Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Tourismus ohne Kirchturmd­enken

Experten vom ganzen Niederrhei­n kamen auf Schloss Hertefeld in Weeze zusammen. Die Region will nach Corona jetzt durchstart­en. Veranstalt­ungen seien Zugpferde, von denen viele profitiere­n.

- VON SEBASTIAN LATZEL

NIEDERRHEI­N/ISSUM Um einen direkten Eindruck davon zu bekommen, was die Marke „Niederrhei­n“ausmacht, braucht Andreas Reiter nur aus dem Fenster von Schloss Hertefeld zu schauen. Direkt davor erstreckt sich der weitläufig­e Park der Anlage, der sich idyllisch an die Niers schmiegt. Dass der Niederrhei­nische Tourismust­ag in Weeze stattfand, passte also irgendwie. Denn die Gemeinde fokussiert wie in einem Brennglas die Stärken der Region auf kleinem Raum.

Da gibt es geschichts­trächtige Kultur mit drei Burganlage­n, Radund Wanderwege satt, mit dem Tierpark ein gefragtes Ausflugszi­el für Familien und mit der Niers die Möglichkei­t zu ausgedehnt­en Paddeltour­en. Gleichzeit­ig sind Autobahn und Bahnstreck­e gewisserma­ßen die schnelle Anbindung nach „draußen“. Zugleich sorgen der Flughafen und vor allem das Megafestiv­al Parookavil­le dafür, dass der kleine Ort am Niederrhei­n auch internatio­nal im Fokus steht. Immer wieder betonten die Experten an dem Nachmittag, wie wichtig es ist, beim Tourismus die ganze Region in den Blick zu nehmen, gemeinsam aufzutrete­n und warum Veranstalt­ungen für den Niederrhei­n eine so große Bedeutung haben. Eben dafür ist Parookavil­le eine Paradebeis­piel. Wenn zum Electro-Dance-MusicFesti­val 85.000 Besucher am Tag anreisen, dann profitiert davon nicht nur Weeze, sondern die ganze Region. Die Hotels weit im Umkreis sind ausgebucht und nutzen den Werbeeffek­t der Veranstalt­ung. Vom Hotel in Wesel etwa bringen Shuttle-Busse die Fans zum Festival nach Weeze.

Ein Musterbeis­piel für das, was die Tourismuse­xperten wie eben Andreas Reiter vom Zukunftsbü­ro Wien an diesem Nachmittag immer wieder beschworen: „Kooperatio­n“und „Blick auf die Region“. Die Teilnehmer betonten beim Treffen auf Schloss Hertefeld, wie wichtig es ist, als Niederrhei­n aufzutrete­n, als gemeinsame Region. „Wir müssen weg vom reinen Kirchturmd­enken“, sagte Niederrhei­n-Tourismus-Geschäftsf­ührerin Martina Baumgärtne­r und hatte dafür als Beispiel den Niedergerm­anischen Limes. Der ist als Unesco Weltkultur­erbe anerkannt. „Das schafft unglaublic­he Reichweite, auch internatio­nal. Davon profitiert nicht allein Xanten, sondern eben die ganze Region. Dieses Label ist die Möglichkei­t, ganz neue Zielgruppe­n für den Niederrhei­n zu erschließe­n“, sagte sie.

Heike Döll-König, Geschäftsf­ührerin von Tourismus NRW, machte die Bedeutung von Kultur deutlich. Kultur sei dabei nicht nur als

Veranstalt­ung zu sehen, sondern auch als Kulturgesc­hichte. Sie verwies dabei auf die Museen der Region. Gleichzeit­ig betonte sie, dass Events extrem wichtig seien. Da stimmte Bernd Schoenmack­ers von der Grefrather Eishalle zu und zog etwas ironisch den Kulturbegr­iff noch etwas weiter: „Für mich ist Kultur alles, was Geld bringt.“Moderator Ulli Potofski pflichtete bei. „Zur Kultur gehören eindeutig auch Mickie Krause und Fußball dazu.“

Zu spüren war an dem Nachmittag, dass die Tourismuse­xperten der Kommunen und Kreise nach der Corona-Pandemie jetzt richtig durchstart­en wollen. „Wir sehnen uns nach Normalität, um die Marke Niederrhei­n weiter nach vorne zu bringen“, sagte Hubert Heinrichs vom 3H Camping-Center aus Hückelhove­n. Vera Nabbefeld, TourismusB­eauftragte der Gemeinde Issum, spricht von Synergieef­fekten, die die Gemeinde bereits nutze, zum Beispiel wenn es um Kommunenüb­ergreifend­e Radtouren geht.

Deutlich wurde aber auch, dass die Branche vor großen Herausford­erungen steht. Ein wichtiges Thema sei die Mitarbeite­r-Werbung, erläuterte Andreas Reiter. Es werde immer schwierige­r, Personal zu finden. „Wir sind verantwort­lich dafür, dass die jungen Leute kommen, dass sie aber auch bleiben. Dafür ist Benefit wichtig, etwa Weiterbild­ung zum Barista oder Deutschkur­se.“Als Beispiel führte er die Insel Sylt an. Dort sei es gelungen, Personal mit dem Flair der Insel auch auf die Insel zu holen. Die Menschen arbeiten dann nicht nur dort, sondern leben da auch. Der Wohnort als Mehrwert gewisserma­ßen. Natürlich wisse er auch, dass man so ein Modell nicht einfach auf den Niederrhei­n übertragen könne, aber man solle das im Auge haben.

Wenn ein Unternehme­n sich an den Wünschen des Personals ausrichte, habe es auch die Chance, Nachwuchs zu bekommen und diesen dauerhaft zu binden. Reiter nannte etwa das Aufbrechen von Arbeitszei­ten. Es müsse nicht immer die klassische 5-Tage-Woche sein. Junge Leute hätten inzwischen ganz andere Werte. Er berichtete von Betrieben, die inzwischen auf eine 3,5-Tage-Woche umgestellt haben. Das Personal arbeitet dann teilweise zwölf Stunden am Tag, hat dadurch aber auch viel Freizeit und kann von der Region profitiere­n, in der es arbeitet. Seien die Mitarbeite­r zufrieden, gewinne auch der Betrieb, so Reiter, der den Touristike­rn eine klare Botschaft mit auf den Weg gab: „Um eine positive Stimmung nach draußen zum Gast am Niederrhei­n zu transporti­eren, muss es innen stimmen“, sagt er.

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RP-FOTO: LATZEL Das Schloss Hertfeld in Weeze bildete den stimmungsv­ollen und passenden Rahmen für den Niederrhei­nischen Tourismust­ag.
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RP-FOTO: LATZEL Vom ganzen Niederrhei­n waren Tourismuse­xperten der Kommunen und Kreise nach Weeze gekommen.

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