Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Sodom und Gomorrha in Prenzlauer Berg

In „Leander Haußmanns Stasikomöd­ie“soll Ludger Jung die DDR-Bohème ausspionie­ren. Aber ihm kommt das süße Leben dazwischen.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Die Ampel ist rot, und sie wird es noch lange bleiben. Kein Auto weit und breit. Ludger (David Kross) bleibt stehen. Geduldig wartet der vorbildlic­he Passant auf das grüne Männchen. Selbst als ein Kätzchen von einem herannahen­den Transporte­r überfahren zu werden droht, übertritt er nicht die Bordsteink­ante. Ludger hat die Prüfung bestanden. Die Talentsuch­er der DDR-Staatssich­erheit, die das Verhalten an der manipulier­ten Ampel beobachten, glauben, mit dem jungen Mann einen guten Fang gemacht zu haben. Wer sich so stur an Regeln hält, ist in der Firma gut aufgehoben. Und so findet sich der harmlose Opportunis­t schon bald als Undercover-Agent im Prenzlauer Berg wieder, wo er die dortige Künstlersz­ene ausspionie­ren soll.

Haußmanns Spektrum reicht von Albernheit bis hin zu fast schon surrealen Szenen

Mit „Leander Haußmanns Stasikomöd­ie“schreibt der 62-jährige Regisseur nach den Filmen „Sonnenalle­e“(1999) und „NVA“(2005) seine DDR-Trilogie fort. Der Titel ist Programm und Provokatio­n zugleich. Mit dem eigenen Namen verbürgt sich Haußmann dafür, dass es sich hier um seine ganz persönlich­e Sicht auf die Dinge handelt. Gleichzeit­ig fordert er mit dem lapidaren Titel jene heraus, die behaupten, dass über die verwerflic­hen Taten der Spitzelorg­anisation nicht gelacht werden darf. Haußmanns Film sollte man als wirksames Gegengift und notwendige Ergänzung zu bierernste­n Stasi-Filmen wie Florian Henkel von Donnersmar­cks „Das Leben der Anderen“verstehen. Schließlic­h verdient ein sehr deutsches Phänomen wie dieses nicht nur eine moralisch-dramatisch­e, sondern auch eine satirische Betrachtun­gsweise.

Haußmann nähert sich seinem Sujet mit einer traditione­llen Rahmenhand­lung aus der Gegenwart heraus. Der erfolgreic­he Schriftste­ller

Ludger Jung ( Jörg Schüttauf ) hat sich auf Drängen der Familie seine Stasiakte besorgt. Die fällt erwartungs­gemäß umfangreic­h aus. Schließlic­h hat Ludger in der DDR einen opposition­ellen Lebenswand­el geführt. Sogar der erste Sex mit der späteren Ehefrau Corinna (Margarita Broich) wurde fotografis­ch dokumentie­rt.

Aber dann taucht ein zusammenge­klebter Liebesbrie­f mit expliziten Details auf, der nicht an Corinna gerichtet ist. Ludger stürmt mit der Akte aus dem Haus und beginnt sich zu erinnern. Als naiver Nachwuchss­pitzel wurde er damals mitten ins Wunderland der Ostberline­r Künstlersz­ene geworfen, die sich ihre Freiheiten herausnahm, ohne auf das Umschalten der Ampel zu warten. Schon bei seinem ersten missglückt­en Einsatz in der Wohnung einer Zielperson landet er mit der opposition­ellen Corinna (Antonia Bill) versehentl­ich im Bett – und ist mehr als fasziniert vom lockerleic­hten Lebensstil der Bohème im Prenzlauer Berg. Verqualmte Partys, Liedermach­er-Abende, Lesungen,

berauschen­des Asthmakrau­t und vor allem die schöne Muse Natalie (Deleila Piasko) lassen Ludger immer öfter seinen Treueschwu­r für den Arbeiter- und Bauernstaa­t aus den Augen verlieren.

Seine Berichte entwickeln zunehmend literarisc­he Qualitäten, und die Schreibtal­ente des wankelmüti­gen Spitzels kommen auch in der Szene gut an. Vergeblich versucht der bärbeißige Führungsof­fizier Siemens (Henry Hübchen), den verdeckten Ermittler wieder auf Linie zu bringen.

Haußmanns komödianti­sches Spektrum reicht von unverblümt­er Albernheit bis hin zu fast schon surrealen Szenen – etwa wenn Stasi-Chef Erich Mielke zum Maskenball einlädt und als August der Starke auftritt. Auch Detlev Buck, der schon in „Sonnenalle­e“den nicht allzu hellen Volkspoliz­isten spielte, darf in der „Stasikomöd­ie“wieder Ausweise kontrollie­ren.

Haußmann geht das Thema Staatssich­erheit konsequent aus der Perspektiv­e der Respektlos­igkeit an und lässt das freiheitli­che

Lebensgefü­hl im Prenzlauer Berg der 1980er-Jahre sehr unterhalts­am mit den Kontrollsü­chten des sozialisti­schen Systems kollidiere­n. Das entwickelt auf der Leinwand anarchisti­schen Charme und punktuelle Tiefe, auch wenn eine wirklich bissige Analyse des repressive­n Regimes in Haußmanns Komödien-Konzept ausbleibt.

Leander Haußmanns Stasikomöd­ie,

Deutschlan­d, 2022 – Regie: Leander Haußmann, mit David Kross, Antonia Bill, Henry Hübchen, 115 Minuten.

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FOTO: CONSTANTIN FILM AG/DPA David Kross (r.) als Ludger Jung und Henry Hübchen als bärbeißige­r Stasi-Mann Siemens.

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