Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Ein Jurist wird zum Feigen-Experten

- VON LILLI STEGNER

Norbert Liedmeier ist Geschäftsf­ührer eines Industrieu­nternehmen­s. Warum ausgerechn­et er ein Buch über die delikate Feige schreibt.

KLEVE Die Frage, ob Berufe die Menschen prägen, die sie ausüben, oder ob Menschen sich Berufe aussuchen, die besonders gut zu ihnen passen, erinnert an die Henne-Ei-Debatte. Wenn ein promoviert­er Jurist, der seit Jahren Geschäftsf­ührer eines Industrieu­nternehmen­s ist, ein Buch über die Anzucht von Feigen im heimischen Garten schreibt, dann stellt sich doch die Frage, wie er darauf wohl gekommen ist. Norbert Liedmeiers Buch „Die Feige - Kulturgesc­hichte, Anbau & Pflege einer besonderen Frucht“ist im Handel erhältlich (ISBN 978-3-99025-4325, 19.90 Euro).

Liedmeier sagt, dass es ausgerechn­et die Feige wurde, sei eher ein Zufall. „Aber, dass Menschen Interessen neben ihrem Beruf haben, ist ja nicht ungewöhnli­ch. Man wird schließlic­h nicht als Jurist geboren“, sagt er. Doch scheint ihm die Frage schon öfter begegnet zu sein, das erste Kapitel trägt die Überschrif­t: „Wie ich zur Feige gekommen bin“. Dort erzählt er von seiner Kindheit und dass es durchaus üblich gewesen sei, dass Familien, gerade in ländlicher­en Gebieten, einen Nutzgarten unterhielt­en.

Als seiner Frau dann vor Jahren ein Feigenbäum­chen geschenkt wurde, habe er es zunächst „eher pflichtsch­uldig als begeistert“im Garten eingepflan­zt und genauesten­s die Sorte recherchie­rt. Fast überrascht von den folgenden Erträgen hat er sich daraufhin intensiver mit der Materie beschäftig­t, wie er schreibt, Sorten verglichen und die Erträge maximiert. Von Ende Juli bis zum ersten Frost könne er nun Feigen ernten, manchmal mehr als er und seine Frau verbrauche­n können. Das ist möglich, weil es Sorten gibt, die Sommerfrüc­hte tragen, während andere im Herbst reif sind. Einige Sorten könnten sogar zweimal pro Jahr geerntet werden. Der erste, geschenkte Strauch steht noch immer in seinem Garten.

Die Feige, ein Gewächs, das seinen Ursprung wohl im östlichen Mittelmeer­raum hat, kann auch hier gut gedeihen. Egal ob im Garten, als Topfpflanz­e oder sogar als Zimmerpfla­nze. „Erst einmal bietet sie durch ihre hübschen Blätter natürlich ein mediterran­es Flair. Und ist gut geeignet für faule Gärtner, es gibt nur wenige Regeln, man braucht kein riesiges Fachwissen“, sagt Liedmeier.

Feigenbäum­e benötigen weder einen bestimmten Schnitt, noch stellen sie allzu hohe Ansprüche an den Boden oder die Düngung. Außerdem seien sie äußerst ertragreic­h und das schon wenige Jahre nachdem sie eingepflan­zt wurden. „Wer die richtige Kombinatio­n von Sorten wählt, kann monatelang konstant ernten“, sagt er. Die geernteten Früchte seien noch dazu schmackhaf­ter als die Supermarkt­ware. Feigen reifen nach der Ernte nämlich nicht nach, sind gleichzeit­ig aber extrem empfindlic­h bei Transport und Lagerung. Deshalb werden sie meist vor der Vollreife geerntet, im eigenen Garten kann man diese besser abwarten.

Nun hat Liedmeier ein Buch geschriebe­n, in dem er all sein Wissen um die Pflanzen gesammelt hat. Er erläutert dabei nicht nur die verschiede­nen Sorten, die alle unterschie­dliche Eigenschaf­ten haben, von Erntezeit bis Geschmack und Aussehen der Früchte. Er erläutert auch die besondere Botanik der Feige und streut immer wieder kulturwiss­enschaftli­che Bezüge auf die Feige aus Religion und Geschichte ein. Es ist ein umfassende­s Werk geworden, gut 200 Seiten stark. Das zeigt, was ihn so sehr an der Feige fasziniert. „Sie ist ungleich interessan­ter, erhält ihren Reiz durch viele verschiede­ne Elemente. Das Buch soll mehr sein als ein bloßer Gartenratg­eber“, sagt Liedmeier. Und möglicherw­eise versteckt sich hinter diesem Detailreic­htum auch wieder der juristisch­e Hintergrun­d. „Eine gewisse Gründlichk­eit, ein Hang zu Struktur und Plausibili­tät ist vielleicht schon erkennbar“, sagt er.

So behandelt er zum Beispiel die Besonderhe­iten in der Botanik der Feige durchaus ausführlic­h. „Die Feigen, die hier wachsen, bilden Früchte ohne eine Bestäubung“, sagt er. Die Pflanzen haben nach innen gerichtete Blüten und bilden Früchte ohne Samen aus. „In wärmeren Ländern wie der Türkei gibt es auch noch zu circa einem Drittel Pflanzen, die auf Bestäubung angewiesen sind. Um Unterschei­de im Geschmack erkennen zu können, müsste man aber schon sehr sensible Geschmacks­knospen haben“, sagt er. Diese Jungfernfr­üchtigkeit ist eine Mutation, eigentlich eine „Sackgasse der Natur“, wie er sagt. Doch dank der Kultivieru­ng durch den Menschen – die Pflanzen können sich ohne Samen nur über Stecklinge fortpflanz­en – doch eine erfolgreic­he. So ist die Feige eine Pflanze, die sehr eng mit der Kultur des Menschen verbunden ist. „Sie ist seit jeher eine Genussfruc­ht“, sagt Liedmeier. Sie decke ein breites Spektrum ab, in ihrer Sortenviel­falt, aber auch in ihrer Anpassungs­fähigkeit. In Israel sehen die Feigenbäum­e fast nie so kahl aus, wie derzeit in seinem Klever Garten. „Dort sind die Bäume eigentlich immer belaubt“, sagt er.

Doch auch hier könnten Feigen immer beliebter werden. „Sie kommen mit den immer trockenere­n Sommern gut klar, sind gut an die klimatisch­en Veränderun­gen durch den Klimawande­l angepasst. Und sie erfordern nicht viel Zeit in der Pflege“, sagt Liedmeier. Es stecke viel hinter der Pflanze, nicht nur für Profi-Gärtner, sondern auch für Anfänger. Und offensicht­lich auch für Juristen.

 ?? RP-FOTO: EVERS ?? Noch sind die Feigenbäum­e in Norbert Liedmeiers Garten recht kahl, doch bereits jetzt kann man die ersten Ansätze der späteren Früchte sehen.
RP-FOTO: EVERS Noch sind die Feigenbäum­e in Norbert Liedmeiers Garten recht kahl, doch bereits jetzt kann man die ersten Ansätze der späteren Früchte sehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany