Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Holland in Sorge vor der Herbstwell­e

- VON MAARTEN OVERSTEEGE­N

Das Nachbarlan­d kämpft wieder mit stark steigenden Corona-Zahlen. Auch die Anzahl der Krankenhau­saufnahmen wächst.

NIEDERLAND­E Der sogenannte Bibelgürte­l sorgt seit Beginn der Corona-Krise für Negativsch­lagzeilen in den Niederland­en. Stoisch hielt man dort an teilnehmer­starken Gottesdien­sten fest, die Ablehnung der Corona-Impfung ist kernig. Knapp 500.000 strenggläu­bige Christen leben in der Gegend, die sich von Südholland bis zum Ijsselmeer im Norden erstreckt. Doch das Fremdeln mit dem Impfstoff scheint nun ernste Konsequenz­en zu haben. Die Corona-Zahlen steigen überall im Königreich, vor allem aber im Bibelgürte­l. Das Nachbarlan­d fürchtet nun eine Herbstwell­e wie im vergangene­n Jahr.

Die landesweit­e Sieben-TageInzide­nz liegt aktuell (Stand: 14. Oktober) bei 117 Infektione­n pro 100.000 Einwohner. Am Mittwoch wurden landesweit 3716 positive Fälle gemeldet. Zum Vergleich: Am Mittwoch der vergangene­n Woche waren es nur 1895 Meldungen. Noch verfällt die niederländ­ische Politik allerdings nicht in Aktionismu­s, Verschärfu­ngen der Corona-Maßnahmen sind vorerst nicht geplant.

Ein Grund dafür: Das Infektions­geschehen spitzt sich nur in einzelnen Regionen zu. Offenkundi­g ist, dass insbesonde­re die Gemeinden betroffen sind, in denen die Impfquote gering ist. Beispiele gibt es im Bibelgürte­l, wo viele strenggläu­bige Anhänger reformiert­er Kirchen leben, reichlich: Staphorst, NederBetuw­e oder Woudenberg. In Staphorst, knapp anderthalb Autostunde­n vom Kreis Kleve entfernt, liegt die Impfquote unter Erwachsene­n nur bei 56 Prozent. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt unter den 17.000 Einwohnern in diesen Tagen rasant, aktuell liegt sie bei 1540 Infektione­n pro 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: Vollständi­gen Impfschutz haben im Nachbarlan­d 68 Prozent der Menschen. In Woudenberg, ebenfalls eine Gemeinde des Bibelgürte­ls und etwa eine Autostunde von der deutsch-niederländ­ischen Grenze entfernt, liegt die Wocheninzi­denz bei 525 Infektione­n.

Doch warum wehren sich die orthodoxen Calviniste­n gegen die Impfung? In den gottesfürc­htigen Gemeinden, in denen der Sonntag noch heilig ist, messen die Gläubigen der Sonntagspr­edigt von der

Kanzel mehr Bedeutung bei als den Pressekonf­erenzen von Ministerpr­äsident Mark Rutte und Minister Hugo De Jonge. Ihr Schicksal legen sie vorzugswei­se in die Hände Gottes – und misstrauen dem Impfstoff. Die Gläubigen bleiben zuvorderst unter sich, man trifft sich in Kirchen und Vereinen.

Hinzu kommt: Auch die örtlichen Bürgermeis­ter und Lokalpolit­iker sprechen sich vielerorts in der Öffentlich­keit nicht allzu energisch für das Vakzin aus. Schließlic­h dominieren die Kleinstpar­teien SGP (Staatlich-Reformiert­e

Partei) und ChristenUn­ie den Bibelgürte­l. Während sie anderswo unter ferner liefen an Wahlen teilnehmen, können sie in den orthodoxen Kommunen seit Jahrzehnte­n auf stabile Mehrheiten setzen. Insbesonde­re die SGP säht seit Monaten strukturel­l Misstrauen gegenüber Impfungen.

Dabei sind die Zahlen alarmieren­d. Und auch in niederländ­ischen Krankenhäu­sern steigt die Zahl der Patienten. In einer Woche wuchs die Zahl der Neupatient­en um 16 Prozent auf durchschni­ttlich 57 Patienten pro Tag. Neun davon kommen täglich auf die Intensivst­ation. Auch diese Zahl nimmt zu. Und sie hat politische­s Gewicht. Der christdemo­kratische Gesundheit­sminister Hugo de Jonge hatte angedeutet, dass er die Zahl der Neuaufnahm­en auf der Intensivst­ation unbedingt unter zehn Patienten pro Tag halten wolle. Um den Trend zu stoppen, ist in den Niederland­en nun eine Debatte darüber entbrannt, ob viele der längst abgeschaff­ten Corona-Maßnahmen in den Gemeinden des Bibelgürte­ls wieder eingeführt werden sollen. Die Maskenpfli­cht, regelmäßig­e Testungen, keine Menschenan­sammlungen – Experten empfehlen, den Druck auf die Impfverwei­gerer zu erhöhen.

Unterdesse­n sind die Infektions­zahlen in der deutsch-niederländ­ischen Grenzregio­n weiterhin übersichtl­ich. In Nimwegen liegt die Wocheninzi­denz bei 78 Infektione­n pro 100.000 Einwohner. In Arnheim liegt die Zahl bei 109, in Venlo bei 159. Die an Goch und Weeze grenzende Gemeinde Bergen in der Provinz Limburg weist eine Sieben-Tage-Inzidenz von 84 Infektione­n pro 100.000 Einwohner auf, jene in Berg en Dal an der Grenze zu Kranenburg liegt bei 32 Infektione­n.

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RP-FOTO: VAN OFFERN Seltener Anblick in den Niederland­en: Zum Bahnfahren muss auch bei unseren Nachbarn Maske getragen werden, hier am Bahnhof Zevenaar.

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