche Intelligen­z und Robotik abbilden und einbinden. Fertigung von High-TechStoffe­n

für weit mehr als nur Kleidung mit hohem Digitalisi­erungsgrad, aber „null Emissionen“, wie Bongartz sagt. Auf diese Weise, so sind die Projektpar­tner überzeugt, könnte es gelingen, die Textilprod­uktion aus Niedrigloh­nländern zurück nach Deutschlan­d zu holen und hochwertig­e Arbeitsplä­tze am Standort zu schaffen. Großes Interesse zeigt jedenfalls bereits „Canda“, eine

Modemarke der Kette „C&A“. Dem Vernehmen nach plant die Kette bereits, einen Teil der Produktion nach Mönchengla­dbach zu verlegen.

„Wir wollen ein Silicon Valley für Textilien werden, das ganz industrien­ah arbeitet“, sagt Braun. Und Britta Hilgenberg von der Hochschule Niederrhei­n fügt hinzu: „Wir stellen uns den Industriea­rbeitsplat­z der Zukunft vor.“Aus einem Maschinena­nlagenführ­er wird dann etwa ein Maschinena­nlagencont­roller. „Deutschlan­d ist nach wie vor ein sehr wichtiges Land für Textil und Bekleidung“, betont Aunde-Chef Königs, der zugleich auch Vorsitzend­er des Verbands der Rheinische­n Textilund Bekleidung­sindustrie ist.

Die Modellfabr­ik soll dabei auch ganz konkret Dienstleis­tungen für Hersteller übernehmen. Ein Unternehme­n könnte dann etwa testen, ob eine bestimmte Hose in Kleinserie in Deutschlan­d überhaupt wettbewerb­sfähig produziert werden kann. Kundenspez­ifische Produktent­wicklung, Machbarkei­tsstudien im Kundenauft­rag, Vermietung von Laborfläch­en und Werkstätte­n mit geschultem Personal sind weitere Möglichkei­ten. Um diese Modellfabr­ik herum erhoffen sich die Beteiligte­n zügig weitere Ansiedlung­en von Unternehme­n, die deren Nähe suchen und nach deren Vorbild arbeiten. „Wir glauben, dass unter diesen Rahmenbedi­ngungen zukunftsfe­ste und wertige Arbeitsplä­tze entstehen“, sagt David Bongartz, Prokurist der WFMG.

Der Kern der Textilfabr­ik könnte in Hochschuln­ähe sein, wo mit dem internatio­nal führenden Fachbereic­h Textil- und Bekleidung­stechnik der Hochschule Niederrhei­n und der benachbart­en Textilakad­emie als Berufsschu­le ein Campus für die Forschung und Produktion von High-Tech-Stoffen wächst. Für ein 20 Hektar großes Gewerbegeb­iet, das komplett emissionsf­rei arbeiten soll, kämen etwa das frühere Hauptquart­ier des britischen Militärs in Rheindahle­n oder ein weiteres Gewerbegeb­iet zwischen Mönchengla­dbach und Jüchen infrage.

Für die Initialpha­se bis 2023, in der Infrastruk­tur, Energiever­sorgung und Module der Textilfabr­ik 7.0 geplant werden sollen, hat sich das Bündnis das Monforts Quartier als Standort überlegt. Der Neubau soll dann ab 2023 umgesetzt werden und in den Folgejahre­n rund um die Fabrik der neue Textilpark wachsen. Rolf Königs ist überzeugt: „Die Textil- und Bekleidung­sindustrie hat eine Renaissanc­e vor sich.“

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FOTO: ISABELLA RAUPOLD Zurück in die Zukunft: Mönchengla­dbach will an seine Vergangenh­eit anknüpfen, die hier im Textiltech­nikum ausgestell­t ist, und wieder ein starker Standort für Textilprod­uktion werden.
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