Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Wir überheblichen Fans
Der Protest der Fans war absehbar. Er war laut. Und er war erfolgreich – so jedenfalls geht die volkstümliche Sicht auf die Gründe für das sofortige Scheitern der Super League Mitte April. Nach nicht einmal zwei Tagen bekamen die sechs englischen Klubs, die sich dem Milliardenprojekt angeschlossen hatten, nacheinander kalte Füße, und die gesamte Super League brach zusammen wie ein Kartenhaus. Der traditionelle Fußball hatte also gesiegt? Nicht ganz, denn die parallel verabschiedete Champions-League-Reform kommt einer Super League light gleich.
Doch das Thema Super League, die Beweggründe der Teilnehmer, die Proteste – das alles schärft den Blick auf den Zustand des europäischen Profifußballs, ja des internationalen Profisports aus verschiedenen Blickwinkeln. Und nicht jeder dieser Blickwinkel sieht uns Fans auf diesem Kontinent als Kämpfer für die Schwachen und einen Fußball, wie er mal war. Wir europäischen Fußballanhänger offenbaren beim nachvollziehbaren Protest gegen die schier grenzenlose Kommerzialisierung unserer Lieblingssklubs als globale Marken auch – mehr unbewusst, als bewusst vermutlich – eine ziemlich hochnäsige Attitüde. Vom Zufall des Geburtsortes privilegiert sprechen wir anderen Fußballfans in der Welt ab, Fans der europäischen Klubs sein zu können. Doch für Millionen von Sportbegeisterten ist das eben der ersehnte Teil dessen, was wir hier in Europa beispielhaft an der Super League kritisieren.
Ein Perspektivenwechsel: Weit gereist wird seit jeher. Schon vor 100 Jahren machten sich Klubs aus dem deutschen Arbeitersport in die Sowjetunion auf, in den 1950ern tourte Fortuna Düsseldorf durch Afrika. Doch was damals als „Völkerverständigung“gelobt wurde, hat mittlerweile den Ruf des „Ausverkaufs“. Hier noch ein Turnier in den USA, da noch ein Spiel in China, und fürs Trainingslager geht’s nach Katar.
Das hat natürlich nichts mit kulturellem Austausch zu tun, da geht es um „neue Märkte“. Die Italiener verlegten schon 1993 ihr Ligapokal-Finale nach Washington, danach nach China, Libyen, Katar oder Saudi Arabien. Auch deutsche Klubs sind unterwegs, Bayern und Dortmund natürlich, aber auch Borussia Mönchengladbach war schon in China, hat ein Büro dort.
Daran gibt es einiges zu kritisieren. An der Auswahl der Ziele und der Menschen, neben denen man in Kameras lächelt. Den Werbedeal aus einer Diktatur nimmt man gern. Aber Menschenrechte thematisieren? Gerade ungünstig. Für 90 Minuten belanglosen Fußball um den halben Erdball zu fliegen, darf auch hinterfragt werden.
Aber Auslandsreisen grundsätzlich abzulehnen, offenbart eine ziemlich privilegierte Sicht. Es hat nicht jeder Fan das Glück, dort geboren zu sein, wo Liverpool oder Messi kicken. Millionen Menschen in anderen Erdteilen jubeln und trauern mit Europas Klubs und deren Stars, kaufen Trikots, schauen Spiele zu unmöglichen Uhrzeiten, sorgen für TV-Verträge und Sponsoren. Warum sollen die ihre „Helden“nicht auch mal live sehen? Erst recht, wenn die auch noch aus diesen Ländern kommen?
Europas Fußball zieht seit Jahrzehnten Talente aus allen Ländern der Welt ab. Aber die sollen ausschließlich hier spielen? Und ganz nebenbei: Warum hat eine WM stets im Sommer der reichen Nordhalbkugel zu sein? Da wird mit Blick auf 2022 über „WM auf dem Weihnachtsmarkt“geklagt. Vielleicht hätten Argentinien oder Südafrika auch gern mal ein Turnier im Sommer.
Das Spiel funktioniert auch in die entgegensetzte Richtung. Der andere große Sportmarkt in Nordamerika schickt sein Personal ebenfalls gern auf Reisen. American Football in London, Basketball in Shanghai, Baseball in Tokio. Die Eishockeyliga NHL kam schon 1938 nach Europa, seitdem macht sie das regelmäßig. Natürlich wegen des Geldes, aber eben auch, „um uns bei den Fans in Europa zu bedanken“, sagte Ligachef Gary Bettmann 2017, als die NHL zwei Teams mit schwedischen Kapitänen nach Stockholm schickte.
Weiß die Liga doch: Ohne die Toptalente, die in Schweden, Finnland, Tschechien oder Russland ausgebildet werden, wäre sie nicht die stärkste der Welt. Und ohne die Fans nicht so reich. Auch Deutschland hat in Leon Draisaitl einen Superstar, also kam die NHL mit seinen Edmonton Oilers 2018 in Köln vorbei. Die mehr als 18.000 Tickets waren in einer halben Stunde ausverkauft. Die deutschen Eishockeyfans waren stolz, den NHL-Zirkus in der Heimat zu erleben.
Was die Empörung bei Auslandsreisen von deutschen Teams nicht kleiner werden lässt. Zu uns darf jeder kommen, und wir fühlen uns natürlich auch als Fans von NFL-Franchises, aber wir mit unseren Fußballklubs bleiben zu Hause.
Alles für Europa.