Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Die neue Entschlossenheit des BVB
Dortmund hat offenbar die Wankelmütigkeit abgelegt. In der Liga und Samstag im Pokal steuert Edin Terzics Team auf einen versöhnlichen Saisonabschluss zu. Das wiederum legt die Latte für den neuen Coach Marco Rose höher.
DORTMUND Wenn im Fußball die entscheidende Zeit beginnt, dann werden selbst die zarten Wesen wild. So ist das auch bei Borussia Dortmund. In der Bundesliga segelt das zweitdickste Schiff im deutschen Fußball nach vier Siegen in Folge tatsächlich doch noch mal auf Champions-League-Kurs. Im DFB-Pokalhalbfinale ist der ambitionierte Zweitligist Holstein Kiel am Samstag (20.30 Uhr/ARD) die vorletzte Hürde auf dem Weg zum Titel. Und die zuversichtlichen Töne werden kräftiger.
Sogar bei Kapitän Marco Reus, der nicht zum Lautsprecher geboren ist. „Wir waren zum Siegen verdammt“, sagte er nach dem 2:0-Erfolg in Wolfsburg, und er warnte die Mitbewerber: „Es ist noch nicht vorbei.“Sportdirektor Michael Zorc versprach der Konkurrenz: „Wir werden sie jagen.“Und Verteidiger Manuel Akanji beteuerte: „Wir machen Druck.“
Das ist eine ganz neue Entschlossenheit, die eine Mannschaft ausstrahlt, der viele Experten genau diese Qualität abgesprochen hatten. Zu wankelmütig waren die Auftritte des BVB. Vor allem in den Spielen, in denen es darauf ankam, die gesamte Klasse auf den Rasen zu bringen und eine ordentliche Einstellung dazu, versagte das Dortmunder Ensemble zuverlässig. Die Champions League, die der große Klub aus Westfalen für seinen natürlichen Lebensraum hält, war ganz weit weg. Abwehrchef Mats Hummels sprach im Bewusstsein wirtschaftlicher Notwendigkeiten bereits von einer drohenden „Katastrophe“. Dann bog der BVB in die Erfolgsspur ein.
Der Zwischenspurt mit den vier Siegen in Serie vor dem Pokal-Halbfinale war nicht einmal ein fußballerisches Feuerwerk, wie es die Mannschaft an ihren besten Tagen zur Freude des Publikums abzubrennen vermag. Es war viel Arbeit dabei, Willenskraft, Unbeugsamkeit, sehr erwachsener Fußball. Und manchmal auch gehöriges Glück – zum Beispiel, als Union Berlin die Haltbarkeit des Torgestänges im ehemaligen Westfalenstadion testete. Borussia Dortmund im Frühjahr 2021 aber lässt sich nicht mehr so leicht aus der Bahn werfen. „Wir haben uns mit allem gewehrt, was wir haben“, stellte Trainer Edin Terzic nach dem Erfolg in Wolfsburg fest, der in Unterzahl verteidigt wurde. Nicht nur der oft so unwiderstehliche Torjäger Erling Haaland oder der mit breitem Kreuz und grimmiger Miene über den Platz stapfende Vorzeigekämpfer Emre Can verkörperten eine bislang unbekannte finstere Entschlossenheit. Die Mannschaft der Feingeister stemmte sich mit Kraft und Hingabe in die Arbeit.
Das gab es in dieser Form noch nicht. Und es weckt im ehemaligen Dortmunder Meister-Torwart Roman Weidenfeller Erinnerungen an die großen BVB-Zeiten, als Trainer Jürgen Klopp ein Team formte, das vor allem durch unbändige Kraft und Zusammenhalt zu einem Herausforderer der Bayern wurde. „Wir“, sagte Weidenfeller im Neusprech der professionellen Fußballbegleiter, „müssen als Team performen.“Er hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es noch einmal so kommen kann wie vor zehn Jahren, als der BVB mit seinen Hochbegabten und Typen wie Kevin Großkreutz, der für ein paar Jahre von der Südtribüne aufs Feld gewechselt schien, den Münchner Abomeistern den Titel abjagte. Der frühere Torwart Weidenfeller glaubt, dass sein Klub diesen Weg wieder gehen kann, „wenn der neue Trainer die Talente entwickeln kann“.
Ja, wenn. Noch ist nicht einmal heraus, ob Marco Rose im Sommer mit all denen arbeiten darf, die eine glänzende Zukunft vor sich haben. Es könnte durchaus sein, dass die Borussia auf dem Transfermarkt die Verluste aus der Corona-Pandemie ausgleichen muss – vor allem, wenn sie die Champions League verpassen sollte.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die europäische Meisterklasse in der nächsten Saison ohne den BVB spielt, ist allerdings wesentlich kleiner geworden als vor ein paar Wochen. Dafür hat Trainer Terzic maßgeblich gesorgt. Er ist der Erste in einer langen Reihe von Klopp-Nachfolgern, der ein bisschen vom typischen Dortmunder Fußball wieder auf den Rasen bringt. Und ganz offensichtlich hat er einen guten Zugang zu den Spielern.
Das führt möglicherweise zu einem echten Problem. Terzic hat zwar versprochen, für Rose wieder artig ins zweite Glied der Assistenten zu treten. Aber wo ist sein Platz, wenn er mit der Champions-League-Qualifikation und einem Pokalsieg seine Bilanz als Chef für einige Monate abschließt? Was bedeutet das für das Beziehungsgeflecht in der Kabine? Und würde der Druck auf Rose schon vor dem Amtsantritt viel höher, als er beim anspruchsvollen BVB ohnehin schon ist?
Das sind Fragen, auf die vor allem Rose gute Antworten finden muss. Es sind allerdings auch Fragen, die sich die Vereinsführung in Dortmund lieber stellt als solche nach einer mittelfristigen Zukunft in Europas zweiter Reihe oder als Zuschauer im Pokalfinale.