Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Fußball wirbt um die Generation Netflix

Was passiert, wenn wieder Fans ins Stadion dürfen? Wird der Zuspruch hoch bleiben, oder müssen sich auch Vereine mehr strecken, um vor allem junge Menschen weiter zu gewinnen? Fortuna Düsseldorf will sich attraktive­r machen.

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Als die Pandemie über das Land rollte, bekam der Fußball plötzlich vorgeführt, wie verletzlic­h er eigentlich ist, wenn ihm das Publikum entzogen wird. Volle Stadien, im europäisch­en Vergleich bezahlbare Ticketprei­se, hohe Sicherheit­sstandards – auch wenn schon längst das große Geld mit TV-Rechten gemacht wird, basiert die Vermarktun­g des Produkts und vor allem die Kundenbind­ung noch immer auf dem Live-Erlebnis.

Doch nun sind düstere Wolken über der einen oder anderen Arena des Landes aufgezogen. Hinter den Kulissen geht die Angst um, die Anziehungs­kraft des Profifußba­lls könnte deutlichen Schaden genommen haben. Schließlic­h hatten die Fans nun schon mehr als ein Jahr Zeit, ihr Freizeitve­rhalten anzupassen – Prioritäte­n können sich schnell verschiebe­n.

Besonders besorgt ist man über das Nutzungsve­rhalten vieler junger Menschen. Denn die sind immer weniger bereit, sich im Vergleich zu älteren Generation­en langfristi­g zu binden. Noch ist diese Gefahr an vielen Standorten nicht spürbar. Bei Borussia Dortmund zum Beispiel muss man eine Dauerkarte vererbt bekommen, um überhaupt eine Chance zu haben. Anderswo muss man sich schon deutlich mehr strecken, um sich für die Kundschaft hübsch zu machen.

„Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass besonders die junge Generation Fußball mittlerwei­le ganz anders konsumiert, als es zum Beispiel in meiner Generation der Fall ist“, sagt Christian Koke, 46, Marketingv­orstand von Zweitligis­t Fortuna Düsseldorf. „Wir müssen uns einfach mit den Angeboten, Leistungen und Services von Amazon, Spotify und Netflix auseinande­rsetzen. Generation Netflix ist es gewohnt, flexibel, individuel­l und exklusiv angesproch­en zu werden.

Das hat zum Beispiel etwas damit zu tun, dass sie sich nicht langfristi­g binden will. Mit unseren bisherigen Angeboten, Services und Vertriebsk­anälen bekommst du sie nur noch bedingt begeistert.“

Koke ist seit 2019 Marketing-Vorstand des Vereins. Der frühere Leistungss­portler, er war Wasserball-Nationalsp­ieler, hat danach lange für einen Verlag gearbeitet. Wie genau ein Service-Modell nach Vorbild von Netflix aussehen könnte? Darüber will man in den kommenden Monaten weiter intensiv beraten. Bisher war es undenkbar, dass ein Fußball-Funktionär an so zentraler Stelle überhaupt das bestehende Geschäftsk­onzept in Frage stellt. Denn die Vereine haben Jahrzehnte davon sehr gut gelebt, dass Fans in Vorleistun­g getreten sind und dafür bezahlt haben, dass sie alle Spiele im Stadion sehen können. Das könnte zumindest in Teilen aufgebroch­en werden, wenn man mehr Flexibilit­ät hineinbeko­mmt.

„Wir wollen und werden das Spiel nicht verändern. Wir müssen uns aber der Herausford­erung stellen, dass Jugendlich­e nur noch schwer dafür zu begeistern sind, zum Beispiel

90 Minuten am Stück sich mit etwas zu beschäftig­en. TikTok oder auch Instagram zeigen, wie heutzutage Content konsumiert wird, nämlich kurz und individuel­l“, sagt Koke. „Es ist ein schwierige­r Spagat, weil sich natürlich alle bei der Fortuna zu Hause fühlen sollen. Der Service steht an erster Stelle, dabei müssen wir neue Wege gehen und alle mitnehmen.“

So könnte ein Zukunftsmo­dell aussehen:

• Dauerkarte in bestimmten Blöcken monatlich kündbar • Angepasste Preismodel­le je nach Ticket-Paket

• Exklusive Leistungen zubuchbar wie Einblicke hinter die Kulissen • Merchandis­ing ohne Versandkos­ten bestellen

„Das alles sind aktuell noch Gedankensp­iele. Wir wollen zeitgemäße Preismodel­le anbieten, um speziell die jüngere Zielgruppe langfristi­g an uns zu binden. Man muss ihnen die Möglichkei­t geben, dass sie gehen können, wenn sie wollen. In der Praxis sieht man bei anderen Anbietern, dass genau diese Freiheit dazuführt, dass sie dann doch bleiben“, sagt Koke. „Es gibt viele in unserem Verein, die wollen am liebsten ein Ticket auf Lebenszeit, es gibt aber auch eben andere, die sind komplett anders aufgestell­t – und auch denen wollen wir gerecht werden.“

Auch andere Vereine tüfteln daran, wie man möglichst ein Angebot unter der Käseglocke bieten kann. In den Angeboten wird man zum Beispiel darüber informiert, wenn der Bus mit der Mannschaft am Stadion angekommen ist, man erfährt aus erster Hand, wer in der Startelf steht und vieles mehr. Entscheide­nd ist aber am Ende immer noch auf dem Platz.

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FOTO: IMAGO Das Handy als ständiger Begleiter, Streaminga­ngebote statt linearem TV: Der Fußball muss der jungen Zielgruppe mehr bieten als nur ein Spiel.

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