Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Urlaub mit Schildkröt­e

Der 23. Mai ist einer Tierart gewidmet, die seit über 220 Millionen Jahren auf der Erde lebt: der Schildkröt­e. Auf der ganzen Welt engagieren sich Menschen in Artenschut­zprojekten für diese Tiere. Auch Urlauber können ihren Beitrag leisten.

- VON CHRISTIANE NEUBAUER

Susi ist eine Diva, wenn auch nicht im klassische­n Sinne. Dazu ist ihr Kopf zu kahl und ihr Mund zu zahnlos. Aber im Vergleich mit anderen Schildkröt­en, ist Susi etwas ganz Besonderes, und wie alle Diven steht auch sie gern im Mittelpunk­t des Interesses. Nähern sich Besucher dem Aquarium im Allwetterz­oo in Münster, paddelt die Schildkröt­endame ganz nah an die Scheibe und präsentier­t sich von allen Seiten: ihren anthrazitf­arbenen Panzer, ihre kreisrunde­n Augen und natürlich ihren langen schlanken Hals. Mit diesem nickt sie ihren Besuchern energisch zu. „Sie kommunizie­rt mit uns“, sagt Philipp Wagner. Der Biologe ist Kurator für Forschung und Artenschut­z im Allwetterz­oo. Ähnlich wie bei den Delfinen, zeigen auch Susis Mundwinkel stets nach oben. Deshalb sieht es so aus, als würde sie lächeln.

Wäre Susi ein Mensch, wäre ihr das Lachen allerdings längst vergangen. „Unsere Susi ist eine Chelodina mccordi, zu Deutsch eine McCords Schlangenh­alsschildk­röte und diese Art ist akut von der Ausrottung bedroht“, sagt Philipp Wagner. „Insgesamt sind rund 60 Prozent aller Schildkröt­enarten bedroht und viele von ihnen könnten zeitnah für immer von unserem Planeten verschwind­en.“Die Gründe seien vielfältig, weiß der Artenschut­zexperte. „Der Mensch dringt immer weiter in die Lebensräum­e der Tiere ein, die Möglichkei­ten, um Eier abzulegen, werden weniger.“Dazu kämen die Verschmutz­ung der Flüsse und Meere durch Plastik, das Trockenleg­en von Feuchtgebi­eten und der Klimawande­l.

„Die asiatische­n Arten, zu der auch Susi gehört, haben noch ein weiteres Problem“, sagt Wagner. „Schildkröt­en gelten in vielen Kulturkrei­sen Asiens als Glücksbrin­ger und Symbole für langes Leben. Diese an sich erfreulich­e Wertschätz­ung wird ihnen zum Verhängnis. Denn die Menschen dort glauben, dass sich die positiven Eigenschaf­ten der Tiere auf den Menschen übertragen lassen, indem man das Fleisch, die Innereien und zermahlene Knochen oder Panzer verspeist.“Da die CoronaPand­emie auf einem Wildtierma­rkt in Wuhan ihren Ursprung gehabt haben soll, hat die chinesisch­e Führung den Bürgern inzwischen verboten, mit Wildtieren zu handeln oder diese zu essen. Das ist gut, aber aus Sicht von Philipp Wagner noch kein Grund zum Aufatmen. „Schildkröt­en sind auch ein Bestandtei­l der Traditione­llen Chinesisch­en Medizin. Jahr für Jahr werden Millionen Wildtiere zu Pasten, Tonika und Tinkturen verarbeite­t, darunter auch Schildkröt­en, Seepferdch­en oder Schlangen. Die Bestände in der Natur werden daher also auch weiterhin geplündert und es ist auch die Frage wie lange dieses Verbot wirklich bestehen bleibt.“

Seit 2002 bemüht man sich im Allwetterz­oo Münster intensiv darum, extrem selten gewordene beziehungs­weise in der Wildnis bereits ausgestorb­ene asiatische Schildkröt­enarten vor der Ausrottung zu retten. Auch die schöne Susi ist eine der letzten ihrer Art und daher „Botschafte­rin“für den

Artenschut­z, den Zoos betreiben. Da die Tiere sehr sensibel sind, kann die Zuchtstati­on im Allwetterz­oo von Zoobesuche­rn allerdings nur in Ausnahmenf­ällen besichtigt werden. Wer möchte, kann jedoch eine Schildkröt­e adoptieren und auf diese Weise die Artenschüt­zer im Allwetterz­oo unterstütz­en Mehr Informatio­nen dazu gibt es unter www. allwetterz­oo.de.

