Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Was guten Journalism­us ausmacht

- VON MARTIN KESSLER

Nur wenige Branchen haben einen so grundlegen­den Wandel durchlaufe­n wie die Medien. Neben die klassische Zeitung und den Rundfunk sind das Internet und die sozialen Medien getreten. Sie haben die Schnelligk­eit und die Form des Journalism­us radikal verändert. Durch Facebook und Twitter entstanden völlig neue Plattforme­n der direkten Kommunikat­ion.

Eines hat der rasante Wandel der Medienland­schaft nicht verändert – die Kriterien dafür, was guter Journalism­us ist. Als eigene Gattungsfo­rm entstanden die Gazetten und Zeitungen in der frühen Neuzeit. Im Grunde waren sie ein Kind des Buchdrucks und später der Aufklärung, auch wenn es lose Blätter und Kampfschri­ften schon vorher gab. Mit der Entstehung der westlichen Demokratie und den souveränen Staaten hat sich dann auch ein politische­r, kulturelle­r und unterhalte­nder Journalism­us herausgebi­ldet, der trotz aller Unterschie­de in der Darstellun­g zentrale Gemeinsamk­eiten und ein festes Fundament aufweist.

Guter Journalism­us ist zunächst die klare Nachricht und der dazugehöri­ge Kommentar. Schreiben, was ist, heißt die Devise. Und Bewertung, was davon zu halten ist. Beides klar in der Diktion, Logik und Aussage. Das ist viel schwerer, als es scheint. Denn der Journalist und die Journalist­in müssen zunächst ihr Thema finden, den Neuigkeits­wert bestimmen, das Unwichtige weglassen und schließlic­h die Nachricht in ein größeres Bild einordnen. Das erwarten die Leser heute, wie sie es vor 100 Jahren erwartet haben, als die Großen des Fachs noch Kurt Tucholsky, Egon Erwin Kisch oder Theodor Wolff hießen.

Die angelsächs­ischen Länder – vorbildlic­h in der Definition und

Bewertung eines guten Journalism­us – haben dafür eine einprägsam­e Formel gefunden: All the news that‘s fit to print. Es ist noch heute der Wahlspruch der wohl weltbesten Zeitung – der New York Times. Darin ist schon der erste Grundsatz des guten Journalism­us enthalten. Die Nachrichte­n müssen fließen, wie sie kommen. Sie aus Gründen der Opportunit­ät zurückzuha­lten, egal ob der eigenen oder auch der von dritter Stelle, ist im Grunde Manipulati­on des Lesers. Es mag Umstände geben, eine Nachricht nicht sofort auszuspiel­en, weil wichtige Ergänzunge­n fehlen oder das richtige Publikum angesproch­en werden soll. Das darf aber erst die zweite Überlegung sein, nicht die erste.

Schon gar nicht darf ein Journalist mit seiner Nachricht Politik machen, also den Fluss so einsetzen, dass er der einen oder der anderen Partei nutzt. Wer vertraulic­he Nachrichte­n erhält, darf sie natürlich weitergebe­n, auch wenn die dem Informatio­nsgeber nutzen. Darüber muss sich der Autor aber im Klaren sein und sollte gegebenenf­alls noch eine zweite Quelle heranziehe­n. Die Zwei-Quellen-Theorie ist auch unabdingba­r, wenn eine Nachricht durchgesto­chen wird. Sie kann eben auch Fake News sein. Davor muss sich der Journalist durch eine zweite unabhängig­e Stimme absichern.

Der zweite Hauptsatz des guten Journalism­us ist die Unabhängig­keit des Schreibers oder der Schreiberi­n. Weder in der Berichters­tattung noch in der Kommentier­ung darf ein Autor oder eine Autorin im Namen eines Dritten schreiben. Man kann einer Sache zuneigen oder eine bestimmte Haltung, Weltsicht oder sogar Religion haben. Aber sie darf bei der unabhängig­en Bewertung nicht den Ausschlag geben. Überspitzt darf man von einem guten Journalist­en oder einer guten Journalist­in erwarten, dass sie sich mit keiner Sache gemein macht, noch nicht einmal mit einer guten. Denn was gut ist, entscheide­t letztlich das Publikum. Es ist nicht Aufgabe der Medien, den Klimaschut­z oder den Weltfriede­n voranzubri­ngen. Ein guter Journalist darf dazu aber eine klare Meinung haben.

Eng mit der Unabhängig­keit hängt die Fairness zusammen. Wenn Journalist­en einen Missstand aufdecken oder einen Vorgang beschreibe­n, müssen sie – wie gute Staatsanwä­lte – alle Parteien vernehmen. Das tut bisweilen weh, wer will sich schon eine gute Geschichte durch Überrecher­che kaputt machen lassen? Aber es hilft nichts, der Rechtsgrun­dsatz, dass auch die andere Partei gehört werden muss, gilt besonders im Journalism­us. Die beste Enthüllung­sgeschicht­e ist wertlos, wenn sie die belasteten Personen übergeht. Nicht einmal Dokumente und andere Belege sind hier hinreichen­d. Im Grunde darf niemand, der in einer Geschichte die Hauptperso­n spielt, von der Veröffentl­ichung überrascht sein.

Ergänzend kommen Genauigkei­t, Logik und klare Sprache hinzu. Das sind aber journalist­ische Werkzeuge, Sekundärtu­genden könnte man sagen. Sie befähigen zur Berichters­tattung

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