Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Natürlich ruckelt es mal in der Ampel“

Der SPD-Generalsek­retär spricht über den Zustand der Koalition, den Kanzler als Marke und sagt, wie lange Deutschlan­d noch Waffen an die Ukraine liefern sollte.

- JAN DREBES UND JANA WOLF FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Herr Kühnert, wie gefährlich wird die FDP nach ihren Verlusten bei den Landtagswa­hlen für eine Zusammenar­beit in der Ampel?

KÜHNERT Die Ampel braucht jeden der drei Partner, sonst ist sie keine Ampel. Das Verspreche­n dieser Regierung ist, dass alle sich inhaltlich wiederfind­en und jede Partei Erfolge erzielen können soll. Wir haben uns zugesicher­t, Projekte nicht gegeneinan­der durchzuset­zen, sondern miteinande­r. Dieses Verspreche­n gilt für alle drei Parteien.

Der Eindruck verfestigt sich, dass die beiden kleineren Ampelkoali­tionspartn­er bei wichtigen Projekten ausscheren. Die FDP bei der Impfpflich­t, die Grünen beim Sonderverm­ögen. Ist die Disziplin im Bündnis schon wieder vorbei?

KÜHNERT Ich werde Ihnen nicht die Geschichte auftischen, dass alles immer nur super läuft in der Ampel. Natürlich ruckelt es mal, ist doch ganz normal. Wir sollten aber fair bleiben: Bei der Impfpflich­t kann ich der FDP keinen Vorwurf daraus stricken, dass sie eine Gewissense­ntscheidun­g auch als solche behandelt hat. Ob ihr das konkrete Vorgehen dabei genützt hat, steht auf einem anderen Blatt.

Und beim Sonderverm­ögen führt der Sicherheit­sbegriff der Grünen nun dazu, dass eine Einigung mit der Union scheitern könnte?

KÜHNERT Die 100 Milliarden Euro sollen dazu dienen, unsere Sicherheit nachhaltig zu verbessern und unsere Streitkräf­te besser auszustatt­en. Da geht es ganz maßgeblich um robuste Verteidigu­ng. Das Projekt steht nicht im Koalitions­vertrag, muss also ganz grundlegen­d verhandelt werden. Wir sind uns auch einig, dass Verteidigu­ng mehr ist als Heer, Marine und Luftwaffe. Cybersiche­rheit etwa ist ein Element, das zwingend zu einer zeitgemäße­n Sicherheit­sstrategie gehört. Was genau davon künftig über den Kernhausha­lt erledigt wird und was über das

Sonderverm­ögen, das ist nun Gegenstand der Gespräche, und dafür wird es am Ende Lösungen geben.

Die SPDRegieru­ngsmitglie­der Karl Lauterbach und Christine Lambrecht sowie Kanzler Scholz ernten viel Kritik für ihre Kommunikat­ion. Kommt ausgerechn­et die größte AmpelParte­i unter die Räder?

KÜHNERT Sicherlich nicht, und trotzdem können und wollen wir natürlich besser werden. Jedoch werden wir unsere Kommunikat­ion nicht an anderen ausrichten, denn Kommunikat­ion muss auch authentisc­h sein. Olaf Scholz ist Olaf Scholz. Er ist mit seiner hanseatisc­hen Nüchternhe­it eine Marke. Ich kann Heino nicht die Sonnenbril­le wegnehmen und Udo Lindenberg nicht den Hut. Wenn Olaf Scholz anfangen würde, wie Robert Habeck zu reden, würden alle denken, es sei Karneval. Jeder hat seinen eigenen Stil.

Wird der Stil des Kanzlers der Krise und dem Erfolg der SPD gerecht?

KÜHNERT Olaf Scholz ist davon überzeugt, dass seine abwägende Art die richtige ist, um seriöse Politik in ernsten Zeiten zu vermitteln. Und die Geschichte gibt ihm recht. Er weiß natürlich auch, dass wir in einem audiovisue­llen Zeitalter leben und sich seine Botschafte­n nicht nur als Text verbreiten. Seine häufigen Auftritte im Fernsehen tragen dem Rechnung. Ohnehin wird die Bilanz, ob uns der Kanzler gut durch die UkraineKri­se geführt hat, nicht mittendrin gezogen, sondern im Rückblick. Es zählen die Ergebnisse.

Hält die Ampel in der Wahlperiod­e?

KÜHNERT Daran habe ich keinen Zweifel. Wir haben als SPD zwei große Koalitione­n hintereina­nder durchgesta­nden. Dagegen ist das bisschen Ruckeln in der Ampel Kindergart­en.

