Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Nicht „nur ein Kompliment“
Fast jede Frau, die ich kenne, hat schon mindestens einmal sexuelle Belästigung erfahren. Im besten Fall ist das als Kompliment gemeint, eine Erklärung, die oft herangezogen wird. Doch es ist mehr als das. Kommentare zur äußeren Erscheinung einer völlig fremden Person, egal ob abwertend oder nicht, sind selten angebracht.
Denn im schlimmsten Fall — und das ist unabhängig von der Absicht der kommentierenden Person — können Aussagen verletzen, verunsichern oder auch der Warnhinweis auf Schlimmeres sein. Denn die betroffene Person weiß nichts über die Absichten.
Sie weiß nicht, ob es bei verbalem Kontakt bleibt, ob die Person eine Gegenreaktion provozieren will oder sogar handgreiflich werden könnte. Das kann dazu führen, dass ein nett gemeintes Kompliment ganz anders aufgefasst wird, als es gemeint war. Aus Vorsicht, möglicherweise aufgrund von Erfahrungen aus der Vergangenheit.
Es geht bei sexueller Belästigung – und auch bei sexualisierter Gewalt – nämlich nicht um den Täter, sondern um die Betroffenen. Fühlen sie sich belästigt, dann war auch das nett gemeinte Kompliment unangebracht. Anstatt in eine Abwehrhaltung zu verfallen, sollten sich Menschen, die von Sexismus
lesen oder hören, fragen, ob sie selbst sexistischen Denkmustern folgen. Denn wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen oft noch immer weniger verdienen, häufiger Opfer von häuslicher Gewalt werden und deren Karrieren eher zugunsten von Familienplanung hinten angestellt werden. Wer sich darüber klar wird, ob er Teil des Problems ist, kann dann auch Teil der Lösung werden.
Lilli Stegner
Ihre Meinung? Schreiben Sie mir! lilli.stegner@rheinische-post.de