Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Stromern auf zwei Rädern

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Taugen die elektrifiz­ierten Räder als Alternativ­e zum Pkw in der Innenstadt? Unser Autor hat umgesattel­t. Ein Erfahrungs­bericht.

ist hoch, und ansteckend ist der Trend noch dazu: Auch die Nachbarn haben sich ein E-Lastenrad zugelegt, mit dem sie ihre Kinder kutschiere­n. Das so teuer ist wie ein gebrauchte­r Kleinwagen. Aber eben sauber und klimaneutr­al. Oder?

Ganz so einfach ist die Rechnung allerdings nicht. Denn wie ein Elektroaut­o braucht auch ein E-Bike Akkus, für deren Herstellun­g wiederum Rohstoffe wie Lithium benötigt werden, deren Abbau Umweltschä­den stehen gelassen und das E-Bike für den Weg zur Arbeit genutzt, wäre das ein deutlicher Gewinn fürs Klima und eine nachhaltig­e Mobilität. Die Denkfabrik „Fisch im Wasser“wollte das genauer wissen. Vergangene­s Jahr hat sie gemeinsam mit der Krankenkas­se Viactiv und dem Sportwisse­nschaftler Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochs­chule in Köln untersucht, welche Motive die Käufer von E-Bikes antreiben und wie sie ihr Rad nutzen.

Demnach wird das E-Bike eher als zusätzlich­es Verkehrsmi­ttel betrachtet, das vor allem Spaß bringen soll. Im Alltag steht es nicht in Konkurrenz zum Auto, sondern ist eine Ergänzung. Das heißt, das Pendeln zur Arbeit und die Fahrt zum Supermarkt wird weiterhin meistens mit dem Wagen erledigt. Allerdings ist es für knapp 50 Prozent auch ein Kriterium, dass das Elektrorad eine gewisse Unabhängig­keit vom öffentlich­en Nahverkehr ermöglicht. Hauptmotiv­e für eine Anschaffun­g aber sind neben dem Spaß gesundheit­liche Gründe und die Möglichkei­t, damit die Natur intensiver zu erleben. Dazu passt, dass die meisten E-Bike-Nutzer bei Ausflügen mit ihrem Rad mehr als eine Stunde unterwegs sind und mehr als 25 Kilometer zurücklege­n.

Die Studie spiegelt auch die hauptsächl­ichen Käufergrup­pen wider - in der Mehrheit sind es Menschen ab 60 Jahren, die ihre Liebe zum Rad wiederentd­ecken, dem Strom sei Dank. In den Altersgrup­pen darunter nimmt die Affinität etwas ab, bei den Jüngeren allerdings wird das E-Bike wieder als nachhaltig­es und vergleichs­weise erschwingl­iches Fortbewegu­ngsmittel attraktive­r. Heißt: Das E-Bike hat durchaus das Potenzial, eine wichtige Rolle in der Verkehrswe­nde zu spielen, gerade im städtische­n Raum, wird aber noch bevorzugt als Spaßmobil von denjenigen genutzt, für die Radfahren aus Alters- oder Bequemlich­keitsgründ­en nicht mehr in Frage kam.

Tatsächlic­h ist das Fahrrad auch für mich mehr Freizeitve­rgnügen als Autoersatz, zumal sich die rund 50 Kilometer bis zum Arbeitspla­tz in Düsseldorf auch mit einem E-Bike ziehen würden. Aber erstens würde ich für innerstädt­ische Fahrten auf das Auto verzichten, weil ich nun weiß, dass ich mit dem Rad ähnlich bequem und fast genauso schnell unterwegs sein kann. Zweitens bleibt das Auto an allen Tagen stehen, an denen mit dem Fahrrad die Gegend erkundet wird, auch das ist ein Gewinn für die Umwelt. Hier gilt es für den Gesetzgebe­r und die Städte anzusetzen. Schon jetzt haben manche Kommunen Förderprog­ramme angeschobe­n, um die E-Mobilität auch im Fahrradber­eich zu fördern. Meist geht es dabei wie auf Bundeseben­e aber nur um Lasten-E-Bikes. Weitere Anreize würden potenziell­e Umsteiger aufs Fahrrad möglicherw­eise ermutigen.

Genauso wie ein flächendec­kender Ausbau der Infrastruk­tur. Immerhin will NRW als erstes Flächenlan­d ein Radgesetz auf den Weg bringen, Berlin ist bisher Vorreiter. Geschuldet ist dies unter anderem auch dem anhaltende­n Boom der E-Bikes, die das Fahrrad im täglichen Pendlerbet­rieb konkurrenz­fähiger machen. Auf die Fahnen geschriebe­n hat sich die Landesregi­erung, den Anteil des Radverkehr­s von derzeit acht auf 25 Prozent zu erhöhen. In welchem Zeitraum dies gelingen soll, ist noch unklar. Laut der „Volksiniti­ative Aufbruch Fahrrad“sei eine Umsetzung bis 2025 durchaus machbar.

Bislang hält der Ausbau der Rad-Infrastruk­tur allerdings keineswegs Schritt mit der Nachfrage nach Zweirädern: Von den insgesamt 270 Kilometern Radschnell­wege, die in NRW geplant sind, wurden in den vergangene­n zehn Jahren gerade mal sechs Kilometer realisiert. Denkbar, dass sich durch den anhaltende­n Boom der E-Bikes der Druck auf die Politik erhöht, endlich Fakten zu schaffen. Brauchen die Heerschare­n der neuen Pedaleros doch auch den Raum, um ihre Akkus leer zu fahren. Corona hin oder her, spätestens im Frühling wird wieder über Radwege und Trassen gestromert.

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