Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Sexuelle Belästigun­g öffentlich ankreiden

- VON LILLI STEGNER

Eine Gruppe junger Frauen setzt sich gegen „Catcalling“zur Wehr, mit Kreide und Smartphone. Sie wollen nicht nur zeigen, dass sexuelle Belästigun­g überall stattfinde­n kann, sondern sich diese Orte auch wieder zurückhole­n.

BEDBURG-HAU Es ist ein oft bemühtes Bild in Filmen: Eine Frau, meist jung und hübsch, läuft auf der Straße an einer Baustelle vorbei. Ein männlicher Bauarbeite­r, meist weniger jung und weniger hübsch, pfeift ihr hinterher, ruft Anzüglichk­eiten. Ein Filmklisch­ee, doch sexuelle Belästigun­g findet auch im echten Leben statt. Elena Jansen (19), Elisa Laufenburg (18) und Malena Mauch (24) wollen genau dagegen etwas tun.

Jansen eröffnete Ende Oktober 2020 bei Instagram den Account @catcallsof­kreiskleve__. Betroffene können ihre Erlebnisse dort privat schildern, die Gruppe bringt sie dann anonymisie­rt auf die Straße und ins Netz. Mit Kreide schreiben sie die Erlebnisse auf den Boden, dort, wo sie passiert sind. Sie fotografie­ren ihre Arbeit und posten sie auf der Plattform. Sie wollen so die sexuelle Belästigun­g sichtbar machen und Betroffene­n gleichzeit­ig zeigen, dass sie nicht alleine sind.

„Catcalling“nennt man es, wenn sexuelle Belästigun­g im öffentlich­en Raum durch Rufen, Reden, Pfeifen oder sonstige Laute geschieht. Für die Betroffene­n bedeutet das meist ein gesteigert­es Gefühl von Unsicherhe­it. Die Studentin Antonia Quell startete im August vergangene­n Jahres eine Petition, die sich an die Bundesregi­erung, die Bundesmini­sterin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Franziska Giffey und Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht richtet. Sie fordert darin, dass „Catcalling“strafbar wird, ähnlich einem 2018 in Frankreich erlassenen Gesetz. Denn aktuell ist die Rechtslage in Deutschlan­d schwierig, vor allem weil die Nachverfol­gung und Beweiserbr­ingung meist komplizier­t ist.

„Wir wollen uns die Orte wieder zurückhole­n“, sagt Jansen, die auch für die Grünen im Kreistag sitzt. Denn manchmal trauten sich die Betroffene­n nicht mehr oder nur noch in Begleitung an den Ort des Geschehens. „Und wir wollen zeigen, es passiert im alltäglich­en Leben“, sagt Laufenburg. Für die 18-Jährige, die bald in die Abiturprüf­ungen startet, war dabei besonders schockiere­nd, wie jung die meisten Frauen und Mädchen sind, die ihnen ihre Erlebnisse zusenden. „Die meisten sind um die 14 oder 15 Jahre alt, teilweise sogar noch jünger“, sagt sie.

Doch es seien nicht ausschließ­lich Frauen, die sich bei ihnen melden, sagen sie. Auch von zwei Männern haben sie schon Nachrichte­n bekommen, in denen sie schilderte­n, wie sie im öffentlich­en Raum sexuell belästigt wurden. Aber die Dunkelziff­er sei da wahrschein­lich höher. „Für Männer ist es oft eine noch größere Hürde, über solche Erlebnisse zu sprechen“, sagt Laufenburg. Auch das ist ein Teil von Sexismus: Männer müssen stark sein, dürfen ihre Gefühle nicht zeigen oder verletzlic­h sein.

Aktionen wie @catcallsof­kreiskleve__ gibt es immer mehr in Deutschlan­d, meist in Großstädte­n. „Wir sind, soweit ich weiß, der erste Kreis, der einen eigenen Account hat“, sagt Jansen. Über eine Whats-App-Gruppe vernetzen sich die Frauen, die sich vorher nicht kannten. Sie haben über die Sozialen Medien zusammenge­funden. „Wegen Corona konnten wir uns leider noch nicht alle zusammen treffen, aber wir wollen schon auch ein Netzwerk bilden“, sagt Jansen.

Zum „Ankreiden“gehen sie meistens zu zweit oder zu dritt. Es sei eine Frage von Sicherheit, aber auch von Spaß. Denn verbittert oder verängstig­t wirkte keine der Frauen. Eher motiviert, etwas zu bewegen. „Ich will nicht mehr nur weggehen, wenn mir so etwas passiert. Ich habe auch schon Männer, die mich belästigt haben, darauf angesproch­en. Wenn man die Täter konfrontie­rt, kann man sie vielleicht zum Nachdenken bringen“, sagt Laufenburg. Ein Bewusstsei­n für das Risiko, dem man sich aussetze, wenn man sexuelle Belästigun­g anprangert, gehöre aber auch dazu, sagt Jansen.

Doch die Reaktionen auf ihre Arbeit sind fast durchgehen­d positiv. Viele Menschen sprechen sie an, wenn sie die Aussagen mit Kreide auf den Boden schreiben. So auch bei dem Termin mit unserer Redaktion. Eine Passantin kommt vorbei, fragt, was sie hier tun. Nachdem Laufenburg und Jansen sie aufklären, ist die Passantin begeistert. Sie fragt, ob sie ein Foto machen dürfe. Sie dürfe gerne, sagt Laufenburg.

Als sie und Mauch einmal in der Innenstadt ankreidete­n, kam ein Ladenbesit­zer aus der Nähe auf sie zu, erzählt sie daraufhin. „Er war begeistert von der Aktion und hat sogar ein Foto auf dem Account seines Ladens gepostet“, sagt Mauch. Denn so sind die Aktionen auch gedacht, die entspreche­nden Hashtags und der Name des Accounts stehen immer mit dabei.

Außerdem hoffen die jungen Frauen, so weitere Menschen dazu zu bringen, mehr auf andere zu achten. „Seit ich hier mitmache, habe ich viel mehr ein Auge dafür entwickelt. Wenn ich Menschen sehe, die in Not scheinen, biete ich meine Hilfe an. Oft reicht das schon“, sagt Laufenburg.

Und sie wollen die Debatte öffentlich machen, zeigen was genau hier vor der eigenen Haustür passiert. „Wenn man in den Medien davon erfährt, wirkt es oft so weit weg“, sagt Laufenburg, „aber es passiert auch hier.“

Wer mitmachen möchte, kann sich bei Instagram unter @catcallsof­kreiskleve__ melden. „Egal ob es ein Like auf unserer Seite ist, ob jemand die Bilder teilt oder selbst zum Ankreiden mitkommen möchte, alle sind willkommen. Egal welchen Alters, egal ob Mann oder Frau“, sagt Jansen.

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RP-FOTO: KLAUS-DIETER STADE Elena Jansen (rechts) und Elisa Laufenburg kreiden am Bahnhof in Bedburg-Hau ein Erlebnis an, das ihnen berichtet wurde. Sie werden oft von Passanten auf ihre Aktionen angesproch­en.

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