Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
„Ich habe immer noch Lampenfieber“
Der Moderator und Kabarettist über Mut, den typischen Niederrheiner, „Sun Chairs“und „Koniferen“. Live ist er am Freitag im Bürgerhaus in Weeze zu erleben.
Sie sind im Radio als Moderator zu hören, treten vor Hunderten Menschen als Kabarettist auf – wie viel Mut braucht man dazu?
STEFAN VERHASSELT Am Anfang brauchte ich schon viel Mut, so geht es uns ja allen, wenn wir etwas Neues beginnen. Aber ich habe mir immer vorgestellt, dass die Leute das mögen, was ich im Radio oder auf der Bühne erzähle. Und dieses positive Feedback meiner Radiohörer auf meinen Humor hat mich dann auch ermutigt, das Projekt „Kabarett“anzugehen. Und das war vor 15 Jahren.
Haben Sie noch Lampenfieber? Wie gehen Sie damit um?
VERHASSELT Ja, vor allem vor Auftritten, wo es in meinen KabarettTexten neue, aktuelle Passagen gibt, die ja vorher nicht ausprobiert werden konnten, außer bei mir zu Hause. Und dann erinnere ich mich immer an meinen Regisseur, der mir schon bei meinem ersten Kabarettprogramm 2006 gesagt hat: „Vertraue deinen Texten.“Das hilft mir noch heute.
Haben Sie ein Ritual, mit dem Sie sich auf einen Auftritt vorbereiten?
VERHASSELT Ich spreche mir die „Spielpassagen“, in denen ich besondere Typen zitiere, immer laut vor. Also, wer stickum an meiner Künstlergarderobe vorbeikommt, der denkt sich vielleicht: „Hömma, der erzählt wohl mit sich selbst.“
Was ist für Sie leichter – zwei Stunden als Radiomoderator oder zwei Stunden als Kabarettist auf der Bühne?
VERHASSELT Es ist im Radio ja ähnlich wie auf der Bühne. Ich moderiere etwas, was hoffentlich ankommt, im neuen WDR4 für über 2,5 Millionen Menschen, im Kabarett für 250 Zuschauer und mehr. Dafür merke ich aber auf der Theaterbühne direkt, was besonders gut ankommt. Allerdings ist ein gut 100-minütiges Wortprogramm „quasi am Stück“körperlich anstrengender als eine vierstündige Radiosendung mit Musik- und Nachrichtenunterbrechungen.
Ihr aktuelles Programm heißt „Kabarett 5.0 – Zwischen den Zeilen“. Was entdecken Sie da „zwischen den Zeilen“?
VERHASSELT Den Titel habe ich deshalb ausgewählt, weil mir aufgefallen ist, dass wir im täglichen Umgang inzwischen immer mehr „zwischen den Zeilen“sprechen, statt direkt und klar. Ein Beispiel von vielen: Steht zum Beispiel das Gras zentimeterhoch, dann sagen wir Niederrheiner: „Mann, dat Gras steht schon wieder hoch“, meinen aber „Der Rasen muss gemäht werden. Und zwar sofort.“Oder: „Da gehen wir mal schön zusammen einkaufen“– und dann muss ich mit.
Sie wirken immer so nett und versöhnlich – was macht Sie denn wütend?
VERHASSELT Wenn einige wenige unter uns sich nicht mehr an einfachste Regeln halten. Das ist mir aufgefallen. Ob aktuell bei den eigentlich doch „easy“Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus oder auch sonst im Leben. Dabei macht gutes Benehmen nicht nur einen guten Eindruck, es macht einen selbst auch glücklich. Denn neben den aktuellen 2G-Regeln ist „zwischen den Zeilen“das dritte „G“für uns ja auch wichtig: „G-emeinsam“.
Wie ist der typische Niederrheiner so?
VERHASSELT Noch ein G: gesellig! Das ist auch das, was im Moment so viele vermissen. Ich auch! Diese nette, herzliche Geselligkeit, mit Treffen, Erzählen, ob auf dem Weihnachtsmarkt und der Kirmes oder im Restaurant, zu Hause oder auf Partys. Und wir Niederrheiner sind ja meistens offen und positiv eingestellt – ich sag’ immer, wir wären die Idealbesetzung fürs Außenministerium. Ja, weil wir die Diplomatie schon in unserer DNA haben: „’Ne Fünf gerade sein lassen“. Oder „leben
und leben lassen“.
Würden Sie sich auch selbst als typischen Niederrheiner bezeichnen? Warum?
VERHASSELT Ja, ich bin so groß geworden. In Straelen. Hatte ein schönes Zuhause, auch heute noch. Auf Kinderfotos sieht man mich meistens fröhlich und gut gelaunt. Ich kann aber inzwischen auch „großstädtisch“denken, weil ich mal ’ne zeitlang in Hamburg gelebt habe, gearbeitet habe – wo die Welt doch noch mal anders ist. Dachte ich. Wo dann aber, beim genauen Hingucken oder Hinhören, Stadtbezirke letztendlich auch einen dörflichen Charakter bekommen, weil die Menschen dort das Stadtteildenken haben – ihr Zuhause eben, wie bei uns in den Dörfern und kleinen Städten des Niederrheins.
Müssen Menschen, die Ihnen begegnen, damit rechnen, im nächsten Programm aufzutauchen? Machen Sie sich Notizen, wenn Sie unterwegs sind?
VERHASSELT Oh ja, ich habe zu Hause eine große Stichwortsammlung mit Notizen. Beispiel von heute morgen, bei meiner Zahnärztin in Wachtendonk: „Was für ein Zähneputzer sind Sie? Träumen Sie beim Zähneputzen, oder räumen Sie dabei die Spülmaschine aus?“Sie hat recht. Wer von uns putzt schon „bewusst“seine Zähne?! Meistens denken wir dabei doch an was ganz anderes: „Du musst mal wieder zum Friseur“oder „Oder muss ich tatsächlich heute noch den Rasen mähen?“. Dieser Satz meiner Zahnärztin wird in eine neue Kabarett-Story einfließen. Denn meine Programme sind ja immer ein Spiegelbild unseres Lebens. Und wir können ja als Niederrheiner prima über uns selbst lachen.
Was muss passieren, damit Sie herzhaft lachen?
VERHASSELT Ich liebe Situationskomik, wirklich gute Gags (im britischen und französischen Humor), aber zum Beispiel auch Mitmenschen, die Wörter unabsichtlich verdrehen, zum Beispiel, wenn aus einer „Koriphäe“plötzlich eine „Konifere“wird. Oder im Strandrestaurant zwei „Sun-Chairs“bestellt werden, aber zwei Gläser Sancerre gemeint sind.