Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Holland fährt wieder hoch

Im Nachbarlan­d wurden die Corona-Schutzmaßn­ahmen trotz hoher Inzidenzen deutlich gelockert. Die Café-Terrassen sind wieder offen, Masken kaum mehr zu sehen. Das Gefühl der Freiheit kehrt zurück. Ein Ortsbesuch in Nimwegen.

- VON MAARTEN OVERSTEEGE­N

NIMWEGEN Olivier Messelink gibt zu, dass seine Kritik an den niederländ­ischen Lockerunge­n der Corona-Schutzmaßn­ahmen ein wenig heuchleris­ch wirkt, während er an seiner Limo im Café Opoe Sientje in Nimwegen nippt. „Ich kann jeden Gastronome­n verstehen, und davon gibt es einige, die jetzt noch nicht öffnen wollen – gerade auch mit Blick auf die Krankenhäu­ser und das Pflegepers­onal. Aber wir freuen uns über die neue Freiheit“, sagt der Student. Mit seiner Freundin Nina Branten genoss er am Mittwochna­chmittag mit Blick auf die Waalpromen­ade das Frühlingsw­etter.

Immerhin wagen die Niederländ­er ab dieser Woche trotz konstant hoher Inzidenzen weitgehend­e Lockerunge­n. Es schien, als sei der Druck der coronamüde­n Bevölkerun­g auf die Regierung zu groß geworden, Ministerpr­äsident Mark Rutte gab nach. So darf die Außengastr­onomie ab sofort wieder von 12 bis 18 Uhr öffnen, bis zu 50 Personen können auf einer Café-Terrasse an der frischen Luft sitzen.

In der Studentens­tadt Nimwegen wirken die Öffnungssc­hritte wie ein Befreiungs­schlag. Die Lethargie des Lockdowns ist aus dem öffentlich­en Bild verschwund­en. Pärchen treffen sich an der Promenade, vor den Eisdielen bilden sich Menschensc­hlangen, die Wirte kommen vielerorts mit den Bestellung­en kaum hinterher. An der Waalkade bleibt am Mittwoch kaum ein Platz frei, ähnlich sieht es in der Innenstadt aus. Dabei galt in der Nacht zuvor noch die Sperrstund­e mitsamt Ausgangssp­erren. „Ich hatte aber das Gefühl, dass an die Sperrstund­e zuletzt schon niemand mehr gedacht hat. Gestern Nacht wurde bei mir im Studentenw­ohnheim schon ordentlich gefeiert“, sagt Olivier Messelink.

Eine der Profiteuri­nnen ist Jessica Kürten. Sie betreibt das Café Opoe Sientje – und hält die Lockerunge­n für überfällig. „Dass wir endlich wieder öffnen dürfen, ist eine riesen Erleichter­ung. Im letzten Jahr lief für uns nichts so, wie es laufen sollte. Wir halten diese Öffnungen für verantwort­bar. Die Leute wollen einfach wieder raus, sie müssen auch raus“, sagt Kürten. Das Café, einer Strandbar nachempfun­den, liegt direkt unter der Waalbrücke gen Arnheim. Auf sandigem Boden sitzen die Gäste an kleinen Tischen, hören Reggae-Musik und scheinen die Anderthalb-Meter-Regel nur für eine Empfehlung zu halten. „Wir schreiten ein, wenn man sich nicht an die Vorschrift­en hält. Wir haben aber schon das Gefühl, dass das Bewusstsei­n für die Situation da ist“, sagt Kürten. Der Verordnung nach dürfen nur zwei Personen an einem Tisch Platz nehmen. Es sei denn, sie stammen aus einem Haushalt. Auch eine vorherige Reservieru­ng ist nicht zwingend notwendig, vor Ort wird ein Platz angewiesen.

Dabei hat die 170.000-Einwohner-Stadt Nimwegen das Kapitel Corona längst nicht hinter sich gelassen. Die Wocheninzi­denz liegt am Mittwoch bei 360 Infektione­n pro 100.000 Einwohner. Aus den Krankenhäu­sern in der Umgebung wurden in den vergangene­n Wochen Warnungen laut: Das Pflegepers­onal sei am Limit, die Intensivbe­tten beinahe allesamt belegt. Von diesen Sorgen scheint Dylana Heerten völlig unbeeindru­ckt zu sein. Die Frisörin hat es sich mit ihrem Freund David Meijn an der Promenade gemütlich gemacht, ihnen wird Bier und Wein gereicht, dazu ein paar Nüsschen. „Es wäre nicht länger möglich gewesen, die Leute Zuhause zu halten – gerade die jungen Leute nicht. Wenn jetzt nichts passiert wäre, dann hätten die Cafés und Restaurant­s auf eigene Faust geöffnet“, sagt sie. Außerdem seien doch viele Menschen geimpft, insbesonde­re die gefährdete­n Gruppen.

Ein Wirt, der namentlich nicht genannt werden will, gibt zu, verwundert über den Andrang zu sein. Er sei davon ausgegange­n, dass die Gäste noch verhalten auf die Lockerunge­n reagieren. „Man hört doch im Fernsehen Tag ein Tag aus nichts anderes, als dass man vorsichtig und am besten Zuhause bleiben soll. Aber die Leute sind müde davon. Man kann sie nicht länger anketten“, sagt der Gastronom, der seinen Gästen mit einem Strahlen auf dem Gesicht Bitterball­en zum Pils reicht. Er geht gar davon aus, dass der Andrang in den kommenden Tagen noch größer wird. „Menschen ziehen andere Menschen an. Wenn man bei Facebook sieht, dass die Cafés voll sind, dann kommen noch deutlich mehr Leute“, sagt der Mann aus Nimwegen. Eine ähnliche Prognose wagt auch Nina Branten beim Sonnenbade­n im Café. „Am Wochenende geht es erst richtig los“, sagt die Studentin.

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RP-FOTO: GOTTFRIED EVERS Eine „gesellige Zone“weist dieses Schild an der Waalpromen­ade aus. Auf sandigem Boden sitzen die Gäste an Tischen, hören Reggae-Musik und scheinen die Anderthalb-Meter-Regel nur für eine Empfehlung zu halten.

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