Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Putins Drohkulisse
Schwäche interpretiert, wird unsere Reaktion schnell und hart sein“.
Die Worte selbst sind hart, aber auch zu vage, um daraus auf jene „konkreten Schritte“zu schließen, die Putin ankündigt, ohne sie konkret zu benennen. Umso bedrohlicher wirkt die Aussage. Denn alle, die dem russischen Präsidenten an diesem Mittwoch zuhören, wissen, dass das russische Militär in den vergangenen Wochen mehr als 100.000 Soldaten im Grenzgebiet zur Ukraine zusammengezogen hat. Sie wissen auch, dass enge Vertraute des Kremlchefs für den Fall von Provokationen „das Ende der Ukraine“in Aussicht gestellt haben.
Der Kremlchef widmet sich am Mittwoch aber lieber Belarus. Dort, wo Machthaber Lukaschenko im vergangenen Jahr eine monatelange Freiheitsrevolte mit brutaler Gewalt unterdrückt hatte, drohe nun „ein Putsch“. So sieht es Putin, der Lukaschenko an diesem Donnerstag in
Moskau empfängt. Am Wochenende hatte der russische Geheimdienst zwei Männer festgenommen, die einen Mordanschlag auf Lukaschenko geplant haben sollen. Die belarussische Opposition vermutet eine Inszenierung. In Moskau gebe es Planspiele, Belarus zu annektieren.
Ist also der Truppenaufmarsch im Grenzgebiet zur Ukraine nur ein Ablenkungsmanöver? Putin lässt die Spekulationen am Mittwoch einfach weiterwuchern. Der russische
Staat agiere stets „geduldig und gutwillig“. Das allerdings hält die Opposition im Land für ein Märchen. Tatsächlich zeigt der russische Staat, noch während Putin spricht, seine Krallen. Sonderpolizisten verhaften Mitstreiter des inhaftierten Regimekritikers Alexei Nawalny. Das Menschenrechtsportal „ovdinfo.org“listete am frühen Abend für mehr als 50 Städte über 400 Festnahmen auf.
Für den Abend rief das „Team Nawalny“zu landesweiten Protesten
auf. Es werde vermutlich die letzte Gelegenheit zu einer solchen Kundgebung sein, erklärt Nawalnys engster Mitstreiter Leonid Wolkow. Damit spielte er nicht nur auf die erwartete harte Reaktion der Staatsmacht an. Wolkow meinte noch etwas anderes: den dramatischen Gesundheitszustand des inhaftierten Nawalny, der seit Wochen über Schmerzen und Lähmungserscheinungen klagt. Um eine angemessene Behandlung zu erzwingen, ist der 44-Jährige Ende März in einen Hungerstreik getreten.
Noch immer verweigern ihm die Justizbehörden eine angemessene Behandlung. So zumindest sehen es seine Anwälte. Derzeit liegt der Putin-Herausforderer in einem Gefängniskrankenhaus und bekommt Vitaminspritzen. Auch eine Glukose-Infusion habe er erhalten, teilt Anwältin Olga Michailowa mit, also eine Zuckerlösung. Nawalnys vorerst letzte Nachricht, die er nach einem Besuch seiner Anwälte bei Instagram veröffentlichte, lautet: „Ich bin nur noch ein Skelett, das durch seine Zelle geistert.“