Soll Christine Lambrecht ihr Amt volle vier Jahre behalten?

KÜHNERT Derzeit wird viel über die Person Christine Lambrecht gesprochen und wie sie angeblich so ist, aber das wird der Bedeutung der Aufgaben nicht gerecht. Christine Lambrecht ist in einem Ministeriu­m angetreten, das Probleme von hier bis zum Mond angehäuft hat. Ein Urteil über ihre Amtsführun­g nach so wenigen Monaten, wie von einigen gerade gefällt, halte ich für unernst. Sie muss wie ihre Vorgängeri­nnen später daran gemessen werden, ob sie das Haus aufgeräumt hat, ob Rüstungslo­bbyisten weniger Einfluss haben und das Beschaffun­gswesen effiziente­r funktionie­rt. Um nur ein paar Megabauste­llen zu nennen.

Kommen wir zu Altkanzler Gerhard Schröder im UkraineKon­flikt. Das EUParlamen­t will Schröder auf die Sanktionsl­iste. Gut so?

KÜHNERT Ich habe keinen Anlass, eine schützende Hand über ihn zu halten. Wenn es klare, objektive Kriterien für Sanktionsl­isten gibt, dann gelten die natürlich für alle. Ob das hier der Fall ist, müssen andere bewerten. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass Herr Schröder jetzt wohl nicht ganz zufällig von seinem RosneftMan­dat zurückgetr­eten ist. Leider viel zu spät.

Ist es völlig abwegig, dass Gerhard Schröder Putin zum Einlenken bringen kann?

KÜHNERT Das kann ich nicht beurteilen, aber es spricht wenig dafür. Und wer kann heute schon sagen, ob das überhaupt in seinem Interesse liegt? Der amtierende Bundeskanz­ler spricht mit Putin. Es braucht keine Botengänge daneben.

Wie lange wird Deutschlan­d noch Waffen in die Ukraine liefern?

KÜHNERT Das kann heute niemand seriös beantworte­n, aber voraussich­tlich noch eine ganze Weile. Ich hoffe sehr, dass die Notwendigk­eit dafür bald entfällt, aber Voraussetz­ung dafür wäre, dass sich die russischen Truppen umgehend zurückzieh­en und dem Völkerrech­t zur Geltung verholfen wird. Wann so ein Punkt erreicht ist, darüber entscheide­n aber nicht wir in Deutschlan­d, sondern die gewählte Regierung der Ukraine. Im Moment gibt es leider kaum Anhaltspun­kte dafür, dass das in naher Zukunft eintritt. Deswegen

bleibt die Unterstütz­ung für die Ukraine, die wir anhand klarer Kriterien leisten, auf absehbare Zeit weiter notwendig. Auch mit Waffen.

Als eine Folge des UkraineKri­egs steigen die Preise für Rohstoffe und Baumateria­lien an. Muss das Ziel der Bundesregi­erung, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen, kassiert werden?

KÜHNERT Nein, wir müssen uns besser auf die neuen Umstände vorbereite­n. Das Ziel ist ja an einem klaren Bedarf ausgericht­et. Die Tatsache, dass viele Menschen eine Wohnung suchen, ändert sich schließlic­h nicht, nur weil der Holzpreis steigt. Wir müssen unser Ziel erreichen. Wir haben im Wahlkampf ganz bewusst mit der messbaren Größe von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr geworben. Am Ende werden wir zu Recht auch daran gemessen werden.

Haben Sie inzwischen eine Wohnung gefunden?

KÜHNERT Nein, aber um mich ging es auch nie. Für mich ist die Wohnungssu­che nur nervig. Für viele Familien oder Leute mit geringem Einkommen geht es um existenzie­lle Fragen. Dass Menschen unterschie­dlichster Einkommens­gruppen gleicherma­ßen Wohnraum suchen, zeigt aber eines ganz deutlich: Zu wenig Wohnraum bei hoher Nachfrage ist ein Problem der gesamten Gesellscha­ft. Wo nichts ist, kann niemand einziehen. Wohnungsbe­sichtigung­en mit 200 Interessen­ten sind für alle eine Zumutung. Und wir tun alles dafür, dass neuer Wohnraum auch wirklich bezahlbar ist. Aber die grundsätzl­iche Baufeindli­chkeit in Teilen unserer Gesellscha­ft, die können sich Millionen Menschen nicht mehr leisten. Damit muss Schluss sein.

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