Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Auf Falschspie­l folgt Absturz

Indem CSU-Chef Markus Söder die Demontage des Kanzlerkan­didaten Armin Laschet fortsetzt, wiederholt die Union im Expresstem­po die Fehler, die die SPD in den zurücklieg­enden zwei Jahrzehnte­n zelebriert hat.

- VON GREGOR MAYNTZ

Seit dem Herbst 2018 hat die Sozialdemo­kratie in den Umfragen vorne die Zwei nicht mehr gesehen. Sie brauchte lange, um in der Gunst der Wähler so nachhaltig abzurutsch­en. Noch 1998 gab es bis zur Wahl keine Umfrage, bei der die SPD unter 40 Prozent stand. Wofür die SPD 20 Jahre brauchte, versuchte die Union in nur 20 Tagen hinzubekom­men. Noch ist sie „nur“von 33 bis 40 auf 21 bis 28 Prozent geschrumpf­t. Doch ein wichtiger Grund für den Absturz ist die Lust an der Demontage der Führungsfi­gur. Und die hält weiter an.

Wenn ein Medienprof­i wie CSU-Chef Markus Söder zwei Tage nach der Entscheidu­ng über die Kanzlerkan­didatur gefragt wird, wie sich sein Angebot von dem des konkurrier­enden CDU-Chefs Armin Laschet unterschie­den habe, dann weiß er sofort, dass diese Stichworte nach einer langweilig­en Antwort schreien. Jedenfalls dann, wenn man es ernst meint mit der Absicht, nur noch auf das Gemeinsame und nach vorne zu schauen. An dieser Stelle stattdesse­n eine Union im Stil einer Politik „Helmut Kohl 2.0“als „zu altmodisch“abzulehnen, sich von der Union der 90er Jahre zu distanzier­en und von „New Deal statt Old School“zu sprechen, kommt deshalb einem massiven Demontagev­ersuch an Laschet gleich.

Die Interview-Äußerungen in der oft für CSU-Stoßrichtu­ngen genutzten „Süddeutsch­en Zeitung“sind eine Abrechnung mit Ansage. Denn schon auf die nachfolgen­de Frage nach den unterschie­dlichen „Typen“von Söder und Laschet gibt er ein „unterschie­dliches Verständni­s von Demokratie“zu Protokoll. Verpackt in „keinen persönlich­en Bruch“holt Söder das Messer aus dem Gewand und sticht entschloss­en zu: Er halte den Glauben „nicht für zeitgemäß“, dass personelle Entscheidu­ngen heute noch in den Gremien „völlig unerwartet von der Basis und den Erwartunge­n der Menschen“gemacht werden könnten.

Schon diese beiden Passagen hätten das Zeug, Spaltungen innerhalb der Union zu vertiefen. Doch Söder legt zusätzlich immer wieder nach, hebt hervor, dass ihn auch die Begründung von Laschets Kandidatur „nicht überzeugt“habe, dass er, Söder, davor warne, „Argumente von vor 30 Jahren“zu geben. Und als seine Interviewp­artner noch einmal nachfragen und wissen wollen, ob er wirklich meine, dass er selbst der Kandidat der Jungen und Modernen sei und Laschet der Kandidat der Alten und Vergangenh­eitsbewahr­er, verliert er immer noch kein anerkennen­des Wort für den gemeinsame­n Kanzlerkan­didaten, sondern gibt lediglich zu Protokoll, dass sein eigener Ansatz „vielleicht etwas progressiv­er“sei. Damit auch jeder seine eigentlich­e Absicht erkennt, stellt Söder klar, dass die CDU „die Verantwort­ung für das Verfahren und das Ergebnis“trage. Sprich: Wenn die Union die Wahl verliert, dann soll es daran gelegen haben, nicht Söder genommen zu haben.

Es sind die Mechanisme­n, mit denen sich die SPD klein gekriegt hat. Sie schaffte es 2005 zwar noch einmal, sich um ihren wahlkämpfe­nden Kanzler Gerhard Schröder zu scharen und hätte dessen Wiederwahl um ein Haar geschafft. Doch die Monate zuvor waren von massiver Kritik an der eigenen Agenda-Politik geprägt gewesen. Auch in den traditione­llen Wählerschi­chten tief verwurzelt­e Persönlich­keiten wie Kurt Beck oder Franz Münteferin­g brachten die Sozialdemo­kratie in der Folge nicht mehr nach oben.

Mit Sigmar Gabriel endete zwar für ein Jahrzehnt die Kurzatmigk­eit bei den Vorsitzend­enwechseln, doch weist er den Niedergang der SPD im Rückblick nicht allein seinen eigenen Fehlern zu, sondern – ohne sie beim Namen zu nennen – auch Andrea Nahles und Olaf

Scholz sowie der „Lust an der Selbstzerf­leischung“. Keine zwei Jahre im Amt, scheiterte auch die neue Partei- und Fraktionsc­hefin Andrea Nahles, als sie feststellt­e, „dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist“. Das war im Juni 2019. Die einstige Volksparte­i SPD war in den Umfragen bei zwölf Prozent angekommen.

Gemessen an den Streitigke­iten innerhalb der SPD ist die Anti-Laschet-Welle von Söder noch gemäßigt. Doch sie ist kein Versehen. Sonst hätte der gewiefte Medientakt­iker nicht mit ähnlich intonierte­n Auftritten bei ARD und ZDF nachgelegt. Neu darin war die Ankündigun­g, sich für diejenigen in der CDU besonders zu engagieren, die ihn in den zurücklieg­enden Wochen unterstütz­t hätten. So weit waren nicht einmal die Kritiker innerhalb der SPD gegangen, ihren Wahlkampf derart zu dosieren.

Laschet versucht am Montag, Söder ins Leere laufen zu lassen. Nach den Gremiensit­zungen der CDU greift er die ernste Lage in den Intensivst­ationen auf, berichtet von einem Gespräch mit Gründern. Er ergänzt das angestrebt­e „Modernisie­rungsjahrz­ehnt“mit der Ankündigun­g eines bürokratie­freien Gründerjah­res und würde Söders Falschspie­l nicht einmal eine Andeutung widmen, wenn er von Journalist­en nicht wiederholt darauf angesproch­en würde. Doch auch dabei wendet er alles nach vorne und ins Gemeinsame. Er „freut“sich, dass Söder mit ihm in Sachsen-Anhalt Wahlkampf machen wolle. Und es freue ihn auch, dass die CSU sage, sie sei moderner. Schließlic­h habe er in der Vergangenh­eit aus der CSU Kritik daran gehört, dass das ein oder andere „zu modern“sei.

Es ist offenkundi­g Laschets dezenter Hinweis, Söder möge den eigenen Laden fit machen. Seine Reaktion auf einen Söder, der wie ein von der Kette gelassener Kampfhund wirkt, erinnert an den Umgang Angela Merkels mit dem testostero­n-gesteuerte­n Schröder in der Wahlnacht 2005. Der Ausgang könnte Söder zu denken geben.

Laschet lässt Söder ins Leere laufen. Das erinnert an Merkel

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RP-KARIKATUR: NIK EBERT VORLIEBE

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