Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Tourismus ohne Kirchturmdenken
Experten vom ganzen Niederrhein kamen auf Schloss Hertefeld in Weeze zusammen. Die Region will nach Corona jetzt durchstarten. Veranstaltungen seien Zugpferde, von denen viele profitieren.
NIEDERRHEIN/ISSUM Um einen direkten Eindruck davon zu bekommen, was die Marke „Niederrhein“ausmacht, braucht Andreas Reiter nur aus dem Fenster von Schloss Hertefeld zu schauen. Direkt davor erstreckt sich der weitläufige Park der Anlage, der sich idyllisch an die Niers schmiegt. Dass der Niederrheinische Tourismustag in Weeze stattfand, passte also irgendwie. Denn die Gemeinde fokussiert wie in einem Brennglas die Stärken der Region auf kleinem Raum.
Da gibt es geschichtsträchtige Kultur mit drei Burganlagen, Radund Wanderwege satt, mit dem Tierpark ein gefragtes Ausflugsziel für Familien und mit der Niers die Möglichkeit zu ausgedehnten Paddeltouren. Gleichzeitig sind Autobahn und Bahnstrecke gewissermaßen die schnelle Anbindung nach „draußen“. Zugleich sorgen der Flughafen und vor allem das Megafestival Parookaville dafür, dass der kleine Ort am Niederrhein auch international im Fokus steht. Immer wieder betonten die Experten an dem Nachmittag, wie wichtig es ist, beim Tourismus die ganze Region in den Blick zu nehmen, gemeinsam aufzutreten und warum Veranstaltungen für den Niederrhein eine so große Bedeutung haben. Eben dafür ist Parookaville eine Paradebeispiel. Wenn zum Electro-Dance-MusicFestival 85.000 Besucher am Tag anreisen, dann profitiert davon nicht nur Weeze, sondern die ganze Region. Die Hotels weit im Umkreis sind ausgebucht und nutzen den Werbeeffekt der Veranstaltung. Vom Hotel in Wesel etwa bringen Shuttle-Busse die Fans zum Festival nach Weeze.
Ein Musterbeispiel für das, was die Tourismusexperten wie eben Andreas Reiter vom Zukunftsbüro Wien an diesem Nachmittag immer wieder beschworen: „Kooperation“und „Blick auf die Region“. Die Teilnehmer betonten beim Treffen auf Schloss Hertefeld, wie wichtig es ist, als Niederrhein aufzutreten, als gemeinsame Region. „Wir müssen weg vom reinen Kirchturmdenken“, sagte Niederrhein-Tourismus-Geschäftsführerin Martina Baumgärtner und hatte dafür als Beispiel den Niedergermanischen Limes. Der ist als Unesco Weltkulturerbe anerkannt. „Das schafft unglaubliche Reichweite, auch international. Davon profitiert nicht allein Xanten, sondern eben die ganze Region. Dieses Label ist die Möglichkeit, ganz neue Zielgruppen für den Niederrhein zu erschließen“, sagte sie.
Heike Döll-König, Geschäftsführerin von Tourismus NRW, machte die Bedeutung von Kultur deutlich. Kultur sei dabei nicht nur als
Veranstaltung zu sehen, sondern auch als Kulturgeschichte. Sie verwies dabei auf die Museen der Region. Gleichzeitig betonte sie, dass Events extrem wichtig seien. Da stimmte Bernd Schoenmackers von der Grefrather Eishalle zu und zog etwas ironisch den Kulturbegriff noch etwas weiter: „Für mich ist Kultur alles, was Geld bringt.“Moderator Ulli Potofski pflichtete bei. „Zur Kultur gehören eindeutig auch Mickie Krause und Fußball dazu.“
Zu spüren war an dem Nachmittag, dass die Tourismusexperten der Kommunen und Kreise nach der Corona-Pandemie jetzt richtig durchstarten wollen. „Wir sehnen uns nach Normalität, um die Marke Niederrhein weiter nach vorne zu bringen“, sagte Hubert Heinrichs vom 3H Camping-Center aus Hückelhoven. Vera Nabbefeld, TourismusBeauftragte der Gemeinde Issum, spricht von Synergieeffekten, die die Gemeinde bereits nutze, zum Beispiel wenn es um Kommunenübergreifende Radtouren geht.
Deutlich wurde aber auch, dass die Branche vor großen Herausforderungen steht. Ein wichtiges Thema sei die Mitarbeiter-Werbung, erläuterte Andreas Reiter. Es werde immer schwieriger, Personal zu finden. „Wir sind verantwortlich dafür, dass die jungen Leute kommen, dass sie aber auch bleiben. Dafür ist Benefit wichtig, etwa Weiterbildung zum Barista oder Deutschkurse.“Als Beispiel führte er die Insel Sylt an. Dort sei es gelungen, Personal mit dem Flair der Insel auch auf die Insel zu holen. Die Menschen arbeiten dann nicht nur dort, sondern leben da auch. Der Wohnort als Mehrwert gewissermaßen. Natürlich wisse er auch, dass man so ein Modell nicht einfach auf den Niederrhein übertragen könne, aber man solle das im Auge haben.
Wenn ein Unternehmen sich an den Wünschen des Personals ausrichte, habe es auch die Chance, Nachwuchs zu bekommen und diesen dauerhaft zu binden. Reiter nannte etwa das Aufbrechen von Arbeitszeiten. Es müsse nicht immer die klassische 5-Tage-Woche sein. Junge Leute hätten inzwischen ganz andere Werte. Er berichtete von Betrieben, die inzwischen auf eine 3,5-Tage-Woche umgestellt haben. Das Personal arbeitet dann teilweise zwölf Stunden am Tag, hat dadurch aber auch viel Freizeit und kann von der Region profitieren, in der es arbeitet. Seien die Mitarbeiter zufrieden, gewinne auch der Betrieb, so Reiter, der den Touristikern eine klare Botschaft mit auf den Weg gab: „Um eine positive Stimmung nach draußen zum Gast am Niederrhein zu transportieren, muss es innen stimmen“, sagt er.