Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Hand in Hand
Das Händeschütteln ist zurück. Eine so lange kulturelle Tradition ändert sich nicht mal eben in zwei Jahren Pandemie.
BERLIN (dpa) Mal ist es ein ganz besonderer Moment, mal noch unsicher: Soll ich oder nicht? Der Handschlag ist zurück – und das, obwohl so viele ihn schon nach wenigen Monaten Pandemie eigentlich totgesagt hatten. Namaste, Ellenbogencheck und Co. fühlen sich auch nach zwei Jahren noch nicht richtig an. Zu tief sitzt das Ritual – wenn die Handflächen ineinander greifen, die Finger sich berühren, die Blicke sich treffen. Wieso machen wir das eigentlich?
Eine so lange kulturelle Tradition, die ändere sich nicht mal eben in zwei Jahren Pandemie, sagt Martin Grunwald. Er ist Psychologe und leitet das Haptik-Forschungslabor an der Uni Leipzig. „Erst über sogenannte Vollkontakt-Informationen versichern wir uns, dass der andere wirklich existiert, wirklich da ist. Allen anderen Sinnen kann man nicht so sehr trauen.“Und schließlich sei der Mensch ein sogenanntes nesthockendes Säugetier. „Wir wachsen ganz stark mit körperlichen Interaktionen auf und sind entsprechend auf Körperkontakt zu anderen angewiesen.“Besonders jetzt, nachdem vieles nur online stattfand, sehnt sich der Berührungssinn nach Anregung.
Doch auch, wer sich mit der Faust oder per Ellenbogen begrüßt, berührt den anderen – nur anders. Reicht das nicht? „Das ist ein ganz anderes Körpergefühl, nichts Warmes, nichts Weiches. Sehr hart, knochig“, sagt Grunwald. Beides sei nur ein Kompromiss. Der Wissenschaftler hält es für erstaunlich, dass man schon zu Beginn der Pandemie solche Kompromisse gesucht und nicht einfach komplett auf körperliche Begrüßungsrituale verzichtet habe. Soziokulturell werde dem Sich-dieHandgeben noch eine andere Bedeutung zugeschrieben. „Das signalisiert: „Ich komme in Frieden“und: „Ich bin waffenlos““, sagt Grunwald.
Wie tief das Ritual Handschlag für uns ist, das zeigen Situationen, die sich die meisten vor Corona wohl in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen konnten. Man erinnere sich an die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Innenminister Horst Seehofer. Bei einem Treffen Anfang März 2020 hob Seehofer entschuldigend abwehrend die Hände, als Merkel mit ausgestreckter Hand auf ihn zuging. Die Kanzlerin erkannte das, was neuerdings quasi ein Missgeschick war, sofort – zog die Hand zurück und beide lachten.