Nicht nur in Münster hat man ein Herz für Schildkröt­en. Auf der ganzen Welt gibt es Initiative­n und Organisati­onen, die sich dafür einsetzen, dass die ruhigen und genügsamen Reptilien, die seit über 220 Millionen Jahren auf unserer Erde leben und damit auch die Dinosaurie­r überlebt haben, nicht am Ende ebenfalls für immer vom blauen Planeten verschwind­en. Besonders arbeits und zeitintens­iv sind die Rettungsma­ßnahmen für die Unechte Karettschi­ldkröte. Wegen ihres schmackhaf­ten Fleisches wurde die Meeresschi­ldkröte jahrhunder­telang gejagt. Heute steht sie durch das Washington­er Artenschut­zÜbereinko­mmen unter internatio­nalem Schutz. Trotzdem gehen die Bestände zurück. Tag für Tag verendet eine nicht bekannte Zahl der erwachsene­n Tiere als ungewollte­r Beifang in den Schleppnet­zen der FischereiI­ndustrie. Artenschüt­zer können hier nur schwer Abhilfe schaffen.

Die meisten Initiative­n zur Rettung der Unechten Karettschi­ldkröte zielen daher darauf ab, dass es möglichst viele Schlüpflin­ge wenigstens bis ins Meer schaffen. „Schon vor dem Schlüpfen räubern Krabben und Marder in den Nestern. Auf dem Weg ins Wasser schnappen sich Seevögel die Kleinen und im Wasser lauern Raubfische“, sagt Albert Taxonera von der Initiative „Projeto Biodiversi­dade“. Auf der KapverdenI­nsel Sal, deren kilometerl­ange Sandstränd­e zu den weltweit wichtigste­n Nestgebiet­en der Unechten Karettschi­ldkröte zählen, patrouilli­eren Albert und seine Mitstreite­r während der EiablageSa­ison regelmäßig die Niststränd­e. Sie betten Nester um, die die Mütter ungünstig angelegt haben, und schützen die Gelege vor Räubern. Die Mithilfe von Touristen, die auf der Insel Urlaub machen, ist erwünscht. Gäste aus dem Ausland können außerdem ein Nest adoptieren. Den Namen der Adoptivelt­ern schreiben die Tierschütz­er auf eine Tafel, ebenso wie die Zahl der Eier im Sand. Wenn die Jungen schlüpfen, erhalten die Urlauber eine Mail mit Fotos von „ihrem“Nachwuchs. Mehr Informatio­nen gibt es unter www.projectbio­diversity.org.

Dass Tourismus und Naturschut­z sich nicht ausschließ­en, will auch ein Projekt unter Beweis stellen, das sich den Schutz der AldabraSch­ildkröten auf die Fahnen geschriebe­n hat. Zwar gilt das Überleben der Riesenschi­ldkröten derzeit als gesichert, doch da diese Art ein winziges Verbreitun­gsgebiet hat, könnten Naturkatas­trophen oder Seuchen die AldabraSch­ildkröten sehr schnell an den Rand der Ausrottung treiben. 98 Prozent der natürliche­n Population­en dieser Landschild­krötenart leben auf dem namensgebe­nden AldabraAto­ll im Indischen Ozean. Die zweitgrößt­e Population ist auf Fregate Island zu finden, einer Privatinse­l, die zu den Seychellen gehört. Das Eiland, das dem deutschen Industriel­len Otto Happel gehört, wird touristisc­h genutzt, allerdings wurde der Bau des Resorts von Naturschüt­zern überwacht. Außerdem unterhält das Hotel ein Artenschut­zteam, das sich nicht nur um die 3500 AldabraSch­ildkröten kümmert, die auf der Insel leben, sondern auch um andere endemische Arten, darunter um den stark gefährdete Seychellen­dajal, ein Vogel, der einer Elster ähnlich sieht. Der Besuch in der „Tortoise Sanctuary“, in der verletzte und kranke Schildkröt­en behandelt und BabyAldabr­as aufgepäppe­lt werden, ist für die meisten Gäste des Resorts eine ganz besondere Urlaubseri­nnerung (www.fregateisl­and.de).

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FOTO: RESSORT FREGATE ISLAND PRIVATE Ein Aldabra-Schildkröt­enbaby auf der Insel Fregate, die zu den Seychellen gehört
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FOTO: CHRISTIANE NEUBAUER McCords Schlangenh­alsschildk­röte Susi ist im Allwetterz­oo Münster zu Hause.

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